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Hochwasser 2013 Hochwasser 2013: Feuerwehr im Dauereinsatz - Ein einziger, langer Tag

19.06.2018, 05:00
Als das Hochwasser endlich zurückging, gab es für die Feuerwehren in den betroffenen Bereichen kein Aufatmen. So wie hier in Zeitz musste überall Wasser abgepumpt, beräumt und aufgeräumt werden.
Als das Hochwasser endlich zurückging, gab es für die Feuerwehren in den betroffenen Bereichen kein Aufatmen. So wie hier in Zeitz musste überall Wasser abgepumpt, beräumt und aufgeräumt werden. Archiv/Helga Freund

Zeitz - Auch in Zeitz leistete die Feuerwehr während der Flutkatastrophe im Juni 2013 Übermenschliches. Das junge Team, bestehend aus Sachgebietsleiter Kai Pfützner und Wachleiter Kristian Holitschke, das der Feuerwehr damals vorstand, war aus Sicht vieler Feuerwehrleute, Mitarbeiter des Krisenstabes und Zeitzer Bürger ein echter Glücksgriff. Wie erinnert sich Holitschke, der inzwischen bei der Feuerwehr in Gera arbeitet, an die Zeit vor fünf Jahren? Angelika Andräs sprach mit ihm.

Woran denken Sie als erstes?
Kristian Holitschke: Bei dieser Frage gehen mir mehrere Gedanken durch den Kopf. Vor allem eine Situation. Bei meiner kurz zuvor abgeschlossenen Laufbahnprüfung für den gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst, sagte ein Ausbilder zu mir: „Herr Holitschke, eine Katastrophe in ihrem beruflichen Leben ist nahezu unwahrscheinlich!“ Ich musste mich dann gut vier Wochen später eines Besseren belehren lassen.

Ebenfalls denke ich an die vielen Stunden, die zum größten Teil ehrenamtlich geleistet wurden. Denke an Freunde und Kameraden, die durch die extremen Umstände, ein familiär-freundschaftliches Verhältnis aufbauten. Ich denke an das Gefühl, zusammen mit zwei zuverlässigen und gut ausgebildeten Kollegen an der Spitze einer Organisation gestanden zu haben, bei welcher ein bis dahin unvorstellbarer Zusammenhalt bestand.

Es gibt sicher noch viel mehr Eindrücke...
Holitschke: Ich muss an die vielen Situationen denken, wo nur noch Bauchgefühl weitergeholfen hat. Ich denke auch an die vielen Situationen, bei denen wir den Politikern „Nase an Nase“ gegenüberstanden und diese - mal vorsichtig ausgedrückt - baten, ihre politischen Entscheidungen umgehend taktisch zu überdenken. Auch die vielen Betroffenen gehen mir sofort durch den Kopf. Durch jedes einzelne Haus gingen wir und versuchten, den Leuten zu helfen oder sie im anderen Fall wenigstens aufzumuntern.

Was hat sich besonders eingeprägt?
Holitschke: Eingeprägt haben sich viele Gesichter. Gesichter von Personen, die am Ende ihrer Kräfte waren und dennoch nicht aufhörten bis zur absoluten Erschöpfung zu kämpfen. Eingeprägt haben sich die Bilder, als Hunderte Leute Sachgegenstände vor dem Wasser schützen wollten und nach stundenlangem Einsatz, die errichteten Sandsackdämme einfach weggespült wurden. Ebenfalls musste ich mit Erschrecken feststellen, dass Menschen oft egoistisch und wie wilde Tiere handelten. Dass Betroffenen teilweise völlig uneinsichtig waren und für Gegenstände, die zum Teil ersetzbar waren, ihr Leben riskierten. Hier darf man allerdings nicht alle in einen Topf werfen.

Es gab sicher noch viel mehr Eindrücke?
Holitschke: Ja, es hat sich eingeprägt, dass die Helfer in solchen Situationen auch schnell zu Opfern werden. Ein Beispiel dafür sind die vielen gestohlenen Tauchpumpen und Stromerzeuger. Während der kurzen Erholungsphasen nutzten Diebe die Gunst der Stunde. Eingeprägt haben sich auch die vielen mündlichen Versprechen von unseren politischen Gesamtverantwortlichen. Versprechen welche in den nächsten Jahren höchstwahrscheinlich nicht eingehalten werden. Unter anderem die Ertüchtigung des Elsterdammes im Bereich zwischen Osidaer Wehr und Zangenberg. Auch funktionierende Stabsräume für unseren Verwaltungsstab und die „Örtliche Einsatzleitung“ warten auf ihre Errichtung.

Dachten Sie auch mal: Das schaffen wir nicht?
Holitschke: Taktisch gab es diese Gedanken nicht. Wir lernen im Laufe unseres Feuerwehrlebens, Ziele neu zu definieren. Gesundheitlich wurden wir dennoch oft an unserer Grenzen gebracht. Bei einer durchschnittlichen Erholungsphase von zwei Stunden pro Tag über eine Woche, lernten wir anschließend unsere Körper neu kennen. Es folgten auch viele ärztlichen Untersuchungen und Diagnosen im Zusammenhang mit dem Hochwasser.

