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Straßengeschichten Straßengeschichten: Farben-Zinner neben der Käsefabrik

Von Heidi Pohle 11.06.2002, 17:45

Giebichenstein/MZ. - Es gibt eine Straße in Halle, die Erich Scherer über alles liebt und von der er unzählige Geschichten kennt - das ist die Körnerstraße im Giebichenstein-Viertel, die von der Richard-Wagner-Straße abzweigt. Dort wurde er vor 58 Jahren in der Nummer 2 geboren. Dieses Haus steht jedoch nicht mehr, weil es wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste. Doch bis dahin hatte Scherer, ein studierter Historiker und Germanist, längst jedes Detail des Hauses erforscht. Auch hatte er alles über seine Großeltern in Erfahrung gebracht, die im Jahr 1908 in die Nummer 2 gezogen waren.

"Über die Körnerstraße habe ich eine Monografie erarbeitet", erzählt Scherer, "mehrere Seiten davon sind meinem Geburtshaus gewidmet." Gebaut worden ist das Haus 1877, und zwar von dem Giebichensteiner Zimmermann Heinrich Stock. "Damals waren dort Äcker", so Scherer. Schließlich sei Giebichenstein bis 1900 eine selbstständige Gemeinde gewesen. Stock habe dem Gutsbesitzer August Banse Land abgekauft, um bauen zu könne. Der Gutsbesitzer gab der Straße seinen Namen - sie hieß Auguststraße und wurde 1900 in Körnerstraße - nach dem Dichter Theodor Körner - umbenannt.

Es war ein schlichtes Haus, das der Zimmermann bauen ließ. "Die Stuben, Kammern und Küchen waren klein", erinnert sich Scherer, der zu DDR-Zeiten als Lehrer arbeitete und jetzt in einer Bildungsfirma tätig ist. Handwerker, Dienstleute, zum Beispiel ein Schuhmacher, ein Maurer und eine Näherin sowie der Bauherr wohnten dort. Scherers Großvater war Former, arbeitete in der Gießerei Stockmann in der Großen Brunnenstraße. Sieben Kinder gehörten zur Familie. Doch trotz aller Schlichtheit - die Toilette befand sich im Hof - hätten sich die Mieter wohl gefühlt. "Besonders der Hof mit Stallungen und Waschhaus war Treffpunkt für Jung und Alt."

Seine Eltern, die Mutter war das jüngste Kind, der Vater ein Elektriker aus Halberstadt, blieben in der Wohnung, als der Großvater nach dem Tod seiner Frau auszog. Und so wuchs Scherer in der Körnerstraße auf. "Ich hatte eine herrliche Kindheit", schwärmt er noch heute. Und als sei es erst gestern gewesen, kann er sich sogar an jedes einzelne der vielen Geschäfte erinnern. "Sogar den Geruch von den Farben, die es bei Großhändler Zinner gab, habe ich noch in der Nase." Und nebenan war die Käsefabrik Arndt. Handwerker und Händler wie Malermeister Neumann oder Fleischer Dittrich gehörten ebenfalls zur Körnerstraße. Entstanden ist sie wie andere Straßen in Halle, als im Zuge der Gründerjahre Lohnarbeiter in die Stadt strömten. Für sie mussten rasch und möglichst billig Häuser gebaut werden. Trotzdem sich in unmittelbarer Nachbarschaft wie in der Friedenstraße auch Uni-Professoren, Ärzte oder Anwälte ansiedelten, sei Giebichenstein doch lange Zeit eine "liebliche dörfliche Gegend" gewesen, so Scherer.

Gern denkt er daran zurück, wenn seine Mutter mit ihren drei Kindern zum Wannenbaden ins Wittekind ging. "Wir spielten auch in Reichardts Garten, im Sommer gingen wir ins Nordbad. Besonders stolz waren wir immer, wenn es uns gelang, auf Schleichwegen, ohne zu bezahlen, in den Zoo zu gelangen."

Seine Liebe zur Heimatgeschichte und zur Genealogie begann, als Scherer als Student seine Examensarbeit im Stadtarchiv vorbereitete und dabei Zeitungen durchblätterte. "Dabei stieß ich auf die Geburtsanzeige meines Großvaters." Seitdem hält ihn die Ahnenforschung gefangen. Scherer hat eine enge Beziehung zu seinen Vorfahren. Dort, wo viele seiner Ahnen einst zu Hause waren, wohnt Scherer heute - im Neumarktviertel. "In der Körnerstraße bin ich aber jede Woche", so Scherer. Er freut sich, dass diese Straße fast komplett saniert ist. Scherer plant, die Geschichte aller Straßen in Giebichenstein aufzuarbeiten.

Und wer war Theodor Körner, dem die Straße ihren Namen verdankt? Er lebte von 1791 bis 1813 und war ein erfolgreicher Theaterdichter. Gefeiert wurde Körner aber auch als Verfasser patriotischer Dichtungen während der Freiheitsbewegung gegen Napoleon.