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OB Bernd Wiegand OB Bernd Wiegand: Freispruch mit Beigeschmack

Von Jan-Ole Prasse 09.02.2015, 19:48
Der Oberbürgermeister von Halle (Saale), Bernd Wiegand (r.), unterhält sich am 09.02.2015 vor Beginn seines Termins am Landgericht in Halle mit seinem Verteidiger Jan Schlösser.
Der Oberbürgermeister von Halle (Saale), Bernd Wiegand (r.), unterhält sich am 09.02.2015 vor Beginn seines Termins am Landgericht in Halle mit seinem Verteidiger Jan Schlösser. dpa/Archiv

Halle (Saale) - Von Freudentaumel ist bei Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) nach dem Freispruch nichts zu spüren. Im Gegenteil: Beinahe emotionslos verlässt er hastig nach der Urteilsverkündung den Saal. Den von einem Unterstützer im Gerichtssaal angebotenen Blumenstrauß lehnt Wiegand ab, sein Rechtsanwalt Jan Schlösser muss das Präsent übernehmen.

Dabei hätte der OB eigentlich allen Grund zur Freude. Nach einem sieben Monate langen Mammutprozess verlässt er als unschuldiger Mann das Landgericht in Halle. Die Kammer hat ihn am Montag vom Vorwurf der schweren Untreue entlastet. Und damit von einem Vorwurf, der ihn quasi seit Beginn seiner Amtszeit begleitet.

Denn die Einstellung und das Gehalt seiner Mitarbeiter hatte Wiegand an seinem ersten Arbeitstag als Oberbürgermeister festgelegt. Am 1. Dezember, einem Samstag, in seinem neuen Büro im Rathaus. Seitdem musste er sich immer wieder den Vorwurf der rechtswidrigen Zubilligung von höheren Gehältern gefallen lassen. Zunächst im Stadtrat von den drei Fraktionen CDU, SPD und FDP, dann auch von der Staatsanwaltschaft seit der Anklageerhebung im Februar des vergangenen Jahres. Diese Phase ist mit dem Freispruch vorbei, eigentlich ein Tag der Genugtuung für den 57-Jährigen.

Doch vielleicht ist es der Beigeschmack der Urteilsbegründung, die Wiegand von einer emotionalen Regung absehen lässt. Denn trotz des Freispruchs übt das Landgericht harte Kritik. An ihm und an seiner Entscheidung, seinen drei Angestellten - Büroleiterin Sabine Ernst sowie den Referenten Oliver Paulsen und Martina Wildgrube - die hohen Gehälter zuzubilligen. „Keiner der Mitarbeiter verfügte über eine entsprechende berufliche Vorerfahrung“, sagte der Vorsitzende Richter Helmut Tormöhlen.

Das Gehalt insbesondere für Wiegands Büroleiterin und engste Vertraute Ernst sei demnach auch aus anderen Motiven vergeben worden als rein nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. „Es war auch der Beweggrund da, Frau Ernst für ihre Loyalität in der Vergangenheit zu belohnen“, sagte Tormöhlen. Wiegand habe zudem zielgerichtet auf ein ordnungsgemäßes Auswahlverfahren verzichtet, sich über Warnungen aus der Verwaltung hinweggesetzt und sich am ersten Tag seiner Amtszeit alleine die Personalhoheit im Rathaus per OB-Erlass genommen. „Er war damit der Herrscher aller Reußen“, so Tormöhlen.

Nicole Böttger: Wenn der Oberbürgermeister nichts falsches gemacht hat, dann ist der Freispruch auch gerechtfertigt. Ich vertraue da der Justiz.

Ulla Warthold: Ich finde den Freispruch super, weil der Mann versucht, etwas für die Stadt zu tun. Gute Leute haben nunmal ihren Preis, das ist gerechtfertigt.

Gerhard Prautzsch: Das, was er gemacht hat, war nicht richtig, aber so läuft das nunmal in der Politik. Ich habe auf ihn immer große Stücke gehalten und das, was da vor Gericht lief, das war eine Intrige von Bernhard Bönisch.

Evelyn Jacobi: Der Freispruch ist nicht gerechtfertigt, denn für den Job der drei Mitarbeiter hätte sich sicher auch jemand anderes gefunden. Da hätte nicht so viel Geld gezahlt werden müssen, eine Verurteilung hätte ich begrüßt. Und die drei Mitarbeiter von Herrn Wiegand sollten das Geld zurückzahlen.

Tom Zaspel: Der Oberbürgermeister hat wenigstens etwas für die Stadt getan, zum Beispiel beim Gimritzer Damm. Der Freispruch freut mich, auch wenn ich sonst eigentlich kein wirkliches Vertrauen in die Politik habe.

