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Weblog 19. Juni Weblog 19. Juni: Elf Freunde müsst ihr sein

Von Peter Benedix 19.06.2017, 12:18
11 Freunde müsst ihr sein!
11 Freunde müsst ihr sein! Benedix

Wittenberg - Fußball. 22 erwachsene Männer (oder Frauen) laufen einem Ball hinterher. Ab und zu fällt einer um und damit sich alle freuen oder ärgern können wird das Runde ins Eckige befördert. Ich habe Freunde die kreidebleich und kaum ansprechbar werden, wenn der FC Bayern München irgendein Spiel in irgendeiner Saison zu verlieren droht. Mir fehlt dafür die entsprechende Verdrahtung im Kopf. Ich bin der klassische WM-EM-Mitläufer. Zu den großen Turnieren bin ich mit Freude mit dabei aber ansonsten finde ich Fußball unsagbar öde. Beste Voraussetzungen also für den kommenden Bericht, oder?

Vielleicht habe ich es schon einmal erwähnt – dieses kleine Spiel Wittenberg gegen den Vatikan war mal der Auslöser für das gesamte Filmprojekt und nun ist es endlich soweit. Am Mittwoch bin ich (Asche über mein Haupt) zum ersten Mal im Volkspark in Piesteritz. Das Abschlusstraining der Wittenberger Auswahl findet statt.

Es ist ziemlich warm und mit 18:30 Uhr auch nicht mehr früh am Tage. Nach und nach trudeln alle Spieler ein. Die meisten kommen direkt von der Arbeit, denn dies sind alles keine Berufsfußballer, sondern Freizeitkicker, die als Wittenberger Benefizteam für einen guten Zweck auflaufen. Wusste ich bisher nicht. Finde ich gut.

Peter Benedix ist Filmregisseur und arbeitet an einer Langzeit-Dokumentation über das Reformationsjubiläum 2017 in der Lutherstadt Wittenberg. Auf der Seite www.mz.de/herz und www.worandeinherz.de berichtet der 36-Jährige über die Fortschritte bei den Arbeiten an dem abendfüllenden Film über seine Heimatstadt. Sie erreichen Peter Benedix per Mail unter [email protected]

Das Training besteht zu Dreiviertel aus Übungen und zu einem Viertel aus Schaulaufen für den MDR. Die sympathischen Kollegen vom Fernsehen (nein wirklich – die waren echt nett) machen einen kleinen Bericht über das Spiel und gern wird hier und da noch einmal knapp an der Kamera vorbei gedribbelt oder ein kleines Interview gegeben. Schließlich gibt es noch eine knackige Ansprache vom Trainer und nun richten sich alle Blicke auf das Spiel am Samstag.

Doch vor den Samstag hat der liebe Herrgott den Freitag gesetzt - und dieser Freitag ist angefüllt mit Dankbarkeit. Danke Vodafone, dass dein Netz bundesweit gestört war und ich nur mit Mühe Stephan vom Kreissportbund erreichen konnte, um mich für das Abholen der vatikanischen Nationalmannschaft am Flughafen Berlin Tegel abzusprechen. Danke an Air Berlin, dass der einzige Flug, der an diesem Nachmittag gestrichen wurde, der Mannschaftsflug war. Danke an Google, welches uns ohne wirkliche Not so durch die Pampa geschickt hat, dass wir 2,5h von Berlin nach Wittenberg gebraucht haben. Aber der Reihe nach…

Da der Flug der Mannschaft gestrichen worden war, hat man die Jungs auf drei Flüge aufgeteilt. Für alle Drei fehlt mir die Zeit, also bin ich nur bei der ersten Landung dabei. Im Flieger sitzen der Präsident der vatikanischen Fußballmannschaft, ein Spieler, ein Fotograf und jemand, dessen Funktion ich bis heute nicht ergründet habe.

Niemand spricht Englisch oder Deutsch. Stephan vom Kreissportbund und ich sprechen kein Italienisch. Das kann man durchaus als ungünstig betrachten. Endlich sitzen wir alle im Kleinbus und fahren gen Wittenberg. Stau. Freund Google versucht uns glücklos daran vorbei zu leiten. Wir fahren durch Dörfer, von denen ich noch nie gehört habe, erkunden staubige Feldwege und als wir fast ein freilaufendes Huhn überfahren, versinke ich endgültig in meinem Sitz.

Die Römer müssen doch denken, dass wir in der tiefsten Walachei leben. Ein Stück A9 rettet dann doch noch das Bild vom deutschen Verkehrssystem und schließlich kommen wir heil am Ruderclub an. Dort wurde die vatikanische Flagge gehisst, was ich als äußerst sympathisch empfinde und es gibt feines Grillgut.

Ok…Stephan muss sich mit dem Essen etwas beeilen, denn gleich muss er zurück nach Tegel um den Rest der Mannschaft abzuholen. Armer Kerl, aber Hauptsache wir haben sie morgen alle beisammen. Zwar ist bisher nur ein Spieler der gegnerischen Mannschaft zugegen, aber wenn die alle so aussehen, wird das morgen nichts mit der Revanche.

Da sind sich zumindest die meisten unserer Spieler einig. Jünger und trainierter soll die gegnerische Mannschaft sein. Wir brauchen also mehr Mut.

Nachdem ich mich dankbar bei den Jungs unserer Mannschaft durchgefuttert habe, beschließe ich, noch einen Abstecher in die Stadt zu unternehmen. Ich war schon lange nicht mehr an einem Freitagabend in WB und bin etwas enttäuscht darüber, wie leer die Straßen doch sind.

