MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 20. November 2025 Industriekrise schnell erklärt: Zu teure Produkte
Weitere Themen: Kanzler für Gaskraftwerk, Ackerpreise weiter hoch / Mehr Menschen in Geldnot / DHL investiert / Solarfabrik wird versteigert / Brücke kaputt

ich hatte zuletzt ein Problem bei meinem Auto, der Rußpartikelfilter war verstopft. Der Ersatz des Filters, der sich gut verbaut in Motorraumnähe befindet, hätte in einer Markenwerkstatt mehr als 2.000 Euro gekostet (Variante A). Spezialisierte Fachbetriebe bauen den Filter auch aus, lassen ihn professionell reinigen, dann wird er wieder eingebaut. Kosten: um die 1.200 Euro (Variante B). Und dann gibt es noch die Möglichkeit – dazu muss man sich aber selbstständig im Internet informieren – Sensoren abzubauen und den Filter mit einer Spüllösung zu reinigen – ohne Ausbau. Das kostet etwa 400 Euro (Variante C).
Der Nachteil bei Variante C ist, dass man nicht sagen kann, wie lang sie hält. 30.000 bis 40.000 Kilometer dürften es aber auf jeden Fall sein. Mein Auto ist schon etwas in die Jahre gekommen. Raten Sie mal: Für welche Lösung habe ich mich entschieden?
Warum schreibe ich das? Bei der deutschen Industrie verfestigt sich bei mir auch der Eindruck, dass sie eigentlich immer nur Produkte der Variante A verkauft, manchmal auch B. Das Modell C wird nicht angeboten – weil es zu den deutschen Arbeitskosten nicht anzubieten ist. „Wir sind doch kein Billig-Produzent“, heißt es dann oft. Doch dieses Geschäftsmodell kommt offenbar an seine Grenzen.

Die aktuelle Krise der deutschen Industrie hängt nur mittelbar mit Energiepreisen, Bürokratie und Fachkräftemangel zusammen. „In der Vergangenheit waren viele deutsche Industrieprodukte auf dem Weltmarkt zwar teurer als Konkurrenzprodukte, aber aufgrund von technologischem Vorsprung und technischer Reife wurden sie dennoch gekauft“, so Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau. Aktuell wachse der Welthandel, doch die hiesigen Industriefirmen würden davon nicht mehr so stark profitieren wie früher.
Die entsprechenden Zahlen dazu liefert eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW): Die deutschen industriellen Lohnstückkosten waren 2024 um 22 Prozent höher als im Durchschnitt der 27 Vergleichsländer und um 15 Prozent höher als im Euro-Ausland. Das heißt: Für jede produzierte Einheit zahlen deutsche Firmen im Schnitt ein Fünftel mehr an Löhnen. „Die hierzulande überdurchschnittlich hohe Produktivität reichte nicht aus, um den Nachteil der hohen Arbeitskosten zu kompensieren“, erklärte IW-Arbeitsmarktexperte Christoph Schröder. Allein von 2018 bis 2024 seien die Lohnstückkosten der hiesigen Industrie um 18 Prozent gestiegen.

Natürlich müssen die staatlichen Abgaben mindestens auf das Niveau anderer europäischer Staaten sinken, damit es mit der deutschen Wirtschaft wieder bergauf geht. Doch die Unternehmen müssen auch von sich aus innovativer und flexibler in ihren Angeboten werden. Sonst wird es künftig schwer, gegen China und die USA zu bestehen.
Ein anschauliches Beispiel ist der Versandhändler Amazon, der nicht nur wegen eines guten Services in Deutschland fast 60 Prozent Marktanteil hat. Amazon hat immer Produkte der Kategorien A bis C angeboten. Erst jetzt, wo neue Wettbewerber wie Temu auf den Markt kommen, die C-Produkte noch günstiger anbieten, hat Amazon ernsthafte Herausforderungen.
Hätte mir die Markenwerkstatt beim Rußpartikelfilter-Problem die Varianten A bis C angeboten, dann hätte der Betrieb sicher nicht die 2.000 Euro Umsatz gemacht. Doch ich wäre als Kunde erhalten geblieben und wie mein Großvater immer sagte: „Kleinvieh macht auch Mist.“
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Bis kommende Woche, herzlich Steffen Höhne
Weitere wichtige Wirtschaftsthemen aus Mitteldeutschland der Woche:
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