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Mitteldeutscher Marathon Mitteldeutscher Marathon: Straßenschlacht ohne Verlierer

Von Steffen Könau 31.08.2003, 17:37

Halle/Leipzig/MZ. - Und gegen den eigenen Körper kämpfen sie alle, die an diesem Sonntagmorgen in Halle zum zweiten Mitteldeutschen Marathon nach Leipzig angetreten sind. Die einen jagen persönlichen Bestzeiten nach, die anderen laufen dem Moment davon, in dem die Beine nicht mehr wollen und der Kopf sie nicht mehr zwingen kann. Walter Matthes, ein drahtiger Mann mit silbergrauem Haar, das ihm nach drei Stunden und 49 Minuten Straßenschlacht nass an der Stirn klebt, weist hinter sich, wo die Läufer nicht mehr einzeln durchs Ziel schweben wie noch die ersten paar, sondern in Gruppen herein humpeln. "Nicht mehr lange, dann kommt das richtige Elend."

Bis hierher ist alles locker, alles Spaß, auch wenn die Umarmungen der Läufer, die sich und die Strecke überwunden haben, suppig feucht sind und jeder Händedruck vor Schweiß quietscht. "Es geht darum, durchzukommen", sagt Elke Espig aus Weißenfels, die am Fahrbahnrand sitzt und die wunden Zehen massiert, "das Gefühl, dass man dabei hat, entschädigt für alles."

Für das Pochen im Knie, für den wundgeriebenen Knöchel, den Schweißgeschmack auf den Lippen. Hinterm Zielstrich fallen sie auf die Knie, reißen sich die T-Shirts vom Körper, wedeln den wartenden Ehefrauen, Freunden und Kindern nur noch kraftlos zu, ein seeliges Lächeln im Gesicht. "Man muss seine Grenzen kennen", sagt Christian Lorenzen, der aus Hamburg nach Halle gekommen ist, um "zu zeigen, dass ich als Hamburger voll hinter der Leipziger Olympiabewerbung stehe". Lorenzen ist 61 und ein Walker, seit ihm seine Kinder eine Pulsuhr geschenkt haben. Die habe ihm gezeigt, dass er "meist viel zu schnell sei". Seitdem lässt der groß gewachsene Hanseat es ruhig angehen. "Sechs Stunden", sagt er morgens beim Warmmachen, "spätestens dann bin ich auch drüben."

Drüben, am Leipziger Zentralstadion, feiern sie vom späten Vormittag an jeden, der auf die Zielgerade biegt. Die Speed-Skater, die pfeilschnell vorüber zischen. Die Spaßstaffeln, deren Schlussläufer von Mannschaftskameraden frenetisch angetrieben werden. Und die Schulstaffeln, bei denen die Sekundarschule Kastanienallee aus Halle-Neustadt mit dem elfjährigen Landu Joao auf Platz fünf läuft, wie Sportlehrer Gunther Richter seiner Multi-Kulti-Truppe mit 42 Startern aus Deutschland, dem Irak, Syrien, Rußland und Angola Minuten nach dem Zieleinlauf stolz verkündet. "Letztes Mal waren wir zwar Erster", sagt Sozialarbeiterin Bärbel König, "aber dieses Jahr ist die Konkurrenz ja viel stärker."

Überall ist das so. Den ganzen Vormittag über haben immer noch mehr Läufer nachgemeldet, angelockt vom wunderschönen Langstreckenwetter. Auch die Zuschauer zieht es an die Marathonstrecke, überall applaudieren die Leute, feuern Wildfremde die vorüber trabende Kolonne an. Mitten im Jubel läuft Hannelore Kraya, Bürgermeisterin der Geiseltal-Gemeinde Beuna und Schluss-Starterin der Frauenstaffel ihres Ortes. Der Rest der Gemeinde steht im Ziel, wartet und träumt den Traum aller Marathonis: Ein warmes Bad. Ein kaltes Bier. Ein Bett. Und morgen früh bitte keinen Wecker.