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12. Prozesstag in Magdeburg Liveticker Anschlag Halle (Saale): Terrorprozess in Magdeburg gegen Neonazi Stephan B. zum Attentat in Halle

15.09.2020, 16:00
Der Angeklagte mit seinen Bewachern.
Der Angeklagte mit seinen Bewachern. Hendrik Schmidt/dpa

Halle (Saale) - Es war einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte: Der rechtsterroristische Angriff von Halle am 9. Oktober 2019 machte weltweit Schlagzeilen.

Hier finden Sie die Live-Berichterstattung vom 12. Prozesstag  gegen Stephan B. am 15. September in Magdeburg. Aus dem Magdeburger Landgericht berichtet Hagen Eichler.

15.09.2020: Tag 12 im Terrorprozess gegen Stephan B.

15.44 Uhr: Zwölfter Verhandlungstag endet

Die Vorsitzende Richterin stellt Ismet Tekin noch einige Fragen zur Umgebung des Imbiss und beendet schließlich den Verhandlungstag. Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.

15.38 Uhr: Verteidiger will Ausführungen des Döner-Betreibers beenden

Der Verteidiger des Angeklagten, Hans-Dieter Weber, will politische und philosophische Aussagen des Imbiss-Betreibers Ismet Tekin unterbinden. Die Ausführungen gingen völlig am Verfahren vorbei, bemängelt er. Richterin Ursula Mertens weist das zurück.  Auch andere Zeugen hätten sich in dieser Form geäußert.

Tekin sagt daraufhin, der Anschlag von Stephan B. habe zu „mehr Zusammenhalt und Liebe“ geführt. „Wir haben keinen Hass auf diesen Mann. Wir werden nicht weggehen und den Laden nicht aufgeben.

Und wissen Sie was? Ich werde Vater und werde alles geben, dass meine Kinder Deutschland besser machen. Kevin und Jana vergessen wir nicht.“ Es gibt donnernden Applaus im Gerichtssaal, von Zuschauern und Nebenklägern.

Stephan B. auf der Anklagebank.
Stephan B. auf der Anklagebank.
Imago/Jan Hübner

15.16 Uhr: Döner-Besitzer ruft Staat auf, gegen Fremdenhass vorzugehen

Deutschland sei stark und mache Vieles wunderbar, sagt Ismet Tekin in einer politischen Ansprache zum Schluss seiner Aussage. „Ich frage mich aber, warum solche Vorfälle seit Jahren immer wieder geschehen und nicht verhindert werden. Wenn sich der deutsche Staat dieser Dinge ernsthaft annimmt, kann er sie auch lösen. Dafür muss man gemeinsam arbeiten.“

Tekin berichtet, dass er zwei Monate vor dem Anschlag beschlossen habe, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Danach habe er darin zeitweise keinen Sinn mehr gesehen. Aber: „Nach dieser feigen Tat habe ich viele wunderbare Menschen kennengelernt.“ Viele Menschen hätten seien Familie und den Imbiss unterstützt.

15.06 Uhr: Imbiss-Besitzer Tekin richtet Worte an den Angeklagten

„Ich habe keine Worte gefunden, um die Tat zu beschreiben“, sagt Ismet Tekin und richtet sich nun direkt an den Angeklagten. „Jedes Wort, das man findet, ist zu wenig. Nur für den Täter habe ich ein Wort: Er ist ein Feigling. Keiner hat das Recht, einem Vater und einer Mutter so einen Schmerz zuzufügen.“ Stephan B. lächelt leicht und murmelt unhörbare Worte.

15.03 Uhr: Döner-Inhaber Ismet Tekin verpasste Attentäter um wenige Minuten

Als fünfter Zeuge sagt Ismet Tekin aus, der Inhaber des „Kiez Döner“, in dem Kevin S. getötet wurde. „Ich habe den Laden drei oder vier Minuten vor dem Anschlag erlassen, um Bestellungen aufzugeben“, sagt der 36-Jährige. Sein Bruder Rifat habe ihn angerufen und informiert.

„Ich bin in den Laden gerannt und habe gerufen, ob noch jemand drinnen ist. Dann habe ich ein Wasser genommen und gesehen, dass hinter dem Kühlschrank jemand liegt.“ Der Mann hab jedoch nicht mehr geatmet.

