IHR WOCHENENDE MIT DER MITTELDEUTSCHEN ZEITUNG Frohe Einheit!

jedes Jahr wünscht mir ein Freund zum 3. Oktober „Frohe Einheit!“ – so, wie man sich zu Weihnachten oder Ostern ein frohes Fest wünscht. Für diesen Freund war es auch ein besonderer Moment, als er feststellen durfte, nun länger im wiedervereinigten Deutschland zu leben, als er in der DDR gelebt hatte. Der untergegangenen Republik weint er keine Träne nach, sie hat er als einengend, bevormundend und trist empfunden. Mit der neuen BRD ist er hingegen alles in allem zufrieden, er war allerdings auch seit der Wende keinen Tag arbeitslos. Das geht nicht jedem so im heutigen Sachsen-Anhalt – weder was die Arbeitslosigkeit angeht, noch was die Zufriedenheit mit der Wiedervereinigung angeht.
Mein Kollege Steffen Höhne hat zum 35. Tag der Deutschen Einheit mal die Fakten recherchiert und eine Bilanz gezogen. Die fällt gemischt aus: Wirtschaftlich gleicht sich Sachsen-Anhalt an Bundesländer im Westen an – aber gesellschaftlich wächst die Entfremdung wieder. Dazu hat er Fakten und Einschätzungen zusammengetragen, hier geht es zu seinem Text. Und Hagen Eichler ordnet in einem sehr lesenswerten Kommentar diese Ergebnisse ein, so bringt er seine Meinung auf den Punkt: „Wir fühlen uns als ein Volk, weshalb man die Wiedervereinigung gelungen nennen darf. Aber gerade weil wir ein Volk sind, ärgern uns fortdauernde Nachteile – was die Einheit zu einer unvollendeten macht.“ Hier geht es zum Kommentar.

Diese Diagnose betrifft vermutlich vor allem Menschen, die die deutsche Teilung noch bewusst erlebt haben. Aber wie ist das eigentlich bei den später Geborenen – jenen, die heute so alt sind wie die gar nicht mehr so neue Berliner Republik? Meine Kollegen Max Hunger und Julius Lukas haben mal 35-Jährige aus der Region gefragt, wie ihr Leben seit der Einheit verlaufen ist, was sie erlebt haben, wie sie auf die Wiedervereinigung und die DDR schauen. Hier geht es zu ihren Lebensgeschichten.

Mauerfall, Einheit und Umbruch haben aber auch bei vielen jungen Ostdeutschen, die damals Kinder oder Jugendliche waren, Spuren hinterlassen. Das hat die Berliner Sozialwissenschaftlerin Lara Bister in ihrer Doktorarbeit zur „Gesundheit der Wendekinder“ herausgefunden. Die Arbeit wurde jetzt auch preisgekrönt, Alexander Schierholz präsentiert hier die wichtigsten Ergebnisse der Studie.
Der Sachsen-Anhalter der Woche: Thomas Peckruhn
Buchstäblich durchgestartet nach der Wiedervereinigung ist der Sangerhäuser Thomas Peckruhn. Der heute 62-Jährige leitet eine Kette von Škoda-Autohäusern in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Niedersachsen mit 400 Mitarbeitern – und er ist Chef-Lobbyist der Kfz-Branche in Deutschland. Seine Leidenschaft für Automobile wurde aber in der DDR entfacht. Meinem Kollegen Max Hunger hat er seine Geschichte erzählt, hier geht es zum Text.

Die Geschichte der Woche: Aron Boks Spurensuche
Aron Boks, geboren 1997, ist auch ein Nachwendekind. Der DDR hat er sich genähert über eine Spurensuche in seiner Familiengeschichte. Da gibt es einiges zu erzählen. Sein Urgroßonkel war der Maler Willi Sitte. Über ihn hat Boks bereits ein Buch geschrieben („Nackt in die DDR“). Jetzt hat sich Boks die Geschichte seiner Großeltern angeschaut, die eine Glasmanufaktur im Harz betrieben haben. Deren Produkte haben viele Menschen in der DDR zumindest unbewusst wahrgenommen, das Duo hat für unzählige Urlaubsheime, Tanzsäle und Kantinen Lampen und Leuchten geliefert. Boks hat nachgeschaut, was heute noch von dem Werk seiner Großeltern übrig ist – und präsentiert die Ergebnisse in seinem Buch „StarkStromZeit – Vom Leben in einem Staat, den es nicht mehr gibt“. Meine Kollegin Anja Falgowski hat hier die ganze Geschichte aufgeschrieben.

Der Satz der Woche: „Das ist der schönste Job der Welt“
Franz Müntefering hat einst mal behauptet, SPD-Bundesvorsitzender zu sein, sei das „schönste Amt neben dem Papst“. Wenn man bedenkt, wie oft die Sozialdemokraten ihre Vorsitzenden in den vergangenen Jahrzehnten gewechselt haben, muss man bezweifeln, dass der Job vergnügungssteuerpflichtig ist. „Papa Andi“, wie Andreas Wagner auch gerufen wird, hingegen glaubt man jedes Wort, wenn er seine Arbeit zum „schönsten Job der Welt“ erklärt – so enthusiastisch tritt er auf. Wagner ist der neue Leiter im Klubhaus der Jugend in Bernburg (Salzlandkreis). Dass er mal mit Jugendlichen arbeiten würde, war so nicht abzusehen, Wagner hat ursprünglich Schlosser gelernt. Wie der 47-Jährige am Ende in den Jugendklub fand und warum die Arbeit so viel Spaß macht, hat er meiner Kollegin Anja Riske hier verraten.

Hörtipp der Woche: Sonderpodcast zum Anschlag von Magdeburg
Sechs Menschen sind gestorben und 300 wurden beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt verletzt. Demnächst wird dem Attentäter Taleb A. der Prozess gemacht. Im Vorfeld des Verfahrens arbeiten MZ und Magdeburger Volksstimme gemeinsam den Anschlag in einem Podcast auf. In der zweiten Folge stehen die Opfer im Fokus. Reporter Alexander Walter berichtet etwa von Menschen, die nun jede Menschenansammlung meiden: „Es gibt Leute, die bis heute Probleme haben, auf Veranstaltungen zu gehen.“ Hier geht es zu dem kostenlosen Podcast „Hinter den Headlines“.

Das war meine MZ-Woche. Ich freue mich über Anregungen, Fragen und Kritik unter: [email protected]
Ich wünsche Ihnen eine „frohe Einheit“ – sowie ein friedliches und schönes Wochenende!
Ihr Kai Gauselmann