MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 15. Mai 2025 Höchststand bei Pleiten: Marktbereinigung oder Niedergang der Industrie?
Weitere Themen: Millionenbuße für Baukartell / Papierfabrik schließt / Beliebteste Flughäfen / Chemiefabrik in Kur / Wohnungsbau auf Tiefstand

Ende vergangener Woche erhielt ich eine Reihe von Leserzuschriften zum Thema Unternehmensinsolvenzen. Die Zahl liegt in Sachsen-Anhalt und deutschlandweit auf dem höchsten Stand seit 20 Jahren. Einige Leser beschwerten sich, dass die Lage zu schwarzgemalt wird, andere sehen die Industrie im Niedergang.
Im MZ-Interview analysierte der hallesche Insolvenzverwalter Lucas Flöther erst einmal die Lage: Für die Welle an Insolvenzen macht der Sanierungsexperte, der unter anderem die Insolvenzen der Fluggesellschaften Air Berlin und Condor begleitet hat, die schnelle Abfolge von Krisen verantwortlich. Zu nennen sind: Corona-Pandemie, Lieferkettenengpässe, hohe Inflation, steigende Zinsen und Transformation von Industriezweigen.

Flöther kommt zu der Einschätzung: „Jedes Unternehmen, in jeder Branche, sollte sich fragen: Bin ich mittelfristig noch wettbewerbsfähig? Vor allem die Energie- und Personalkosten sind in Deutschland gestiegen.“ Nach seinen Worten kommt eine Insolvenz aber nicht über Nacht. Viele Unternehmen würden auf Warnsignale zu spät reagieren.
Diese Analyse findet bei den MZ-Lesern noch eine breite Zustimmung. Doch was folgt daraus? In den vergangenen Wochen sind namhafte Unternehmen wie der Autozulieferer Bohai Trimet aus Harzgerode (Harz) mit 570 Mitarbeitern, der Fotodienstleisters Orwo Net aus Bitterfeld-Wolfen mit 270 Mitarbeitern und das Seniorenheim Jenny Marx in Stendal mit 110 Mitarbeitern insolvent gegangen.Flöther weist zurecht darauf hin, dass die Insolvenz nicht das Aus des Unternehmens bedeuten muss. Gerade größere Betriebe bleiben oft nach einer Sanierung in verkleinerter Form bestehen. Findet nur eine „natürliche Auslese“ statt – von der andere Firmen am Ende auch profitieren können? Ist das lediglich der Nachholeffekt aus der Corona-Pandemie? Das ist aktuell noch die Meinung der meisten deutschen Ökonomen.

Ich wäre froh, wenn dem so ist. Doch habe ich Zweifel. Grund sind Studien wie von der Strategieberatung Oliver Wyman zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie. Wie das Handelsblatt exklusiv berichtet, summieren sich allein die Arbeitskosten hierzulande im Jahr 2024 im Schnitt auf mehr als 3.300 US-Dollar pro Fahrzeug.
Die Ausgaben für Löhne, Gehälter, Altersvorsorge und Sozialleistungen pro produziertem Fahrzeug für Autokonzerne sind selbst in Frankreich und den USA nicht einmal halb so hoch. Im weltgrößten Neuwagenmarkt China sind die Arbeitskosten mit 597 Dollar pro Fahrzeug fünfeinhalb Mal niedriger. Oliver Wyman hat 250 Fahrzeugfabriken weltweit verglichen.
Die Arbeitskosten sagen noch nichts über die Produktivität aus. Das deutsche System profitiert von einer engen Verzahnung von Herstellern und Zulieferern. Die nackten Zahlen machen aber deutlich, warum Mercedes, BMW und Audi zuletzt vor allem auf hochpreisige Modelle gesetzt haben. Die Automobilproduktion in Deutschland lag 2024 mit rund vier Millionen Fahrzeugen wieder auf dem Niveau der 90er Jahre.
Es ist zu früh für einen Abgesang auf die deutsche (Auto-)Industrie. Viele Konzerne und Mittelständler haben ein großes Innovationspotenzial. Durch Automatisierung, Digitalisierung und neue Produkte kann auch bei hohen Lohnkosten die Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden. Doch es gibt Warnsignale, dass das viele Firmen eben nicht gelingt. Allein ein Blick auf die Wirtschaftsnachrichten der Woche aus Mitteldeutschland macht das mehr als deutlich.
Wenn Ihnen der Newsletter gefällt, empfehlen Sie ihn weiter.
Bis kommende Woche, herzlich Steffen Höhne
Weitere wichtige Wirschaftsthemen aus Mitteldeutschland der Woche:
Millionenbuße für Baukartell
In einem Hotel bei Berlin sollen Baufirmen öffentliche Aufträge unter sich aufgeteilt haben. Das Bundeskartellamt verhängt jetzt eine Millionenbuße – auch gegen einen Landsberger Betrieb. (MZ)