14.53 Uhr: Imbiss-Mitarbeiter will sich nicht vertreiben lassen

Rifat Tekin kann seit dem Anschlag auf den Döner-Imbiss nicht gut schlafen, berichtet er. „Meine Frau ist genauso beeinträchtigt, schließlich war ich vor Ort und es hätte mir etwas zustoßen können.“ Welche Pläne er für die Zukunft habe, will die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens wissen. „Wir wollen standhaft bleiben, hier bleiben und uns wie alle deutschen Bürger für dieses Land einsetzen.“

Am 12. Verhandlungstag soll es weiter um den Angriff auf den Kiez-Döner gehen.
Am 12. Verhandlungstag soll es weiter um den Angriff auf den Kiez-Döner gehen.
picture alliance/dpa

14.38 Uhr: Döner-Verkäufer rettete sich in unbeobachtetem Moment

Als vierter Zeuge wird jetzt Rifat Tekin befragt, der am Tag des Anschlags von Halle im „Kiez Döner“ serviert hatte. Nach den ersten Schüssen habe er sich hinter die Salattheke geduckt, erzählt er. Dann habe er gehört, wie jemand um Gnade bat: „Bitte nicht, bitte nicht“. Diesen Moment habe er genutzt, um sich aus dem Imbiss zu retten.

Auf Nachfrage der Richterin berichtet Tekin, er habe den Angreifer wegen dessen uniformähnlicher Kleidung erst für einen Soldaten gehalten. „Dann hat er die Bombe geworfen.“

14.30 Uhr: Richterin untersagt dem Angeklagten Frage zum Judentum

Nach der Mittagspause will der Angeklagte Stephan B. eine Frage an den letzten Zeugen Ezra Waxman stellen – es geht darum, für welche Sünden Juden an Jom Kippur Buße tun, ob für vergangene oder zukünftige. Die Nebenklage-Anwältin Kati Lang und Oberstaatsanwalt Stefan Schmidt beanstanden die Frage, weil sie keine Relevanz für das Verfahren habe.

Richterin Ursula Mertens lässt die Frage daraufhin nicht zu. Der Befragte meldet sich von der Nebenklagebank aus. „Das hier ist nicht der richtige Moment, um über jüdische Theologie zu sprechen“, sagt Ezra Waxman. Sollte B. in einigen Jahren noch immer Interesse an der Frage haben, stehe er aber für ein Gespräch bereit.

12.55 Uhr: Zeuge singt im Gerichtssaal ein jiddisches Lied

Berührender Moment zum Abschluss der Aussage von Ezra Waxman: Der 32-Jährige singt im Gerichtssaal ein Lied in jiddischer Sprache. Seine 96-jährige Großmutter in Boston singe dieses Lied an jedem einzelnen Tag ihres Lebens, erklärt er. Die Großmutter weiß bis heute nichts von dem, was ihr Enkel in Halle erlebt hat. „Sie wird es auch niemals erfahren“, erklärt Waxman.

12:47 Uhr: Jüdischer Zeuge ist dankbar, am Leben zu sein

In den Wochen nach der Tat sei sein Körper voll Adrenalin gewesen, oft aber auch müde, berichtet der Zeuge Ezra Waxman. Er habe sich bemüht, die positive Seite zu sehen, das Überleben so vieler Menschen. Mittlerweile aber sehe er weniger das „Wunder von Halle“, als mehr „die Wunde von Halle“.

12.22 Uhr: Synagogenbesucher berichtet von der Unsicherheit während des Anschlags

Dritter Zeuge heute ist Ezra Waxman, ein in Deutschland lebender Wissenschaftler aus den USA. Anders als andere hat er am Abend des Terroranschlags vom 9. Oktober 2019 Notizen über das Erlebte angefertigt. Nach den Schüssen auf die Synagoge seien Gerüchte durch die Synagoge geflogen, da niemand Genaueres wusste, berichtet er.

Über den Monitor der Überwachungskamera konnten die Synagogenbesucher sehen, dass draußen eine Person auf der Straße lag. „Da hieß es, draußen liege ein Mann, aber nur verletzt. Der Täter soll mit einem Luftgewehr geschossen haben.“ Beides stimmte nicht: Tot war Jana L., die Schüsse waren aus der Maschinenpistole des Angeklagten gekommen.