Hans Heinemann: Zum Glück ist jetzt endlich Schluss mit diesem langen Verfahren, das sich so gezogen hat. Zur Sache selbst kann ich mich allerdings als Nicht-Jurist nicht äußern. Seine Sache macht der Oberbürgermeister sonst aber ganz ordentlich.

Susanne Preuß: Ich finde gut, dass er freigesprochen wurde. Er kann jetzt damit fortfahren, gutes für die Stadt zu tun. Wenn er tatsächlich zu viel Geld gezahlt haben sollte, dann war das vielleicht eine einmalige Sache, die man ihm verzeihen kann. Er macht so viel richtig, da kann man vielleicht auch ein Auge zudrücken.

Christian Wolfram: Ich habe das Verfahren zwar kaum verfolgt, aber mir kam es immer so vor, wie ein Kleinkrieg zwischen dem Stadtrat und dem parteilosen Oberbürgermeister.

Arno Erge: Ich bin mit dem Freispruch einverstanden. Dass der Oberbürgermeister mehr Geld gezahlt hat, ist gerechtfertigt, das macht die Bundesregierung auch. Der Mann tut etwas für Halle und soll noch lange Oberbürgermeister bleiben.

Auch auf den immer wieder vom OB geäußerten Vorwurf, dass die Kammer und die Staatsanwaltschaft politisch motiviert gehandelt hätten, geht der Richter ein. „Diese Polemik war das ganze Verfahren über sehr unschön. Ich weise das mit aller Härte zurück.“

Wiegand selbst nimmt diese Vorwürfe im voll besetzten Gerichtssaal beinahe teilnahmslos hin. Während der einstündigen Urteilsbegründung tippt er auf seinem Laptop, würdigt den Richter kaum eines Blickes. So hat es der Rathauschef beinahe den gesamten Prozess über gehalten. Und doch ist es am Ende Wiegand selbst, der den Freispruch erwirkt hat - mit seinem 40-minütigen Schlusswort im Verfahren am 29. Januar. Damals hatte er von einer ausführlichen, rechtlichen Prüfung der Einstufung seiner Mitarbeiter gesprochen. Nicht von ungefähr habe er nur drei seiner vier neuen Mitarbeiter die Erfahrungsstufe fünf zugeordnet. Der stellvertretende Pressesprecher Markus Folgner wurde mit Stufe zwei deutlich geringer bewertet.

Der parteilose Bernd Wiegand setzt sich in der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters von Halle mit 52,9 Prozent gegen Bernhard Bönisch (CDU) durch. Hier geht es zum Beitrag

Amtsantritt als neuer Oberbürgermeister. Bernd Wiegand unterschreibt die Arbeitsverträge mit seinen Mitarbeitern im OB-Büro. Darunter sind auch die Verträge mit Büroleiterin Sabine Ernst sowie den Referenten Oliver Paulsen und Martina Wildgrube. Bei allen drei wird die Erfahrungsstufe 5 festgelegt.

Bernd Wiegand baut die Verwaltung um. Ämter werden zusammengelegt, Leiter versetzt. Einige gehen dagegen juristisch vor.

In einem  gemeinsamen Brief an die Kommunalaufsicht werfen die Fraktionsvorsitzenden Bernhard Bönisch (CDU), Johannes Krause (SPD) und Gerry Kley (FDP) Bernd Wiegand rechtswidriges Verhalten. Sie rügen die Einstellungen in seinem Büro und werfen ihm die Fälschung des Stellenplanes im Haushalt vor.

Das Landesverwaltungsamt beanstandet den Haushalt der Stadt Halle. Unter anderem wird moniert, dass der eingereichte Stellenplan nicht mit dem vom Stadtrat beschlossenen übereinstimme. Am Ende wird der Haushalt genehmigt. Mehr dazu lesen Sie hier.

Die Staatsanwaltschaft Halle ermittelt gegen Bernd Wiegand wegen der Einstufung von Büroleiterin Sabine Ernst sowie der Referenten Martina Wildgrube und Oliver Paulsen.

Nach dem Jahrhundert-Hochwasser beginnt Bernd Wiegand mit dem Neubau des Gimritzer Dammes in Eigenregie der Stadt. Wenige Tage später stoppt das Landesverwaltungsamt den Bau. Das Verwaltungsgericht bestätigt den Baustopp. Mehr Infos hier.

Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt Personalakten im Rathaus. Lesen Sie hier mehr.

