Überschuldung Erste Folgen der Wirtschaftsflaute: Mehr Menschen in Sachsen-Anhalt geraten in Geldnot
Zum ersten Mal seit vielen Jahren steigt die Zahl der überschuldeten Sachsen-Anhalter wieder. Vor allem in Großstädten aber auch manchen ländlichen Regionen wächst die Schuldenquote. Das liegt an den Folgen der Wirtschaftsflaute – aber auch an einem mitunter arglosen Kaufrausch.

Halle/MZ - Die Folgen der angespannten Wirtschaftslage treffen vermehrt auch Verbraucher: In Sachsen-Anhalt ist zum ersten Mal seit neun Jahren die Zahl der überschuldeten Privatpersonen wieder gestiegen. Das geht aus dem aktuellen Schuldneratlas für Sachsen-Anhalt des Finanzdienstleisters Creditreform hervor, den das Unternehmen am Freitag in Halle vorgestellt hat. Demnach stieg die Zahl der überschuldeten Einwohner bis Oktober um rund 1.500 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf knapp 196.000. „Die Wirtschaft steht auf wackligen Füßen. Das kommt jetzt auch bei den Verbrauchern an“, sagte Martin Plath, Geschäftsführer von Creditreform Halle/Dessau.
Als überschuldet gelten Menschen, die finanzielle Verpflichtungen wie Kreditraten oder Miete dauerhaft nicht mit ihrem Einkommen decken können. Im Bundesländervergleich liegt Sachsen-Anhalt mit einer Schuldnerquote von 10,73 Prozent der Bevölkerung auf dem vorletzten Platz – nur im Stadtstaat Bremen ist die Quote mit etwa zwölf Prozent höher. Zum Vergleich: In Bayern ist sie fast halb so hoch wie hierzulande, auch in Sachsen und Thüringen sind mit 7,71 und 8,21 Prozent vergleichsweise wenig Menschen überschuldet.
Großer Niedriglohnsektor begünstigt Überschuldung
Laut Creditreform-Geschäftsführer Plath gibt es für den Trend mehrere Gründe: Viele Unternehmen entließen derzeit Mitarbeiter oder bauten keine neuen Stellen auf. Gleichzeitig gebe es in Sachsen-Anhalt relativ viele Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Gerieten sie in finanzielle Not, sei es für sie oft schwierig, aus der Schuldenspirale wieder herauszukommen, so Plath. „Die Lebenshaltungskosten sind stark gestiegen, das darf man nicht vergessen.“
In Sachsen-Anhalt ist die Schuldnerquote in den größeren Städten besonders hoch. Spitzenreiter ist Halle mit knapp 15 Prozent, gefolgt von Magdeburg und Dessau-Roßlau. Das sei üblich, sagte Plath. Die meisten Überschuldeten ziehe es in Städte. Allein schon deshalb, weil hier ein Alltag ohne ein kostspieliges Auto einfacher machbar sei. „Es lebt sich verschuldet in einer Stadt besser als auf dem Land.“
Aber auch in einigen ländlichen Regionen stieg die Schuldnerquote zuletzt – etwa im Landkreis Mansfeld-Südharz. Hier fehle es schlicht an gut bezahlten Arbeitsplätzen, um aus der Überschuldung wieder herauszukommen. Und zum Pendeln brauche man ein Auto.

Die Gründe, aus denen Menschen in finanzielle Not geraten, sind laut Creditreform indes unterschiedlich. Häufig ist laut den Firmendaten der Verlust des Arbeitsplatzes, eine schwere Erkrankung oder eine „unwirtschaftliche Haushaltsführung“ der Grund für knappe Kassen. Geschäftsführer Plath sieht zudem in den Kreditangeboten vieler Online-Händler einen Treiber der Überschuldungsquoten. „Es gibt eine Überfrachtung an Kleinkrediten.“
Viele Shops im Internet böten unter dem Motto „Jetzt kaufen, später zahlen“ inzwischen unkomplizierte Finanzierungen für Alltagsprodukte an. Auch Abonnements etwa für Streamingdienste ließen sich mit wenigen Klicks abschließen. „Das sieht alles charmant aus, aber es sind finanzielle Belastungen. Die addieren sich.“ Vor allem jüngere Menschen rutschten dadurch häufiger in die Überschuldung.
Trotz Trendwende: Schuldner-Niveau weiterhin relativ niedrig
Die Daten zeigen aber auch: Trotz Negativtrend liegt das Niveau der Menschen mit Geldproblemen im Land weiterhin deutlich unter dem der Vergangenheit. Vor zehn Jahren waren etwa noch 244.000 Sachsen-Anhalt überschuldet – fast 50.000 mehr als heute. Martin Plath bewertet die aktuelle Trendwende daher vor allem als Warnsignal. Solange die Wirtschaftslage angespannt sei, hielten sich viele Unternehmen mit Investitionen auch in Personal zurück. Gleichzeitig sei zu erwarten, dass die Lebenshaltungskosten weiter steigen. „Der Trend wird sich verschärfen.“
Angesichts dessen plädiert er für eine Stärkung der finanziellen Bildung im Land. Die könne Menschen davor bewahren, aus Unwissen in eine Schuldenspirale zu rutschen. „Das ist das A und O.“ Seine Erfahrung sei zudem, dass viele Menschen einen einfachen Grundsatz nicht mehr berücksichtigen: „Leiste Dir nur das, was Du Dir leisten kannst.“