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19. Prozesstag in Magdeburg Liveticker Anschlag Halle (Saale): Terrorprozess in Magdeburg gegen Neonazi Stephan B. zum Attentat in Halle

04.11.2020, 12:33
Stephan B. hat seine Taten gefilmt und per Livestream ins Netz gestellt. Mit Bekanntwerden der Details zum Anschlag verhöhnen viele Nutzer im Internet den Attentäter.
Stephan B. hat seine Taten gefilmt und per Livestream ins Netz gestellt. Mit Bekanntwerden der Details zum Anschlag verhöhnen viele Nutzer im Internet den Attentäter. dpa

Halle (Saale) - Es war einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte: Der rechtsterroristische Angriff von Halle am 9. Oktober 2019 machte weltweit Schlagzeilen.

Hier finden Sie die Live-Berichterstattung vom 19. Prozesstag  gegen Stephan B. am 4. November in Magdeburg. Vom Prozess berichtet heute Jan Schumann.

4.11.2020: Tag 19 im Terrorprozess gegen Stephan B. um den Anschlag von Halle

15.31 Uhr: Nebenklageanwälte werten Schüsse auf den Kiez-Döner ebenfalls als Mordversuch
Einige Nebenklageanwälte sehen auch in den Schüssen auf den Kiez-Döner einen Mordversuch, der bisher nicht Teil der Anklage ist. Der Senat um Mertens wird darüber beraten.

Die Richterin äußert sich auch bereits vorsichtig zum gerade gestellten Antrag des Attentäter-Verteidigers Hans-Dieter Weber: Aus ihrer Sicht ist eine Aussetzung des Prozess vorerst nicht notwendig. Der Prozess geht in eine kurze Pause – weiter geht es am 17. November.

14.52 Uhr: Mordversuch statt Körperverletzung: Stephan B.s Verteidiger will Aussetzung des Prozesses

Stephan B.s Verteidiger Hans-Dieter Weber beantragt eine Aussetzung des Prozesses, mindestens aber eine dreiwöchige Pause der Hauptverhandlung. Grund: Teile der Nebenklage wollen den Unfall auf der Magdeburger Straße nicht als fahrlässige Verletzung, sondern als versuchten Mord gewertet sehen.

Stephan B. hatte auf der Flucht einen Mann aus Somalia angefahren und leicht verletzt. Darauf will sich die Verteidigung offenkundig neu einstellen und vorbereiten. Der Senat um die Vorsitzender Richterin Ursula Mertens will bis kommenden Mittwoch über Webers Antrag beschließen.

Stephan B. unterhält sich mit seinem Verteidiger Thomas Rutkowski (r).
Stephan B. unterhält sich mit seinem Verteidiger Thomas Rutkowski (r).
dpa-Zentralbild

13.11 Uhr: Passant auf der Flucht angefahren: Nebenkläger sehen weiteren Mordversuch

Mehrere Nebenklage-Anwälte wollen Stephan B. für eine weitere versuchte Tötung bestraft sehen. Es geht um eine Situation auf der Flucht im Mietauto durch die Magdeburger Straße. Damals hatte Stephan B. bei hoher Geschwindigkeit einen Passanten aus Somalia angefahren – bisher ist das in der Anklageschrift lediglich als fahrlässige Körperverletzung aufgelistet.

Allerdings ist bei einigen Nebenklägern mittlerweile die Überzeugung gereift, dass auch dies ein Mordversuch war: Stephan B. habe den Passanten absichtlich angefahren, gar beschleunigt und so die Tötung in Kauf genommen. Ein weiterer Hinweis: Auf seiner Flucht spielte B. unter anderem ein Lied im Autoradio, das Bezug auf ein Attentat in Toronto nahm, bei dem ein Auto als Mordwaffe benutzt wird.

Bei der Kollision auf der Magdeburger Straße war der Passant leicht verletzt worden. Bisher sieht die Bundestaatsanwalt Mordversuche gegen 68 Menschen am Tag des Attentats. Sie lehnt den Antrag aus der Nebenklage ab.

12.40 Uhr: Stephan B. hatte Video der „Atomwaffendivision“ auf der Festplatte

Stephan B. hat seine Tat gefilmt und live ins Netz übertragen - das Video verbreitete sich in kurzer Zeit auf Handys in Deutschland und weltweit.
Stephan B. hat seine Tat gefilmt und live ins Netz übertragen - das Video verbreitete sich in kurzer Zeit auf Handys in Deutschland und weltweit.
dpa-Zentralbild

Kurzer Zeugenauftritt eines BKA-Beamten. Der 37-Jährige hatte die Festplatte und den USB-Stick ausgewertet, die Stephan B. auf dem Beifahrersitz des Fluchttaxis hinterlassen hatte. Auf der Festplatte fand die Polizei unter etlichen Gewaltvideos auch einen Film der rechtsextremen „Atomwaffendivision“.

