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Bürgerinitiativen schlagen Alarm Bürgerinitiativen gegen Deponien in Sachsen-Anhalt diskutieren mit Landespolitikern: Wird Sachsen-Anhalt zum Müll-Importland?

Von Petra Korn 09.07.2020, 15:58
Protest gegen eine geplante Deponie in Reinstedt, die auf einem Teil der im Hintergrund zu sehenden Fläche entstehen soll.
Protest gegen eine geplante Deponie in Reinstedt, die auf einem Teil der im Hintergrund zu sehenden Fläche entstehen soll. Korn

Reinstedt - Das Transparent erinnert an die großen Schilder, die an den sachsen-anhaltischen Grenzen an den Autobahnen stehen. Nur war hier weder von Frühaufstehern noch von „#moderndenken“ die Rede.

„Willkommen im Land der EU-Giftmüll-Endlagerung“ hieß es auf diesem Transparent, das am Dienstagabend im Dorfgemeinschaftshaus in Reinstedt angebracht worden war. Dass ihr Bundesland genau das werden könnte, ist eine der Sorgen, die das Netzwerk der Bürgerinitiativen „Wir für Sachsen-Anhalt“ hat:

Befürchtet werde ein „schrittweiser Ausbau unseres Bundeslandes zum Abladeplatz für nicht lokal erzeugte Abfälle aus ganz Deutschland und Europa“. Hier schössen „Pläne ins Kraut, dieses lukrative Geschäftsmodell auszuweiten“, sagte Mike Beyer von der Bürgerinitiative „Nein zur Deponie“ aus Reinstedt, die den geplanten Bau einer solchen im Ort verhindern will.

Bürgerinitiativen sehen viele Pläne für lukrative Geschäfte mit Abfällen

Über das Thema Müllimportland sowie die Frage, wie eine Bürgerbeteiligung in Corona-Zeiten sichergestellt werden soll, wollten die Reinstedter und Vertreter der Bürgerinitiativen aus Ballenstedt, Jüdenberg bei Ferropolis und Roitzsch (Landkreis Anhalt-Bitterfeld), Beuna und Teutschenthal (Saalekreis) sowie Aderstedt (Salzlandkreis) mit Landespolitikern diskutieren.

Eingeladen hatten sie dazu Detlef Gürth und Lars Jörn Zimmer (beide CDU), Andreas Schmidt (SPD), Wolfgang Aldag (Bündnis 90/Grüne), Kerstin Eisenreich und Hendrik Lange (beide Linke) sowie Hannes Loth (AfD).

Dass seitens der Politiker betont wurde, dass Transparenz wichtig sei, es neben den Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten online auch solche offline geben solle, war den BI-Vertretern zu wenig.

Transparenz werde einfach erwartet, und man höre hier viel Empathie, hieß es. Doch in vier Wochen Auslegungsfrist sei es nicht möglich, bis ins Detail in die Unterlagen Einsicht zu nehmen und begründet Stellung zu nehmen.

„Pro Roitzsch“ weist auf Fortschreibung des Abfallwirtschaftsplans des Landes hin

Mehr noch aber forderten die BI-Vertreter von den Landespolitikern eine Stellungnahme dazu, „was die Politik dazu sagt, dass wir als Bürger sehen, dass wir zum Müllimportland werden“, wie es Nils Jansen-Rossek von der BI Jüdenberg „Natur auf der Kippe“ formulierte.

Thomas Rausch von „Pro Roitzsch“ hatte zuvor unter anderem auf die Fortschreibung des Abfallwirtschaftsplans des Landes von 2017 verwiesen: Hier seien jeweils drei Standorte für „DK0-Deponien“ - für gering belastete mineralische Abfälle - und „DKI-Deponien“ - für nicht gefährliche Abfälle - genannt.

Künftig könnten es elf bzw. zehn sein. „Das ist eine Verdreifachung der Deponiekapazität, wenn alles genehmigt wird“, so Rausch. Er forderte unter anderem einen neuen, rechtssicheren Abfallwirtschaftsplan und Schluss zu machen mit dem „Geschäftsmodell Abfallwirtschaft“.

Und, so fragte er nach, wer überwache eigentlich wirklich, dass man im Land nicht Klärschlammverbrennungsanlagen habe mit der zehnfachen Kapazität dessen, was derzeit tatsächlich verwertet werden müsse.

Müllentsorgung müsste wieder zur kommunalen Aufgabe werden, um Markt zu zerschlagen

Das Kreislaufwirtschaftsgesetz „macht Müll zu einem Markt“, sagte Andreas Schmidt. „Das kriegen wir nicht mehr eingetütet.“ Dazu müsste man die Müllentsorgung wieder vom Markt nehmen, sie zu einer kommunalen Aufgabe erklären - was wiederum auch Auseinandersetzungen mit Bürgern bedeute, wenn „die Müllpreise durch die Decke gehen“.

„Der Abfallwirtschaftsplan ist nicht in Stein gemeißelt“, sagte Lars Jörn Zimmer. Man könne sich diesen jetzt schon vornehmen und bewerten. Wolfgang Aldag hörte das mit Interesse: Er warte auf den Vorstoß der CDU.

Das Bergrecht regele, was aus Abbaugruben herausgenommen werde, „aber nicht, was dann wieder reinkommt“. Zum Verfüllen, erklärte Carola Obereigner von der BI „Gegen eine Giftmüllregion Halle“ würden immer mehr Giftstoffe genutzt, „die auch wieder zutage treten“.

Wenn das, was in Reinstedt auf einer neuen Deponie abgekippt werden solle - geplant ist hier eine Anlage für mineralische Abfälle -, in ein Bergwerk gebracht würde, sei das für alle Beteiligten am besten, fand Detlef Gürth.

Detlef Gürth verweist auf die komplexe Lage von Berg-, Abfall- und Umweltrecht 

Aber: „Solange ich meinen Recyclingschutt für ’nen Appel und ’n Ei abkippen kann, wird keiner das da runterbringen.“ Berg-, Abfall- und Umweltrecht müssten „normalerweise in eine Hand, wann immer es um die Verbringung von Abfall geht“, sagte Gürth; er nehme das noch einmal mit.

Hendrik Lange unterstrich, „dass wir Müll nicht als wirtschaftliche Zukunft für das Land betrachten sollten, sondern als Teil der Daseinsvorsorge“. Und Behörden sollten wieder in ihrer Kontrollfunktion gestärkt werden, fügte er hinzu.

Im Frühjahr soll es eine weitere Gesprächsrunde mit Landespolitikern geben. Man hoffe, dann Ergebnisse zu hören, machte Mike Beyer deutlich und fügte hinzu: Gegen dem geplanten Bau einer bis zu 27 Meter hohen Deponie in Reinstedt habe es innerhalb von vier Wochen mehr als 900 Einsprüche gegeben. „Da kann man sehen, wozu Bürger in der Lage sind.“ (mz)