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Diskussion um Zivilcourage

Von Michael Hübner 26.11.2007, 18:23

Gräfenhainichen/MZ. - Erika Erbe aus Bassum-Bramstedt ist in großer Sorge: Gerät das Trio, das Gräfenhainichen vor einer möglichen Zerstörung kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges rettete, endgültig in Vergessenheit? Ist Zivilcourage von einst heute keine Würdigung wert? Dabei weiß die Frau genau, dass gerade die Rolle ihres Vaters Fritz Schlosser heftige Diskussionen in der Heidestadt ausgelöst hat.

"Ich halte weiter an meiner Kritik fest, dass noch nicht gründlich genug recherchiert wurde", betonte am Montag CDU-Fraktionschef Joachim Hohmann auf MZ-Anfrage. Er kenne zumindest keinen neuen Sachstand.

Den gibt es offensichtlich auch nicht im Rathaus, wie Frau Erbe telefonisch erfuhr. Dabei hatte Bürgermeister Harry Rußbült (Linke) im Mai erklärt, dass er hoffe, eine Beschlussvorlage noch in diesem Jahr präsentieren zu können. Dafür wird die Zeit aber langsam knapp. Schließlich will das Stadtoberhaupt jeden Fehler, der politisch brisant werden könnte, unbedingt vermeiden.

Seine Stellvertreterin wird aber einen neuen Vorstoß wagen - und zwar schon morgen auf der Sitzung des Kultusausschusses (18 Uhr, Ratssaal). Petra Helbig will nach eigenen Angaben den Tagesordnungspunkt elf "Informationen aus dem Amt" nutzen, um sich bei den Stadträten über den Stand der Dinge zu erkundigen. Der Grund für diese Aktivität ist simpel: Frau Erbe hat den nächsten Anruf in der Verwaltung für Donnerstag angekündigt.

Und trotz aller Dementis gibt es sie doch: die Bewegung in dieser offensichtlich fast unendlichen Geschichte. "Wir haben mit vielen Partnern umfangreiche Nachforschungen angestellt", erklärte am Montag auf MZ-Anfrage Gräfenhainichens SPD-Chef Lothar Prautzsch. Die Sozialdemokraten planen eine Beschlussvorlage für die erste Kultusausschuss-Sitzung im neuen Jahr.

"Wir sind für eine Ehrung", so Prautzsch zur Kernaussage des noch zu erarbeitenden Dokuments. Allerdings kann die SPD die Biographien der Retter nicht lückenlos der Öffentlichkeit präsentieren. "Es gibt viel Widersprüchliches in den Archiven und auch unterschiedliche Aussagen von Zeitzeugen", so Prautzsch. Aber darum gehe es den Sozialdemokraten auch nicht. "Wir wollen die Menschen für die Rettung der Stadt würdigen", so der SPD-Vorsitzende. Nach der Vorstellung seiner Parteimitglieder soll dies mit einer Ehrentafel geschehen.

In Oranienbaum sind die Stadträte schon deutlich weiter. Die Volksvertreter gaben grünes Licht. Ende März / Anfang April soll die Erinnerungstafel an Dr. Ernst Fritsche eingeweiht werden. "Wir haben uns schwer getan", sagte am Montag Bürgermeister Uwe Zimmermann (Linke) auf MZ-Anfrage. "Zweieinhalb Jahre haben wir diskutiert, Arbeitsgruppen gebildet", so das Stadtoberhaupt.

Trotzdem sei Fritsches Lebenslauf noch immer nicht lückenlos. Allerdings gibt es für den Tafel-Text einen Konsens: "Gerettet durch Zivilcourage wurde die Stadt Oranienbaum Ende April 1945 durch Dr. Ernst Fritsche. Als Beauftragter Leiter des Volkssturmes verhinderte er, dass Oranienbaum in den Verteidigungszustand versetzt wurde. Tausende von Menschen und die gesamte barocke Stadtanlage entgingen damit der Vernichtung. Dessen ungeachtet wurde er wie viele andere in den sowjetisch besetzten Gebieten willkürlich verhaftet. Nach Verschleppung in verschiedene Lager kam er 1948 in Buchenwald um."

Es gibt auch hier verblüffende Parallelen. "Schlosser wurde willkürlich verhaftet. Er wurde aber nicht verurteilt", so die Hamburger Historikerin Sybille Krägel. Doch der Gräfenhainichener überlebte nach Kriegsende als einer der wenigen die erbarmungslose Hölle von Tost (Polen), einem Massenvernichtungslager, in der DDR wurde er wieder in den Schuldienst als Lehrer eingestellt.

Geehrt werden soll er aber für seine mutige Tat im April 1945. Frau Erbe erinnert sich noch heute, wie sie ihren Vater mit weißer Fahne durch die Wittenberger Straße zum Gräfenhainichener Rathaus begleitete. Dort war für die Tochter Endstation. Ihr Vater sei dann nach Raguhn weiter gefahren. Und diese Zivilcourage, so sagt Frau Erbe heute, dürfe nicht in Vergessenheit geraten.