Die extrem radikale Gruppe ist in den USA aktiv, will aber auch international wirken. Der Film auf Stephan B.s Festplatte endet laut BKA mit der Aufforderung: „Join you local nazis“ (etwa: Tritt deinen lokalen Nazis bei). Daneben hatte B. laut Polizei auch brutale Hinrichtungsvideos des IS abgespeichert.

12.28 Uhr: Nutzer auf Telegram verhöhnen B. als „Virgin Shooter“

Hat Stephan B. seine Taten im Netz angekündigt? Schwarz schildert, dass sie auf einem deutschen Imageboard eine Art Ankündigung aus dem Jahr 2018 gefunden habe, sie ist mit S.B. unterzeichnet, den Initialen des Angeklagten. Vorerst bleibt offen, ob der Text von Stefan B. stammt.

Weiter auf Telegram: Schwarz zeigt, dass sich auch auf dieser Plattform der Hass teils gegen B. wendete. Dort wird er unter anderem als „Virgin Shooter“ (etwa: Der jungfräuliche Attentäter) verhöhnt.

12.06 Uhr: Anwalt zur Expertin-Analyse: „Das hätten wir vom BKA erwartet“

Nebenklägern ist beim Vortrag der Expertin anzumerken, dass sie sich in Sachen Netzaktivität rund um den Anschlag erstmals gut beraten fühlen in diesem Prozess. „Vielen Dank, dass Sie uns das erläutert haben“, sagt der Anwalt David Herrmann an Schwarz gerichtet.

„Das hätten wir alle - glaube ich - eher vom BKA erwartet.“ Nun folgen einige Detailfragen zu den Imageboards – klar wird dabei, wie schwierige die Plattformen für Behörden zu greifen sind. Der Vorteil für Nutzer: Sie können dort anonym und ohne Zugangshürde im Grunde alles veröffentlichen.

Die Server stünden meist im Ausland, sagt Schwarz, „in der Regel da, wo Rechtshilfeersuchen nicht erfolgreich sind“. Wie finanzieren sich diese Boards, fragt ein Anwalt. Beantworten kann die Expertin das nicht. Aber: „Ich würde davon ausgehen, dass das nicht wahnsinnig viel kostet.“

Den Aufwand halte sie eher für gering, er richte sich nach der Frequenz der Seiten. Werbung werde jedenfalls nicht auf den Boards geschaltet. Nutzerzahlen kann sie auf Nachfrage aber nicht nennen. Schwarz bekräftigt aber: Antisemitismus, Rassismus und Gewaltverherrlichung seien ein wichtiger Bestandteil der Boards. In Teilen verbreiteten Nutzer auch den rechtsextremen Verschwörungsmythos des „Großen Austauschs“.

11.36 Uhr: Internetnutzer als Handlanger der Attentäters: Expertin spricht von „Terror-Crowdsourcing“

Für die Maschinerie nach der Terrorattacke von Halle nutzt Schwarz den Begriff „Terror-Crowdsourcing“. Nutzer erfüllten demnach zwei Funktionen, die dem Täter halfen: Zum einen vervielfältigen Internetnutzer das vorbereitete „PR-Paket“ (das Live-Video, aber auch das extremistische Pamphlet und die Waffen-Bauanleitungen), zum anderen sorgen Nutzer durch das vielfältige Hochladen der Täter-Propaganda dafür, dass das Material nicht mehr aus dem Internet verschwinde.

Der Prozess gegen den Attentäter von Halle nähert sich langsam dem Ende.
Der Prozess gegen den Attentäter von Halle nähert sich langsam dem Ende.
Ronny Hartmann/dpa-Zentralbild/dpa

Selbst Löschungen können der zigfachen Vervielfältigung nichts mehr anhaben. Im Fall Halle hat Schwarz bisher die schnelle Vervielfältigung von Stephan B.s Propaganda auf Imageboards und Telegram geschildert – später landete das Tatvideo auf massenhaft Handys bundesweit. Und das auch bei Menschen, die keinerlei Bezug zu diesen Boards haben.