11.34 Uhr: Theologie-Studentin warnt vor Ideologie weißer Überlegenheit

Karen E., die Zeugin aus der Synagoge, sagt, Menschen wie der Angeklagte seien nicht nur eine Gefahr für Juden und Muslime, sondern für die gesamte Gesellschaft. Stephan B. sei „motiviert, ausgebildet, angefeuert und unterstützt“ von Verfechtern der Ideologie weißer Überlegenheit, die es nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland gebe. „Wenn man diese Gefahr nicht erkennt, ist dieser Prozess bedeutungslos.“

Die Verhandlung wird bis 12 Uhr untebrochen. Danach soll der amerikanische Jude Ezra Waxman aussagen, der ebenfalls in der Synagoge gebetet hatte.

11.27 Uhr: Jüdische Zeugin fühlte sich von der Polizei „zum Objekt gemacht“

Die Zeugin, Karen E., empfand die Behandlung durch die hallesche Polizei als unangemessen. Statt vor dem Gottesdienst einen Polizisten vor der Synagoge zu postieren, habe man nach dem Anschlag die Betenden aus der Synagoge wie Täter behandelt und durchsucht. „Man hat uns draußen vor dem ganzen Medienzirkus durchsucht. Da habe ich mich als Objekt gefühlt“, sagt die 60-Jährige.

11.18 Uhr: Jüdische Überlebende fühlte sich an Shoah erinnert

Nach einer längeren Pause sagt jetzt die zweite Zeugin des Tages aus, eine frühere Radiojournalistin, die jetzt in Potsdam jüdische Theologie und Rabbinat studiert. Die 60-Jährige war am Tag des Anschlags in der Synagoge.

Sie sei in Amerika unter deutschen und polnischen Juden aufgewachsen, sagt sie. „Ich bin mit der Geschichte der Shoah aufgewachsen. Aber die Bilder waren in schwarz-weiß in meinem Kopf. Plötzlich waren diese Bilder in Farbe. Ich dachte: Was, hier? Das kann nicht sein.“

10:38 Uhr: Eltern des toten Kevin S. brauchen beide Behandlung

Noch einmal nimmt Karsten L., der Vater des getöteten Malerlehrlings Kevin S., am Zeugentisch Platz. Nach der Pause ist er jetzt zunächst gefasster. Das Gericht erkundigt sich, wie die Eltern des Getöteten mit dem Verlust umgehen. Vater und Mutter sind wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in psychologischer Behandlung. Karsten L. war wegen Suizidgefahr dreimal in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik.

„Welche Folgen das für Sie hat, ist noch gar nicht absehbar“, sagt die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens mitfühlend, bevor sie den Zeugen entlässt. Auf Fragen an ihn verzichten alle Beteiligten. Erneut schluchzt Karsten L.

Ein Nebenklageanwalt informiert die Richterin, dass der Angeklagte angesichts des weinenden Zeugen zweimal die Augen gerollt habe. Stephan B. bestreitet das auf Nachfrage.

10.01 Uhr: Tränen auch bei den Nebenklägern

Die Richterin unterbricht die Verhandlung für 15 Minuten. Auch auf den Bänken der Nebenkläger sind Tränen zu sehen.

9.58 Uhr: Karsten L. weint vor Gericht um seinen toten Sohn

Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens fragt nun, wann Kevins Vater erfahren habe, was seinem Sohn passiert ist. Karsten L. war am Tag des Anschlags in Wuppertal. Nach zwölf Uhr konnten weder er noch Kevins Mutter ihn telefonisch erreichen. Karsten L. beginnt zu schluchzen, kann kaum noch sprechen. Die Polizei kann ihm am Tag des Anschlags zunächst nichts sagen. Später an jenem Tag sieht L. dann das Video, auf dem die Tötung seines Sohnes zu sehen ist.

Karsten L. zittert und schluchzt, er kann nicht mehr sprechen.

9.52 Uhr: „Kevin war so stolz auf seine Fußballkarten“

Kevins Vater, Karsten L., berichtet von der Fußball-Leidenschaft seines Sohnes. Die HFC-Tickets hätten ihm viel bedeutet. „Er war richtig stolz drauf, dass er seine Karten selbst gekauft hat. Er hat jede einzelne Karte gesammelt.“ Kevin habe vorgehabt, noch mehr zu arbeiten.

