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Bagatell-Kranke bleiben oftmals weg

Von Sylke Kaufhold 10.10.2004, 17:46

Dessau/MZ. - Vor allem mehr Arbeit habe die Einführung der Praxisgebühr gebracht, blickt Peter Posse auf die zurückliegenden neun Monate. "Es ist ein permanenter Mehraufwand und eine immense Schreiberei. Zeit, die für die eigentliche ärztliche Tätigkeit verloren geht." Sein Kollege, der Gynäkologe Dr. Uwe Körner, gibt ihm recht. "Dreißig Minuten pro Tag", schätzt er den Mehraufwand. Probleme mit nichtzahlungswilligen Patientinnen habe er bisher nicht gehabt. "Aber ich führe ein strenges Regime, verweise auch auf die Lotsenfunktion des Hausarztes", gibt er zu. Ihn ärgere an der ganzen Sache, dass die Ärzte das Geld für die Krankenkassen eintreiben müssen. "Das ist nicht unsere Aufgabe", findet Körner.

Beide Ärzte registrieren einen Rückgang der Patienten. Um die zehn Prozent, schätzen sie. "Das hat eine gute und eine schlechte Seite", so Uwe Körner. "Die gute, Bagatell-Kranke, die nur das Wartezimmer füllen, bleiben weg. Man hat mehr Zeit für die wirklich Kranken. Die schlechte Seite: Durch die Zunahme der Selbstmedikation (viele Medikamente sind nicht mehr verschreibungspflichtig; d.Red.) werden wir in einigen Jahren wieder sehr hässliche Krankheitsbilder haben, die es heute nicht mehr gibt."

Auch der Allgemeinmediziner "vermisst einige seiner Patienten". "Mit ein bisschen krank kommen nicht mehr so viele", sagt Peter Posse. "Als Arzt kann ich das aber nicht unbedingt gutheißen, denn im Einzelfall kann es dazu führen, dass sich die Gesundheit extrem verschlechtert." Dies wiederum würde einen erheblichen Anstieg der Kosten zur Folge haben.

Diverse Bonusprogramme der Krankenkassen, wie das Hausarztprogramm der AOK, befreien die teilnehmenden Patienten von der Praxisgebühr. Für die Ärzte aber bedeuten diese nochmals Mehrarbeit. "Damit wird das Handling verkompliziert", so Posse. "Und es ist eine Bevorteilung von Patienten bestimmter Kassen oder mit bestimmten Krankheiten." Seiner Meinung nach werde damit auch die Wirksamkeit der Praxisgebühr aufgeweicht. "Durch die zusätzlichen Befreiungen fehlt ja am Ende Geld in der Kasse der Kassen."

Für die Barmer in Dessau ist die Praxisgebühr nicht das große Thema. Im März, April sei der Informationsbedarf seitens der Ärzte und Patienten gestillt gewesen, schätzt Christopher Szameit, stellvertretender Regionalgeschäftsführer ein. Einen Nutzen für die Kasse könne er allerdings auch nicht sehen. "Die Gebühr ist eine Größe, die wir mit der Gesamtzuweisung für die Ärzte verrechnen." Die Mehreinnahmen für die Kassen resultierten aus anderen Bausteinen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG), wie höheren Zuzahlungen, Leistungsausgrenzungen, die Chronikerregelung oder der Ausgleich durch die Tabaksteuer.

Richtige Probleme bereite die Chronikerregelung, so Szameit. "Die Nachweispflicht der Belastungen für eine Befreiung ist ein immenser Arbeitsaufwand für Patient und Kasse." Hunderte dicker Briefe mit Quittungen müssten mühsam nachgerechnet werden. "Das ist nicht befriedigend." Auch sei der Beratungsaufwand doppelt so hoch, bestätigt Cornelia Schulz, Geschäftsführerin der AOK Dessau. Hinzu komme, dass nach dem neuen GMG weitaus mehr Patienten als chronisch krank gelten. "Die Definition ist weiter gefasst." Für die AOK Dessau bedeutet das, dass von 28 304 Versicherten zum jetzigen Zeitpunkt 3 476 von Zuzahlung und Gebühr befreit sind, davon gelten 3 212 als chronisch krank. "Das sind rund 92 Prozent, im vorigen Jahr hatten wir 24 Prozent chronisch Kranke." In der Geschäftsstelle Dessau sind allein zehn Mitarbeiter mit der Berechnung der Befreiungen beschäftigt.

Inwieweit die Praxisgebühr langfristig die Kosten durch verschleppte Krankheiten in die Höhe treiben wird, hält Cornelia Schulz für Spekulation. "Ich denke, dass die Leute bei schweren Krankheiten nach wie vor zum Arzt gehen."