Wie sah das Katastrophenwochenende aus?
Holitschke: Ich kann mich an kein Wochenende erinnern. Es erschien wie ein ganz langer Tag, welcher nie enden würde. Neben dem Hochwassereinsatz galt es auch noch, für das allgemeine Tagesgeschäft einsatzbereit zu sein. Den Grundschutz für die Stadt sicherzustellen. Wir hatten neben Wasser auch mit Bränden zu tun. Wohnungsbrand, Dachstuhlbrand, Brandmeldeanlagen und Pkw- Brände sowie Nottüröffnungen liefen im Hintergrund.

Auch ein Gefahrguteinsatz forderte die Einsatzkräfte zusätzlich. Meine Familie sah ich über den gesamten Einsatzzeitraum nicht. So ging es auch vielen anderen Einsatzkräften. An diesem Wochenende hatte ich eine sehr wichtige Aufgabe. Es galt, das Umspannwerk in Kleinosida am Laufen zu halten. Eine Pause hätte bei diesem speziellen Einsatzauftrag den Stromausfall für größere Bereiche im Süden des Burgenlandkreises bedeutet. Glücklicherweise unterstützte mich in diesem Einsatzabschnitt die Kreisfeuerwehrbereitschaft „Süd“ ohne lange zu überlegen.

Welche Lehren sollte man ziehen?
Holitschke: Man sollte jederzeit mit solch einer Gefahr rechnen. Wir sollten uns nicht auf Prognosen und Statistiken ausruhen beziehungsweise verlassen. Diese sind meiner Meinung nach unrealistisch. Allein die aktuellen Pegelstände, bei welchem die definierten Alarmstufen ausgerufen werden, sind höchstwahrscheinlich unrealistisch. Durch das letzte Hochwasser hat sich das Sandbett so enorm verschoben das die Referenzwerte bis zu einem Meter schwanken können.

Ebenso haben andere Städte Maßnahmen zur Vorsorge getroffen. In Gera wurden Dämme ertüchtigt und zwingen das Wasser in einem künstlichen Flussbett flussabwärts. Je enger der Querschnitt, desto höher die Fließgeschwindigkeit. Das Wasser verteilt sich demzufolge in unseren Bereichen. Wer ein ungutes Gefühl hat, sollte sich für die Zukunft einen Plan machen. Vielleicht zusammen mit seiner Familie: Ab Pegelstand X räumen wir die Sachen eine Etage höher - zum Beispiel. Wir sollten auch keine Schuldigen für diese Katastrophe suchen. Eine bessere Vorbereitung bringt uns an der Stelle weiter.

Hat man Lehren gezogen?
Holitschke: Ich gehe davon aus, dass jeder seine persönliche Lehre aus diesem Ereignis und dem damit erlebten, gezogen hat. Die Feuerwehr hat aufgrund der neuen Erfahrungen ihr Hochwasserdokument überarbeitet. Es fanden Seminare statt, bei denen die Einsatzkräfte lernten, wie Sandsäcke noch effizienter gestapelt werden. Ebenso wurde ein Hochwasserbeirat gegründet, bei welchem alle wichtigen, gesammelten Informationen zum Katastrophenzeitpunkt ausgewertet werden.

Das ist bei der Gesamtsituation dennoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich habe aber persönlich den Eindruck, dass wir uns im Dornröschenschlaf befinden. Ich kann nur wenig Fortschritt bei der Ertüchtigung des Hochwasserschutzes erkennen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass eine Katastrophenschutzübung seit dem Ereignis stattfand.

Kann es uns wieder treffen?
Holitschke: Eindeutig ja! Es wird uns sogar wieder treffen aber vorbereitet… ich glaube es ist noch nicht genug umgesetzt worden. Ich warne ebenfalls davor, sich auf ein Hochwasser zu versteifen. Es gibt auch andere mögliche Großschadenslagen, welche nicht mit Naturgewalten zu tun haben müssen. Abschließend wünsche ich den Betroffenen nochmals alles Gute. Und bedanke mich bei allen Helfern, welche Tag und Nacht an meiner Seite wirkten. Auch im Namen des ehemaligen Sachgebietsleiters Brand- und Katastrophenschutz Kai Pfützner.

(mz)

Wachleiter Kristian Holitsche (links) und sein Chef Sachgebietsleiter, Kai Pfützner, waren ein perfektes Team und hatten die Zeitzer Feuerwehr nur kurz vor den dramatischen Ereignissen im Juni 2013 übernommen.
Wachleiter Kristian Holitsche (links) und sein Chef Sachgebietsleiter, Kai Pfützner, waren ein perfektes Team und hatten die Zeitzer Feuerwehr nur kurz vor den dramatischen Ereignissen im Juni 2013 übernommen.
Archiv/Hartmut Krimmer