10.41 Uhr: Schwarz warnt: Moderne Attentäter machen Netznutzer zu gefährlichen Multiplikatoren

Schwarz schildert die Gefahr, die von im Netz verbreiteten Tatvideos ausgeht – wie im Fall Halle. „Das Publikum wird einbezogen in die Tat, weil sie als Multiplikatoren wirken“, analysiert die Expertin. „Nutzer laden das Video herunter und laden es sofort auf anderen Plattformen hoch.“

So sei es bereits beim Attentat im neuseeländischen Christchurch im März 2019 gewesen, die gleiche Maschinerie habe im Fall Halle eingesetzt. Beide live übertragenen Taten lösten nach Schwarz’ Schilderungen regelrechte Erdbeben auf den Imageboards aus.

Nun spricht die Expertin über den Handymessenger Telegram, „das mittlerweile eine große Rolle spielt für die rechte Szene“. Große Teile des rechten Milieus seien zu diesem Dienst abgewandert, „man fühlt sich dort relativ sicher“, sagt Schwarz. Facebook, Youtube und Twitter hatten in den vergangenen Jahren hingegen zunehmend rechtsextremen Gruppen und Nutzer verbannt.

Auf Telegram verbreiteten sich laut Schwarz bereits gegen 13.30 Uhr – also noch vor der Festnahme des Attentäters – Videos und Bilder der Tat. Wieder zeigt Schwarz Screenshots, in denen Nutzer bereits eine rechtsextreme Tat herbeisehnen, noch bevor die Hintergründe des Anschlags klar sind. Schon zu diesem Zeitpunkt stellen Nutzer einen positiven Bezug zu anderen rechtsextremen Vorfällen in Deutschland her – darunter den Mord an Walter Lübcke und das Auffliegen der mutmaßlich rechtsterroristischen Nordkreuz-Gruppe.

10.18 Uhr: Das Livestream-Video verbreitet sich schnell auf viele Handys in Deutschland und weltweit

Mit Bekanntwerden der Details zum Anschlag verhöhnen viele Kohlchan-Nutzer im Internet den Attentäter. Stephan B. war mit seinem Angriff auf die Synagoge gescheitert, dann zerschoss er versehentlich den Reifen seines Fluchtwagens. „Wie kann man so ein Spast sein“, schreibt ein Nutzer. Andere weisen darauf hin, dass die Polizei während der kommenden Ermittlungen auch diese Internetseite sichten werde – es wächst die Furcht, dass viele Beiträge juristisch relevant sein könnten.

„Hallo liebe Polizei“, schreibt ein Nutzer: Alles, was er jemals auf dieser Seite geschrieben habe, sei Satire. Im Laufe des Tages verbreiten mehrere Kohlchan-Nutzer den Link zum Livestream-Video des Attentäters. „Wie runterladen?“, fragen Nutzer. Im Laufe der kommenden Tagen fand das brutale Video seinen Weg aus dem Netz auf viele Handys in Deutschland und weltweit.

Keineswegs ist der Hass auf den Imageboards seitdem gebändigt. Auch zum Prozessbeginn im Juli verhöhnen Nutzer den angeklagten Stephan B., zeigt Schwarz. Der gescheiterte Attentäter sei ein Versager, „kann ins Gas“, hetzt ein Nutzer.

10.04 Uhr: Schon Minuten nach der Tat verbreiten sich Spekulationen

Schwarz recherchierte ebenso auf Kohlchan, einem deutschen Imageboard. Auch 4-Chan, die amerikanische Vorbildseite, habe die Expertin gesichtet. Auf den Seiten herrscht quasi totale Meinungsfreiheit, die Betreiber dulden alle Inhalte – bis hin zu Rassismus und Menschenhass.

Schwarz schildert, wie sich binnen Minuten Spekulationen und Hass auf den Plattformen verbreiteten. Sie zeigt beispielhafte Screenshots mit Zitaten, in denen bereits am Mittag über einen islamistischen Anschlag spekuliert wird. Es gebe „reichlich menschenverachtende“ Beiträge, die sich über die Opfer lustig machen, so Schwarz.

Mit dem Livestream Stephan B.' s verbreiten sich im Netz binnen Minuten Spekulationen und Hass.
Mit dem Livestream Stephan B.' s verbreiten sich im Netz binnen Minuten Spekulationen und Hass.
dpa

„Da ist wohl ein Reichsbürger ausgerastet“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer: „Juden stellen sich wieder als Opfer dar.“ Ein Nutzer formuliert: „Zwei Tote: Ist mir viel zu wenig.“ Auf Kohlchan befürworten Nutzer die Taten ausdrücklich. „Einer von uns“, schreibt einer gegen 17 Uhr, andere antworten mit Neonazi-Erkennungscodes und rufen den „Tag X“ aus.

