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Fall Oury Jalloh  Fall Oury Jalloh: Wichtige Akten vernichtet?

Von Ralf Böhme 12.01.2018, 09:00
Die Aktion „Pixelhelper“ hatte im Dezember eine Licht-Aktion am Polizeirevier in der Dessauer Wolfgangstraße durchgeführt - und eine Belohnung im Fall Oury Jalloh ausgelobt.
Die Aktion „Pixelhelper“ hatte im Dezember eine Licht-Aktion am Polizeirevier in der Dessauer Wolfgangstraße durchgeführt - und eine Belohnung im Fall Oury Jalloh ausgelobt. Archiv/ Dirk-Martin Heinzelmann, Pixelhelper

Naumburg - Wie eine Seifenblase geplatzt ist die Hoffnung auf eine rasche Aufarbeitung des Falles Oury Jalloh durch Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwaltschaft. Fünf Wochen nach dem Prüfauftrag von Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) ist in Naumburg erst ein Teil der Jalloh-Akten eingetroffen.

Offen ist, ob alle in dem Fall gefertigten Papiere noch vorliegen. Die Generalstaatsanwaltschaft kann nicht ausschließen, dass wichtige Unterlagen bereits vernichtet worden sind.

Das könnte passiert sein wegen der Fristvorgaben für Archivalien. Laut Generalstaatsanwaltschaft können diese zwischen fünf und 30 Jahren schwanken, „je nach Tatvorwurf und Erledigungsgrad - zeitlich gestaffelt“.

Ausgewählte Eintragungen und Protokolle dürfen, abhängig von der Entscheidung des zuständigen Bearbeiters, auch schon nach zwei Jahren im Schredder landen.

Oury Jalloh: Freisprüche für Polizisten nach Tod in der Dessauer Polizeizelle

Der 37-jährige Asylbewerber Oury Jalloh starb vor 13 Jahren in einer Dessauer Polizeizelle. Der in diesem Zusammenhang wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagte Dienstgruppenleiter des Polizeireviers und ein weiterer, wegen fahrlässiger Tötung angeklagter Polizeibeamter wurden 2008 vom Landgericht Dessau-Roßlau freigesprochen.

2010 wurde der Freispruch für den Dienstgruppenleiter vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Der Freispruch für den zweiten Polizisten war inzwischen rechtskräftig geworden. 2011 begann vor dem Landgericht Magdeburg eine neue Hauptverhandlung, an deren Ende der verantwortliche Dienstgruppenleiter wegen fahrlässigen Handelns zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu jeweils 90 Euro verurteilt wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft soll nun nach eigener Darstellung „die eingehende Sichtung sämtlicher Akten und Gutachten“ vornehmen. Es gehe dabei um alle Umstände, die aktenmäßig erfasst und von Bedeutung für die Aufklärung des Todes seien. Das Ziel: eine eigenständige Bewertung der Geschehnisse seit dem Jahr 2005.

Momentan sollen sich zwei Dezernenten in Naumburg damit befassen, die von ihren sonstigen Aufgaben „weitgehend“ freigestellt sind. Weshalb immer noch nicht alle verfügbaren relevanten Akten vorliegen, erklärt sich die Generalstaatsanwaltschaft mit „umfangreichen Kopierarbeiten“ in den jeweiligen Behörden, die nach Naumburg zuliefern sollen.

Fall Oury Jalloh: Auch andere Menschen starben nach Festnahmen in Dessau

Verzögerungen zeichnen sich auch ab, weil die Generalstaatsanwaltschaft nicht alle Unterlagen zu anderen Todesfällen hat, die Parallelen zum Fall Jalloh aufweisen. Denn nicht nur Oury Jalloh ist in der Obhut oder im Umfeld der Dessauer Polizei gestorben.

1997 griff eine Streife den betrunkenen Hans-Jürgen Rose aus Bitterfeld-Wolfen auf. Nach Aufenthalt im Arrest fand man ihn kurze Zeit später mit inneren Verletzungen tot in der Nähe des Reviers. 2002 musste Mario Bichtemann aus Dessau in dieser Zelle übernachten. Am nächsten Morgen war der Obdachlose tot und wies schwere Verletzungen auf.

Ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung endete 2003, eingestellt von der Staatsanwaltschaft Dessau. An den drei Fällen waren teilweise dieselben Beamten beteiligt. Die Ermittlungen in diesen Fällen und eine mögliche Verbindung zum Fall Jalloh sollen ebenfalls in Naumburg untersucht werden.

Klar ist bisher nur: Wegen der aktuell unzulänglichen Aktenlage muss der ursprüngliche Zeitplan korrigiert werden. Von sechs Wochen oder etwas mehr für die Prüfung ist nicht mehr die Rede. Die Generalstaatsanwaltschaft geht inzwischen vielmehr von einer „mehrmonatigen Prüfungsdauer“ aus: „Das zeitliche Ende der Prüfungen ist derzeit noch nicht abzusehen.“ Über die Ergebnisse werde die Öffentlichkeit jedoch „zu gegebener Zeit“ unterrichtet.

Zu denen, die darauf mit besonderer Spannung warten, gehört Anwältin Gabriele Heinecke aus Hamburg. Die Nebenklage-Vertreterin macht seit langem auf Defizite bei der Aufklärung des Todes von Oury Jalloh aufmerksam. „Ich erwarte vor allem eine klare Stellungnahme zu der Frage, ob ein sichergestellter Feuerzeugrest aus der Zelle stammt.“

Heinecke zufolge sei die Beweislage zu diesem Punkt erdrückend. „Es würde mich wundern, wenn die Generalstaatsanwaltschaft zu einem anderen Ergebnis kommen würde als die Gutachter und die Anwälte der Familie.“

Danach könne, so Heinicke, das Feuerzeug während des Brandes nicht in der Zelle gewesen sein. „Wenn es aber kein Feuerzeug in der Zelle gab, kann der Brand nur durch eine dritte Person gelegt worden sein.“ Sollte die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg dieser Überlegung folgen, müsste dann neu ermittelt werden. (mz)