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MZ-Serie „Lebenswege“ Wie ein junger Soldat aus Halle dem Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ den Rücken kehrte

Besonders gern ist Achim Baatzsch aus Halle nie Soldat gewesen. Im Oktober 1989 wusste er aber, dass er einen Schlussstrich ziehen musste.

Von Annette Herold-Stolze Aktualisiert: 02.11.2022, 19:28
Geht seinen Weg und versucht, sich treu zu bleiben: Achim Baatzsch
Geht seinen Weg und versucht, sich treu zu bleiben: Achim Baatzsch (Foto: Steffen Schellhorn)

Halle (Saale)/MZ - Im Oktober 1989 hatte Achim Baatzsch endgültig genug. Gut ein Jahr Wehrdienst beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ lag hinter ihm, als man ihn und andere Soldaten seiner Einheit für Einsätze gegen Demonstranten auszubilden begann. Die eigenen Leute niederknüppeln, mit denen er doch sympathisierte? Der damals 19 Jahre alte Hallenser entschloss sich, sein Entlassungsgesuch einzureichen.

Über Konsequenzen habe er sich damals nicht allzu viele Gedanken gemacht, erzählt er. Die Armeezeit sei ihm ohnehin als eine Art notwendiges Übel erschienen. „Dieses Marschieren, dieses Gehorchen, Disziplin halten – das fand ich furchtbar. Ich habe mich da nie wohlgefühlt.“ Zu drei Jahren hatte er sich dennoch verpflichtet – um besser planen zu können, wie er sagt.

Auf keinen Fall habe er beruflich loslegen und dann, vielleicht schon mit eigener Familie, eingezogen werden wollen, wie es anderen passierte. Und als er gefragt worden sei, ob er nach Berlin wolle, habe er – wissend, dass die meisten Kasernen der Nationalen Volksarmee (NVA) in der Provinz standen – zugestimmt. Der Name seines künftigen Regiments habe ihm nichts gesagt, und ihm sei damals auch nicht klar gewesen, dass es dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit unterstand.

Bei Freienbrink auf dem Wachturm

Allzu viel sei davon im Alltag auch nicht zu spüren gewesen. Auf die Grundausbildung folgten Wacheinsätze bei Freienbrink östlich von Berlin . „Wir haben auf einem Turm gesessen und ein Lager bewacht“, erzählt Achim Baatzsch. „Was da gelagert worden ist, wusste ich nicht.“ Später sollen in dem Waldgebiet Autos von DDR-Bürgern abgestellt worden sein, die im Sommer 1989 zu Zehntausenden das Land verließen.

Dem Entlassungsgesuch von Achim Baatzsch wurde im November stattgegeben, so ganz folgenlos blieb das allerdings nicht. Das schon vereinbarte Volontariat beim DDR-Fernsehen jedenfalls durfte er nun nicht mehr antreten. Achim Baatzsch kehrte zurück nach Halle. „Ich war eigentlich ganz froh, dass alles zu Ende geht“, sagt er über die DDR, erzählt aber auch von Dingen, die ihm gefallen hätten im Land seiner Kindheit und Jugend. Ein Oppositioneller sei er nicht gewesen, aber wenn ihm etwas gegen den Strich ging, habe er sich schon dazu geäußert.

So klein war der Trabant-Kofferraum eben doch nicht: Achim Baatzsch Ende der 1980er-Jahre an einem halleschen Badesee
So klein war der Trabant-Kofferraum eben doch nicht: Achim Baatzsch Ende der 1980er-Jahre an einem halleschen Badesee
Repro: Steffen Schellhorn

Das wird mit seinem Lettiner Elternhaus zu tun haben, in dem er mit drei Geschwistern aufwuchs. Mutter und Vater, beide Reichsbahner, hätten sich von der Politik ferngehalten. Sparsamkeit sei den Eltern wichtig gewesen. Auch ihn habe neben Gleichgültigkeit Verschwendung immer gestört, erzählt Achim Baatzsch, in der DDR unnötig laufende Wasserhähne oder leckende Leitungen in Buna ebenso wie gedankenloser Konsum heutzutage.

Schon vor der Wende habe er sich mit Umweltthemen befasst, Umweltbriefe in Wittenberg bestellt oder sich später als Soldat in der oppositionellen Umweltbibliothek im Berliner Bezirk Mitte informiert. Neben sparsamem Wirtschaften habe Fleiß zu Hause eine große Rolle gespielt. „Herumsitzen, das gab es nicht, zu tun war schließlich immer“, erzählt Achim Baatzsch. Er habe ganz gern herumgewerkelt und auch mit einem einschlägigen Beruf geliebäugelt. Bis ihn ein Schulfreund mit eigenen Radiosendungen, aufgenommen auf Tonband, begeisterte. Gemeinsam hätten sie solche Sendungen für den Schulfunk produziert und sich damit erfolgreich beim Fernsehen beworben. Doch daraus sei dann ja nichts geworden.

Die Tochter studiert wieder Vater in Leipzig

Journalistisch sollte er dann dennoch arbeiten, unter anderem bei den halleschen „Sonntagsnachrichten“. Bis er 1992 sein Journalistikstudium in Leipzig begann, kombiniert mit Anglistik. Nach dem Diplom verschlug es ihn nach Warschau, zu seiner künftigen Frau. 19 Jahre lang war Achim Baatzsch in Polens Hauptstadt zu Hause. Er kehrte zurück, weil die zweisprachig aufgewachsene gemeinsame Tochter – die Eltern hatten sich mittlerweile getrennt – in Deutschland das Abitur ablegen wollte. Inzwischen studiert sie in Leipzig.

In Polen hat Achim Baatzsch viel als Übersetzer gearbeitet. Inzwischen nutzt er beruflich, was er neben der Sprache dort gelernt hat: Er berät Migranten, sich hierzulande zurechtzufinden. Darunter sind viele Polen, aber auch Afghanen, Rumänen oder Bulgaren suchen seine Hilfe. Nach einer Anstellung bei der Caritas übt der 52-Jährige seine Arbeit seit Anfang des Jahres in Halle und Weißenfels selbstständig aus.

Ob die Beratung seine letzte berufliche Tätigkeit sein wird, weiß er noch nicht. Er könne sich gut vorstellen, wieder nach Warschau zu gehen, sagt er. „Die Menschen sind mir sehr nahe, seit ich ihre Sprache spreche.“ Heute wie damals, sagt er mit Blick auf sein Leben vor und nach der Wende, sei Geld jedenfalls nicht sein Antrieb gewesen. „Geld erzieht Menschen zu Egoisten“, findet er. „Stünde das Soziale im Mittelpunkt, würde unsere Welt besser funktionieren. Man würde sich auf das Wesentliche konzentrieren.“