Beliebteste Flughäfen
Die Fluggäste bewerten den Airport Lübeck als besten Flughafen in Deutschland. Frankfurt-Hahn landet auf den letzten Platz. Leipzig/Halle landet auf Platz vier. (MZ)

Autozulieferer schließt Werk
Der Autozulieferers Hollfelder-Gühring schließt sein Werk in Zorbau mit 70 Mitarbeitern. Der Schritt ist Teil einer strategischen Neuausrichtung in der kriselnden Automobilindustrie – auch wegen der Wende zur Elektromobilität. (MZ)
Aus für Batterien-Recyclingwerk
2025 sollten die Bauarbeiten für ein neues Recyclingwerk für Lithium-Ionen-Batterien in Wernigerode beginnen. Jetzt macht der Investor des 20-Millionen-Euro-Projektes einen Rückzieher. (VS)
Vlies-Hersteller investiert
In einem Jahr sollen Weltneuheiten für den Gebäudebau aus Halberstadt kommen. Das Schweizer Unternehmen SIGA investiert dafür 40 Millionen in der Harzkreisstadt. 70 neue Jobs entstehen zunächst. (VS)
Harzer Zulieferer baut Stellen ab
Mehr als 400 Beschäftigte arbeiten bei der Schunk Sintermetalltechnik GmbH in Thale. Die Hälfte soll sozialverträglich abgebaut werden. Der Standort bleibt aber erhalten. (MZ)

Neubau für Simson-Ersatzteile
Die Werkstatt ZT Tuning aus Plauen hat sich auf die alten Simson-Zweiräder spezialisiert und bekommt so viele Anfragen, dass es jetzt expandieren und umziehen muss. Dafür werden satte 13 Millionen Euro investiert.
Elektrofertiger expandiert
Die Tonfunk-Gruppe in Ermsleben hat ein neues Produktions- und Verwaltungsgebäude eröffnet, bis zu 60 Arbeitsplätze werden geschaffen. Neben der Standortsicherung stehen noch weitere Ziele auf der Agenda. (MZ)
Aus für Papierfabrik und Baustoffwerk
Die traditionsreiche Papierfabrik in Penig verliert 120 Arbeitsplätze. Nur wenige Wochen später folgt das Aus für das Baustoffwerk Limex. Der wirtschaftliche Schock in der Stadt ist groß. (FP)
Chemiefabrik geht in Kur
Das Unternehmen Domo stellt für drei Wochen alle seine Chemieanlagen in Leuna ab, um sie zu überholen. Das ist eine gute Nachricht aus einer Branche, die in der Krise steckt. (MZ)

Bauern-Frust über Intel-Flächen
Der US-Chip-Riese lässt seit einigen Wochen das Areal bei Magdeburg wieder landwirtschaftlich nutzen. Die Art und Weise der Auftragsvergabe gefällt nicht jedem. (MZ)
Wirtschaftsförderer ziehen Bilanz
19 Neuansiedlungen und Firmenerweiterungen stehen für fast 1000 Jobs, und der Freistaat Sachsen blickt auf sein zweitbestes Exportjahr. Wirtschaftsförderer sind zufrieden. (LVZ)
Autozulieferer auf Investorensuche
Der insolvente Autozulieferer Boryszew Kunststofftechnik aus Gardelegen kann dank guter Auftragslage weiterarbeiten. Tesla ist ein neuer Kunde. Gespräche mit Investoren laufen. (MZ)
Skeleton schließt Werk in Großröhrsdorf
Nach dem Blackout in Spanien und Portugal erhält der Spezialist für Energiespeicher zahlreiche Anfragen aus Südeuropa für Superkondensatoren zur Stabilisierung von Stromnetzen. Produziert wird nur noch in Markranstädt, nicht mehr in Großröhrsdorf. Dafür gibt es einen Grund. (SZ)
Wohnungsbau auf Tiefstand
In Sachsen-Anhalt wird deutlich weniger gebaut als noch vor wenigen Jahren. Damit wächst der Druck auf einen ohnehin angespannten Markt. (MZ)