Also praktisch wie immer – nur halt mit Reformationssommer. Dieser verdient seinen Namen heute jedoch nicht, denn es ist windig und unangenehm kühl. Bloß gut, dass das Bier von der Tanke mit den drei Buchstaben so kuschelig warm ist. Der nächste Tag wird bunt. Ab ins Bett.

Der Samstag beginnt mit einem Frühstück mit Türmer Klaus. Auf dem Markt ist Kinderflohmarkt, aber ich habe mein Kind nicht dabei. Schließlich finde ich die Nationalmannschaft und ganz im Gegensatz zu ihrem Gepäck, sind die Spieler inzwischen vollzählig eingetroffen und werden gerade von der Stadtwache durch den Lutherhof geführt.

Am liebsten sind mir heute die italienischen Touristen, welche sich vor Begeisterung fast nicht mehr einkriegen, wenn sie bemerken, wer da gerade im Trainingsanzug durch die Stadt flaniert. In der Collegienstraße werden alle spontan zu einem Kaffee eingeladen und nach und nach lernt der Vatikan die Stadt des Ketzers kennen. Ich möchte unbedingt dabei sein, wenn die Mannschaft auf die Türme der Stadtkirche geht.

Da gibt es nur ein kleines Problem – dies soll um 12:15 Uhr geschehen aber um 12:10 Uhr hole ich meinen Komponisten vom Bahnhof ab. Dieser wollte heute unbedingt dabei sein, um vom Spiel spezielle Tonaufnahmen zu machen. Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht, aber wir haben vom Hauptbahnhof bis zum Holzmarkt genau 3 (in Worten DREI) Minuten gebraucht und dies obwohl die Mittelstraße inzwischen nicht mehr direkt vom Bahnhof aus befahrbar ist.

12:13 Uhr springen wir aus dem Auto und rennen die 50 Meter bis zum Eingang des Turms. Die Tür ist offen. Wir sind im Turm. Wir sind schnell. Wir sind gut. Wir sind – zu spät. Auf halber Höhe kommt uns die Mannschaft entgegen. Sie sind schon 15 Minuten vor der Zeit nach oben gestiegen. Mist. Aber wie so oft, werden wir schnell entschädigt, denn durch diese zeitliche Verschiebung, kommt es zu einem zufälligen Treffen mit Pfarrer Block.

Zwischen ihm und dem Präsidenten der vatikanischen Mannschaft entwickelt sich ein freundschaftliches Gespräch. So sollte Ökumene in meinen Augen laufen. Locker und auf das Menschliche besonnen (zur Erinnerung – ich bin konfessionslos und kann mir solch lapidare Einschätzungen erlauben).

Dann geht es noch für alle in die Stadtkirche – die Keimzelle der Reformation und ursprünglich der verhassteste Ort für einen braven Katholiken. Aber wir leben nicht mehr im Mittelalter und so trifft diese kleine Sensation in den allgemeinen Touristenströmen kaum auf Aufmerksamkeit – abgesehen davon natürlich, dass ein Trainingsanzug nicht unbedingt das kirchentauglichste Outfit ist und das aufgestickte Wappen des Vatikans ohnehin nur die Wenigsten kennen.

Es ist Zeit für das Spiel.

„Die drehen hier alle ein bisschen wegen des Co-Trainers durch.“, erzähle ich kurz vorher meinem Komponisten Fabian. Er ist etwa 10 Jahre jünger als ich.

„Wer ist das denn?“

„Ede Geyer – hat wohl früher die Nationalmannschaft der DDR trainiert.“

EDE GEYER?!“, ruft Fabian laut.

„Ja. Kennst du den?“

„Wer kennt den denn nicht? Der war mal Trainer von Energie Cottbus. Mein Vater ist ein Riesenfan!“

Fußball ist einfach nicht meine Welt.

„Da hinten kommt er übrigens.“, sage ich.

„EDE GEYER. Wow!“

Nachdem sich alle an die Präsenz des (eigentlich recht bescheiden wirkenden) Promis gewöhnt haben, geht es für uns in die Kabine des Wittenberger Teams. Noch einmal betont der Trainer, dass es keine Schande wäre, zu verlieren ABER wir alle hier sind, um zu gewinnen. Machen wir es kurz – es wurde gekämpft, es wurde gefoult, es wurde gekickt – und am Ende steht es 2:0 für uns!

Leider nur für Leute mit gutem Gedächtnis, denn die Kampfbahn des Friedens hat keine Punkteanzeige, aber egal – in einem tollen Spiel machen wir die Römer platt. Symbolisch ist das 2:0 nach der 0:1 Niederlage im Hinspiel praktische perfekt. Beim Abpfiff bricht die Sonne durch die Wolken.

Irgendeine unserer Kirchen lässt (zufällig) die Glocken läuten und alle sind mächtig stolz. Richtig so. Habt ihr gut gemacht. Lange wurde darauf hingearbeitet und nicht nur der Sieg, sondern auch das ganze Erlebnis drum herum sei den Spielern und Initiatoren von Herzen gegönnt. Selbst wenn wir verloren hätten, so war dies doch in meinen Augen eine der schönsten der Aktionen in diesem Festjahr.

Nah an den Menschen, konfessioneller Dialog in einem konfessionsfreien Umfeld und ohne Übertreibung ein kleines Stück Geschichte. Wie das gemeinsame Abendmahl danach ausgesehen hat, werden mein Komponist und ich nicht mehr erfahren. Er macht noch ein Foto zusammen mit Ede Geyer und dann sitzen wir schon wieder im Zug zurück nach Berlin. (mz)