 Der Stadtrat spricht eine offizielle Missbilligung gegen Bernd Wiegand aus. Sie rügen seine Informationspolitik beim Deichbau. Hier geht es zum Beitrag.

Bernd Wiegand verliert vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg seine Klage gegen ein Disziplinarverfahren aus seiner Zeit als Beigeordneter. Die damalige OB Dagmar Szabados (SPD) hatte ihm die Bezüge um 20 Prozent gekürzt. In der Urteilsbegründung wirft das Gericht Wiegand systematisches Mobbing gegen seine ehemalige persönliche Referentin vor. Er soll ihr unter anderem keine Arbeitsaufträge mehr übertragen haben.

Auf einer Pressekonferenz in Halle verkünden Bernd Wiegand und Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens (CDU) eine Einigung beim Deichneubau. Hier geht es zum Beitrag.

 Die Staatsanwaltschaft lädt Bernd Wiegand zur Vernehmung.

Bernd Wiegand teilt mit, dass die Staatsanwaltschaft Halle Anklage gegen ihn wegen schwerer Untreue erhoben hat.

Die Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Halle lässt die Anklage gegen Bernd Wiegand wegen schwerer Untreue zu.

Prozessauftakt am Landgericht. Am ersten Tag gibt Wiegand eine 40-miütige Erklärung ab. Er weist die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft vehement zurück. Hier geht es zum Beitrag.

Das Landesverwaltungsamt genehmigt endgültig den Neubau des Gimritzer Dammes. Wiegands geplante Deichlinie wird weitgehend bestätigt. Lesen Sie hier den ganzen Beitrag.

In seinem Plädoyer fordert Staatsanwalt Frank-Thomas Schulze 16 Monate Haft auf Bewährung für Wiegand wegen schwerer Untreue. Die Verteidigung beantragt Freispruch. Hier geht es zum Beitrag.

Die Anwälte des Oberbürgermeisters Bernd Wiegand (parteilos) haben am Donnerstag ihre Schlussvorträge im Untreue-Prozess gehalten. Sie beantragen erwartungsgemäß einen Freispruch. Hier geht es zum Beitrag.

Die für den 12. Dezember geplante Urteilsverkündung wird vom Landesgericht verschoben. Die Kammer beabsichtigt, erneut in die Beweisaufnahme einzutreten und an weiteren Verhandlungstagen im Januar 2015 noch Zeugen zu vernehmen. Hier geht es zur Meldung.

Die Wirtschaftsstrafkammer hat am Montag Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) vom Vorwurf der schweren Untreue freigesprochen. Damit folgten die Richter um den Vorsitzenden Helmut Tormöhlen dem Antrag der Verteidigung. Hier geht es zur Meldung.

Dies wertet das Gericht als eine zulässige Ermessensentscheidung. Es sei nicht zu widerlegen, dass Wiegand rechtlich geprüft habe. Die Verteidigung wertet den Freispruch dann auch anders als die Kammer. „Heute ist ein Tag des Rechts. Die Gerechtigkeit hat obsiegt“, sagt Rechtsanwalt Jan Schlösser auf der Pressekonferenz im Rathaus nach dem Urteil. Wiegand selbst äußert sich nicht. Für ihn beginnt heute schon wieder der Alltag als OB. Um 10 Uhr hat er zur Beratung mit seinen Beigeordneten geladen.

Überrascht vom Urteil zeigte sichBernhard Bönisch, CDU-Fraktionsvorsitzender des halleschen Stadtrats. Nun gelte es, das Urteil genau zu prüfen und Konsequenzen zu ziehen. „Es gibt Regeln in der Stadtverwaltung, und die müssen eingehalten werden“, sagte Bönisch. „Dies ist in diesem Fall nicht geschehen. So wird die Anstellung der drei Mitarbeiter teurer, als wir es uns gewünscht hätten.“ Der zähe Prozessverlauf habe jedoch deutlich gemacht, dass „sich das Gericht Mühe gegeben hat.“ Das Urteil sei zu akzeptieren. Bönisch kündigte an, dass er sich, wenn nötig, dafür einsetzen würde „die stadtinternen Regeln für Einstellungen“ zu präzisieren.