9.43 Uhr: Vater des getöteten Kevin S.: „Er hatte seinen Traumberuf erreicht“

Der Vater des getöteten Malerlehrlings Kevin S. betritt den Saal mit einem HFC-Fanschal. Er geht zögerlich, sein Anwalt Görgülü streichelt ihm vor der Aussage aufmunternd den Rücken. Sein Sohn sei geistig behindert gewesen, habe in der Förderschule gekämpft, um den Abschluss zu erreichen. „Er hat es geschafft, als Maler seinen Traumberuf zu bekommen. Er hat sich das allein aufgebaut.“

9.00 Uhr: Prozess gegen Stephan B. geht weiter

Im Prozess um den rechtsextremen Terroranschlag in Halle kommt erstmals ein Angehöriger eines der beiden Todesopfer zu Wort. Am zwölften Prozesstag wird am Dienstag der Vater des getöteten 20-Jährigen als Zeuge erwartet, wie ein Gerichtssprecher sagte. Zudem sollen die beiden Besitzer des angegriffenen Döner-Imbisses sowie ein Passant und zwei Gläubige aussagen, die beim Anschlag am 9. Oktober 2019 in der Synagoge waren.

8.30 Uhr: Befragung der Zeugen rund um den Kiez-Döner und Synagoge geht weiter

Bereits an den vorangegangenen Verhandlungstagen hatten mehrere Überlebende aus dem Imbiss und der Synagoge über ihre Erlebnisse und teils gravierende gesundheitliche Folgen der Tat berichtet. Die Jüdische Studierenden-Union Deutschland solidarisierte sich zuletzt mit den traumatisierten Besitzern des Döner-Imbisses und startete eine Spendenaktion. Binnen einer Woche kamen tausende Euro zusammen.

Der Angeklagte wird streng bewacht.
Der Angeklagte wird streng bewacht.
Hendrik Schmidt/dpa

8.00 Uhr: Gericht hört den Vater von Mordopfer Kevin S.

Am 12. Verhandlungstag soll es weiter um den Angriff auf den Kiez-Döner durch den Attentäter gehen. Unter anderem kündigte das Gericht an, dass der Vater von Kevin S. heute aussagen soll. Sein Sohn war am 9. Oktober 2019 von Stephan B. in dem Imbiss erschossen worden.

Die MZ berichtet wie immer im Liveticker vom Prozess.

Rückblick auf den Prozess

1. Prozesstag: Stephan B. schildert Taten mit unverholener Freude

2. Prozesstag: Terrorist Stephan B. spricht über Spenden und Verschwörungsmythen

3. Prozesstag: Nebenklage beleuchtet familiäre Hintergründe

4. Prozesstag: Zeugen geben Einblicke ins Familienleben von Stephan B.

5. Prozesstag: Nebenklage kritisiert Entscheidung des Gerichts

6. Prozesstag: Ein genauer Blick auf das Waffenarsenal von Stephan B.

7. Prozesstag: Was trieb Stephan B. online - und was fanden die Ermittler?

8. Prozesstag: Zeugen setzen ein Zeichen – Wir lassen uns nicht einschüchtern

9. Prozesstag: Überlebende aus der Synagoge kritisieren Arbeit der Polizei

10. Prozesstag: Noch einmal sprechen die Überlebenden aus der Synagoge

11. Prozesstag: Zeugen schildern Angriff auf den Kiez-Döner in der LuWu

12. Prozesstag: Emotionale Aussage des Vaters von Kevin S. rührt den Gerichtssaal

13. Prozesstag: Polizisten schildern Schusswechsel auf der LuWu

14. Prozesstag: Stephan B.s Flucht aus Halle - fuhr er Somali absichtlich an?

15. Prozesstag: Opfer aus Wiedersdorf schildern Begegnung mit Halle-Attentäter

16. Prozesstag: Polizisten berichten über Flucht und Festnahme von Stephan B.

17. Prozesstag: Psychologe: Stephan B. wäre eine Hinrichtung lieber

18. Prozesstag: Angeklagter Stephan B. hält Psycho-Gutachten für „politisch motiviert“

19. Prozesstag: Tat-Video von B. löst Erdbeben in Online-Foren aus

20. Prozesstag: Weitere Terrorverdächtige speicherten Tatvideo aus Halle

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24. Prozesstag: Nebenkläger „macht sich für Kevins Tod verantwortlich“

25. Prozesstag: Drei Minuten Hass - Stephan B. leugnet in seinem letzten Wort den Holocaust

26. Prozesstag: Das Urteil

(mz/dpa)