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MZ-SERIE „LEBENSWEGE“ Warum ein stadtbekannter Politiker in Halle die Wende als großen Gewinn bezeichnet

Bernhard Bönisch saß zur Wende am Runden Tisch Bildung - und fand damit den Einstieg in die Politik. In der war der Mathematiker dann Jahrzehnte aktiv.

Von Katja Pausch 21.10.2022, 23:00
Mit dem Fahnenmonument am Hansering verbinden sich für den Politiker Bernhard Bönisch Erinnerungen an die Wendezeit in Halle.
Mit dem Fahnenmonument am Hansering verbinden sich für den Politiker Bernhard Bönisch Erinnerungen an die Wendezeit in Halle. (Foto: Steffen Schellhorn)

Halle (Saale)/MZ - Ob er sich politisch hätte engagieren können, hätte es die Wende nicht gegeben? Bernhard Bönisch, 19 Jahre lang Landtagsabgeordneter der CDU, Kreisvorsitzender seiner Partei, Stadtrat, zwei Mal Oberbürgermeister-Kandidat, überlegt: Sicher nicht. Nicht aus Unwillen, sondern weil er als Katholik zu DDR-Zeiten wenig Möglichkeiten des politischen Engagements gehabt habe. „Was wäre, wenn ...?“, darüber denke vermutlich jeder im Laufe des Lebens nach. Und auch, dass manches hätte anders oder vielleicht auch besser laufen können. Wem ginge das nicht so?

Bernhard Bönisch kommt 1953 in Halle zur Welt, legt sein Abitur 1972 an der Thomas-Müntzer-Schule ab. Danach steht der Grundwehrdienst bei der NVA an, den er als Richtschütze bei einem Panzerregiment ableistet. Diese Erfahrung sollte später im Leben des dreifachen Familienvaters noch einmal eine Rolle spielen. Denn zumindest als Elternaktiv-Vorsitzender darf der nicht-staatskonforme Hallenser etwas Einfluss nehmen.

Bei einem der in der DDR üblichen Kasernenbesuche, erzählt er, habe er die Schulklasse des Sohnes begleitet – und dort mit seinen Bemerkungen so manchen Linientreuen vor den Kopf gestoßen. „Alle waren hochbegeistert, den Kindern wurde von der tollen Verteidigungstechnik der sozialistischen Armee vorgeschwärmt“, erinnert sich Bönisch, der die „rollenden Särge“, als die er selbst Panzer empfunden habe, und überhaupt das Ganze anders, nämlich kritisch sieht.

Promotion und Job verwehrt

Nach der Armee beginnt Bönisch an der Martin-Luther-Universität Halle ein Studium der Mathematik, das Diplom hält er 1979 in den Händen. Doch wo es für andere Uni-Absolventen einen beruflichen Start gibt, kommt Bönisch nach Studienende nicht voran: „Ich bekam keinen Job.“ Dem Mathematiker, der promovieren will, wird eine Stelle als Forschungsstudent verwehrt, „weil ich einen schwarzen Fleck in der Akte hatte“. Als Assistent hingegen habe ihn ein Professor der Uni einstellen wollen. „Solch eine Assistentenstelle endete in der Regel in einer Promotion – das wollte ich unbedingt machen“, so Bönisch. Doch in einem Brief habe ihm die Universitätsleitung mitgeteilt, dass er aus „kaderpolitischen Gründen“ ungeeignet sei.

Auch die Jobsuche gestaltet sich schwierig, nicht nur deshalb, weil es für Mathematiker in den Betrieben wenig Einsatzmöglichkeiten gibt. „Im Studium hatten wir Informatik, so dass ich gern als Informatiker gearbeitet hätte.“ Der Bedarf in der Datenverarbeitung ist groß damals, und dennoch bekommt der hochqualifizierte Mathematiker keinen Job. „Die müssen meine Kaderakte gelesen haben“, sagt Bönisch, der Sprecher in der katholischen Studentengemeinde ist und West-Kontakte hat – beides Ausschlusskriterien für eine Jobanstellung, wie sie Bönisch vorhat. Jahrelang habe die Stasi die Post des begeisterten Schach- und Fernschachspielers geöffnet und kontrolliert. „Da hat man sich die Spielzüge auf Postkarten geschickt, die immer drei Tage Laufzeit hatten“, so der Schach-Experte. Er habe aber „immer nur Dienstag“ Post bekommen, egal ob Schach- oder normale Post, „da war mir klar, dass ich kontrolliert wurde“, so Bönisch, der zudem genötigt wird, sein geliebtes Fernschach aufzugeben. „Man traute mir nicht.“

Beruflich geht es dank einer sogenannten „Patenschaft“ über den jungen Uni-Absolventen dann doch voran: zunächst ab 1979 als EDV-Organisator im Energiekombinat Halle, von 1989 bis 2002 als Abteilungsleiter Betriebsorganisation und EDV im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara. Berufsbegleitend studiert Bönisch Diplom-Krankenhausbetriebswirtschaft.

Erste Montagsdemo verpasst

Im Dezember ’89 hatten sich die Montagsdemos mit Tausenden Teilnehmern vom Markt zum Hansering an das Fahnenmonument verlagert.
Im Dezember ’89 hatten sich die Montagsdemos mit Tausenden Teilnehmern vom Markt zum Hansering an das Fahnenmonument verlagert.
Foto: Lutz Sebastian

Die erste große Demo am 9. Oktober 1989 auf dem halleschen Markt verpasst Bernhard Bönisch – weil seine Frau Veronika an diesem Tag Karten fürs Gewandhaus in Leipzig hat. Heinrich Pera, Seelsorger am Elisabeth-Krankenhaus und Begründer der Hospizbewegung in Halle, habe Bönisch abgeraten, zur Demo zu kommen. „Bleib lieber zu Hause, man weiß nicht, was passiert“, habe Pera gesagt. Wenn Bönisch in Halle und seine Frau in Leipzig festgenommen würden, kämen die Kinder ins Heim. Damals in der Mittelstraße zu Hause, lauscht Bönisch den vom Markt herüberwehenden Rufen der Demonstranten. „Danach haben wir keine Demo mehr verpasst“, so Bönisch, der sich vor allem an die am Fahnenmonument erinnert.

Man habe mit Gleichgesinnten über die Zukunft gesprochen, was jetzt zu tun sei. In die CDU, später Bönischs politische Heimat, will der Hallenser da noch nicht. Im Januar 1990 gerät Bönisch an den Runden Tisch Bildung, wird Moderator auf katholischer Seite, auf evangelischer ist es Pfarrer Detlev Haupt. „Das war mein Einstieg in die Politik“, sagt Bönisch, der 1991 in die CDU eintritt. Politisch aktiv wird Bönisch erst nach der Wende, die er aufgrund der Möglichkeiten, die Gesellschaft mitzugestalten, als „großen Gewinn“ bezeichnet. Seitdem hat Bönisch sein Leben der Politik gewidmet – bis heute.