Ähnlich äußerte sich Kay Senius, SPD Stadtrat. „Offenbar galt der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten.“ Die Länge des Verfahrens hätte zwei Sachen klar gemacht, so Senius. „Erstens, dass sich das Gericht sehr schwer getan hat mit einer Einigung. Und zweitens, dass die Tatvorwürfe wohl nicht ganz falsch waren.“ Nach einer detaillierten Auswertung der schriftlichen Urteilsbegründung könne die fraktionsübergreifende Beratung darüber beginnen, wie im Stadtrat mit Wiegands Freispruch umzugehen sei, sagte Senius. Mit Blick auf die Außenwirkung des deutschlandweit beachteten Verfahrens sagt der SPD-Stadtrat: „Für Halle ist es gut, dass wir keinen OB haben, der erstinstanzlich verurteilt ist.“

Der frühere Oberbürgermeister Klaus Rauen (CDU) appellierte, dass nun zum Wohle  der Stadt ein Neuanfang zwischen dem Stadtrat und dem Rathauschef versucht werden müsse: „Wiegand gilt nun nach dem Freispruch als unschuldig, aber er hat dennoch eine Reihe von Fehlern gemacht. Das Klima ist erheblich beeinträchtigt.“ Auch der Oberbürgermeister sollte nun Größe zeigen und über seine Fehler und seine Alleingänge nachdenken, meint Rauen. „Die Stadt kann nur Schaden davon tragen, wenn sich der Rat  und der Oberbürgermeister ständig in den Haaren liegen“, sagte das ehemalige Stadtoberhaupt.

Der Ehrenbürger der Stadt Halle, der frühere NT-Chef Peter Sodann, freut sich über den Freispruch: „Wiegand ist vom Volk gewählt worden und kann nun sein Werk fortsetzen.“ Wiegands Gegner hätten alle Anstrengungen unternommen, um ihn aus dem Amt heraus zu drängen. Um so mehr freut es Sodann, das die Richter eine vernünftige Entscheidung getroffen haben und sich nicht auf einen – so Sodann – „Revanche-Prozess“ eingelassen haben.

In den Ratsfraktionen herrscht erst einmal Zurückhaltung: Sowohl Linken-Fraktionschef Bodo Meerheim als auch Tom Wolter (Mitbürger/Neues Forum) wollen zunächst die Urteilsbegründung abwarten. „Bis dahin ändert sich erst mal nichts, wir werden weiter sachlich zusammenarbeiten“, so Wolter. Meerheim hofft darauf, dass sich mit dem Prozessende nun auch die Spannungen zwischen Rat und Wiegand legen.

Inés Brock, Fraktionsvorsitzende der  Grünen, hofft darauf, dass nach dem Urteil nun Normalität in der Stadt einkehrt. Die beste Lösung sei daher auch, wenn die Staatsanwaltschaft keine Revision einlegen würde und sich der Stadtrat nun endlich wieder auf Sachthemen konzentrieren könnte.

Michael Schädlich, Präsident des halleschen Fußballclubs, hofft auf eine befreiende Wirkung für die hallesche Stadtpolitik. „Ich kann nur hoffen, dass alles, was die Akteure dieser Stadt bisher vom Arbeiten abgelenkt hat, nun beseitigt ist“, sagte Schädlich. Er wünsche sich, dass die politische Zusammenarbeit zwischen Oberbürgermeister und Stadtrat künftig auf einer sachlicheren Ebene stattfinden werde. „Die Nebenkriegsschauplätze wurden nun hoffentlich auf Justizebene geklärt. Jetzt sollte es eine vernünftige Geschäftsgrundlage geben.“

Wenig überrascht ist Michael Gekle, Dekan der medizinischen Fakultät der Uni Halle, von der Entscheidung des Landgerichts. Schon durch die Länge des Prozesses habe er nicht mit einer Verurteilung zu einer hohen Strafe gerechnet. Entscheidend sei nun, ob Wiegand gestärkt oder geschwächt aus dieser Affäre herausgehen. „Wenn Wiegand weiter im Amt bleibt, ist es wichtig, einen Strich zu ziehen, damit er sich gut für Halle einsetzen kann“, meint Gekle.

Gratulationen an den freigesprochenen Bernd Wiegand kommt vom evangelischen Kirchenkreis Halle-Saalkreis. Superintendent Hans-Jürgen Kant sprach von einem erfreulichen Urteil für die Stadt. „Die Vorwürfe haben schwer gewogen. Ich kann nur sagen: Herzlichen Glückwunsch!“ Ein Schuldspruch hätte ein schlechtes Licht auf jede weitere Entscheidung des Oberbürgermeisters geworfen, so Kant. „Für die politische Arbeit in der Stadt ist positiv: Das Gericht ist in seiner Entscheidung sehr klar.“ Für das Image der Stadt Halle sei es eine gute Nachricht, dass dem Oberbürgermeister kein Unrecht nachgewiesen wurde.

Oberbürgermeister Bernd Wiegand auf dem Weg ins Gericht
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