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Schweinitz Schweinitz: Rathaustür als Zeitfenster

Von Evelyn Jochade 14.07.2013, 19:11
Auch vor langen Unterhosen scheuten sich die Schweinitzer Waschfrauen nicht.
Auch vor langen Unterhosen scheuten sich die Schweinitzer Waschfrauen nicht. Jochade Lizenz

Schweinitz/MZ - Bevor sich am Sonnabendnachmittag der bunte Festzug vom Dörfchen aus am alten Rathaus vorbei zum Festplatz in Bewegung setzt, dies: Welch „beinliches“ Foto - Die drei Männer vom Schweinitzer Spielmannszug halten das, was die Damen gern mal anschauen, in die Kamera. In Verbundenheit zu ihrem Heimatort und natürlich zu ihrem Verein haben sie ihre schönen Männerbeine mit dem Wildschweinwappen verzieren lassen.

Wenn das keine Heimatliebe ist. Matthias Wilczynski, Silvio Albrecht und Bastian Schüßler betreuen am Vormittag den „Stand der Begegnungen“. So nennen sie den des Spielmannszuges, wo neben grün-weißen Schals auch Kalender, Abzeichen und anderes das Fanherz höher schlagen lassen. Wo aber auch ein Gläschen Bier in Ruhe genossen werden und sogar gefrühstückt werden kann.

Schräg gegenüber auf der Marktstraße basteln fleißig die Jüngsten unter fachlicher Aufsicht aus der Kindertagesstätte und der Grundschule. Oder sie erhalten eine ganz individuelle Gesichtsbemalung. Ob die Mitarbeiter am Stand der Fleischerei Hecht, die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Schweinitz auf ihrem schicken roten Einsatzfahrzeug oder Werner Jänecke von der Siedlersparte „Schweinitzer Weinberge“, alle fühlen sich gut unterhalten vom Platzkonzert, welches die Falkenberger Blasmusikanten, heute unter der Leitung von Jörg Melchert, geben. Nach eigenen Angaben spielen sie bereits das 31. Mal in Schweinitz auf.

Leckerer Roter

Werner Jänecke hat an diesem Tag schon einige Gläser roten und weißen Obstwein verkauft und scheint als Mundschenk in seinem Element. Sylke und Peter Brandt kommen an dem verlockenden Angebot nicht vorbei und bereuen es nicht: „Der ist wirklich lecker“, attestieren sie dem Roten. Haben die Seniorinnen, die an einem Tisch nebendran fröhlich schnatternd sitzen, ebenfalls davon gekostet? An diesem schönen Sommertag ist wirklich was los in Schweinitz. Besonders bemerkt das eine ältere Dame, die in einem elektrischen Seniorenroller sitzt. 78 Jahre sei sie alt, so erzählt sie, und seit zehn Jahren das erste Mal wieder so richtig unter Menschen. „Ich hätte nicht gedacht, dass mich die Leute noch erkennen“, sagt sie erfreut und verspricht ihrer Gesprächspartnerin, dass sie sich in Zukunft wieder öfter sehen lässt.

Eingang zum Mittelalter

Die wenigen Stufen ins Schweinitzer Rathaus führen am Sonnabend in eine völlig andere Welt. Im Hof des Gebäudes haben die Mitglieder des Heimatvereins „Swinze“ die Zeit um einige Jahrhunderte zurück gedreht. Ganz ohne Zeitmaschine, aber mit viel Fleiß. Und wie die zahlreichen Besucher, die der Gegenwart entfliehen wollen, bemerken, auch mit gutem Essen. Denn bei aller schwerer Arbeit, gehungert wurde, zumindest auf dem Ratshof nicht. Gleich am Eingang zum Mittelalter warten die Marketenderinnen Hanne und Ursel mit Quark, Leinöl und neuen Pell-Kartoffeln, sowie einer deftigen Kartoffelsuppe überm Feuer und schräg gegenüber steigt ebenfalls Rauch empor. Hier werden geschickt die Klemmeisen geschwungen. Christa Müller, Doris Puhlmann und Rita Müller geben hier einen Einblick in die Herstellung traditioneller Klemmkuchen. Die Eisen, auf die der Teig gestrichen wird, stammen aus Spenden. Das älteste datiert aus dem Jahr 1791. Das Wichtigste sei beim Klemmkuchen backen die richtige Temperatur, erklären die Drei und natürlich der richtige Schwung beim Drehen über dem Feuer. Fünf bis sechs Mal geschieht das für jede Waffel.

Dass das bei einem Gewicht von rund vier Kilo Eisen eine ganz schöne Schinderei ist, merkt man den fertigen Ergebnissen nicht mehr an, zumal, wenn sie mit Sahne gefüllt sind.

Aber nicht nur zum Schlemmen gibt es hier Gelegenheit, auch zum Schauen und Kaufen. Dinge aus Filz, Wolle und Keramik sind ebenfalls im Angebot und neben anderem auch die Arbeit eines Korbmachers zu beobachten. Das Interesse ist groß, auch an der Waschstation. Hier können die Besucher am Rubbelbrett das „Hüftgold“ gleich wieder los werden. Und es versuchen sich tatsächlich nicht wenige an der Waschart der Altvorderen. Manche kennen das noch aus ihrer Jugend, für die Meisten sind die Gerätschaften allerdings Neuland und müssen von den Waschfrauen erklärt werden. Eine von ihnen, Karin Bader, beklagt sich über die Schweinitzer: „Alle wollen, wenn sie das hier sehen, ihre Wäsche zu uns bringen. Da werden wir ja gar nicht fertig.“ Spricht„s und greift zur langen Männerunterhose.

Ab sofort wieder Waschen mit dem Rubbelbrett? Die sechsjährige Lina Bader fand diese Idee nicht so toll.
Ab sofort wieder Waschen mit dem Rubbelbrett? Die sechsjährige Lina Bader fand diese Idee nicht so toll.
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