09.51 Uhr: Internet-Propaganda und Livestream: Gericht hört Extremismus-Expertin

Was tat der Attentäter von Halle, wie verbreitete er seine Neonazi-Propaganda im Netz? Zu dieser Frage hat das Gericht heute die Expertin Karolin Schwarz in den Zeugenstand geladen. Die 35-Jährige ist Forscherin, Journalistin und Autorin – sie arbeitete über Jahre hinweg an der Aufdeckung rechtsextremer Falschmeldungen im Netz.

Schwarz hatte am Tag des Anschlags sofort angefangen, einschlägige Internetseiten und Imageboards zu sichten, um nach etwaigen Ankündigungen des Anschlags zu suchen. Gegen 12 Uhr waren die ersten Schüsse gefallen, gegen 13 Uhr begann Schwarz ihre Recherche. Nach kurzer Zeit habe sie den Livestream des Attentäters im Netz gefunden, Stephan B. hatte seinen Angriff auf die Synagoge gefilmt und übertragen.

„Ich habe das LKA in Sachsen-Anhalt informiert – die haben mir gesagt, dass sie das schon kennen.“ Auch auf dem Handymessenger-Dienst Telegram sei das Video schnell aufgetaucht, so Schwarz. Der brutale Film zeigt nicht nur den versuchten Angriff auf die Synagogen in Halle, sondern auch die beiden Morde im Stadtgebiet.

Vorab: Darum geht es am 19. Tag der Verhandlung

Der Prozess zum rechtsextremen Anschlag von Halle neigt sich dem Ende zu. Für den heutigen Prozesstag ist eine Sachverständige geladen, die Aussagen zu den Internetaktivitäten im Anschluss an den Livestream des Attentäters am 9. Oktober 2019 machen soll.

Die MZ berichtet wie immer im Liveticker vom Prozess.

Rückblick auf den Prozess

1. Prozesstag: Stephan B. schildert Taten mit unverholener Freude

2. Prozesstag: Terrorist Stephan B. spricht über Spenden und Verschwörungsmythen

3. Prozesstag: Nebenklage beleuchtet familiäre Hintergründe

4. Prozesstag: Zeugen geben Einblicke ins Familienleben von Stephan B.

5. Prozesstag: Nebenklage kritisiert Entscheidung des Gerichts

6. Prozesstag: Ein genauer Blick auf das Waffenarsenal von Stephan B.

7. Prozesstag: Was trieb Stephan B. online - und was fanden die Ermittler?

8. Prozesstag: Zeugen setzen ein Zeichen – Wir lassen uns nicht einschüchtern

9. Prozesstag: Überlebende aus der Synagoge kritisieren Arbeit der Polizei

10. Prozesstag: Noch einmal sprechen die Überlebenden aus der Synagoge

11. Prozesstag: Zeugen schildern Angriff auf den Kiez-Döner in der LuWu

12. Prozesstag: Emotionale Aussage des Vaters von Kevin S. rührt den Gerichtssaal

13. Prozesstag: Polizisten schildern Schusswechsel auf der LuWu

14. Prozesstag: Stephan B.s Flucht aus Halle - fuhr er Somali absichtlich an?

15. Prozesstag: Opfer aus Wiedersdorf schildern Begegnung mit Halle-Attentäter

16. Prozesstag: Polizisten berichten über Flucht und Festnahme von Stephan B.

17. Prozesstag: Psychologe: Stephan B. wäre eine Hinrichtung lieber

18. Prozesstag: Angeklagter Stephan B. hält Psycho-Gutachten für „politisch motiviert“

19. Prozesstag: Tat-Video von B. löst Erdbeben in Online-Foren aus

20. Prozesstag: Weitere Terrorverdächtige speicherten Tatvideo aus Halle

21. Prozesstag: Bundesanwaltschaft fordert Höchststrafe

22. Prozesstag: Anwälte der Nebenklage halten Plädoyers

23. Prozesstag: Weitere Nebenklage-Anwälte halten Plädoyers

24. Prozesstag: Nebenkläger „macht sich für Kevins Tod verantwortlich“

25. Prozesstag: Drei Minuten Hass - Stephan B. leugnet in seinem letzten Wort den Holocaust

26. Prozesstag: Das Urteil

(mz/dpa)