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Zeitung in der Schule Zeitung in der Schule: Kleinkram am Vormittag

Von Peter Godazgar 02.04.2001, 16:22

Halle/MZ. - Die erste Verhaltensregel in deutschen Gerichtssälen lautet: Wenn der Richter kommt, müssen alle aufstehen. Alle, und also auch die Achtklässler der Ostrauer Sekundarschule "Am Park", die an diesem Morgen im Saal 1020 des Amtsgerichts Halle-Saalkreis zu Gast ist.

"Strafe muss sein" heißt das Motto des Besuchs im Rahmen des Projekts "Zeitung in der Schule". Auf der Anklagebank sitzt ein 28-jähriger Mann. Er soll in zwei Geschäften in Halle ein Blutdruck-Messgerät und eine Fernbedienung gestohlen haben. "Kleinkram", nennt Amtsrichter Thomas Dancker das später. Der Angeklagte gibt die Taten im Großen und Ganzen zu, so dass die beiden Zeugen - die Detektive, die den Übeltäter erwischt haben - gar nicht mehr gehört werden müssen.

Aufmerksam verfolgen die Schüler die Verhandlung, die meisten machen sich Notizen - mit ihrer Deutschlehrerin Christine Schimpf hatten sie zuvor im Unterricht verschiedene Aufgaben verteilt: Einer sollte beispielsweise das Gerichtsgebäude und den Saal beschreiben, einer anderen beobachtete den Angeklagten. Der sitzt in weitem Pullover auf seinem Stuhl und blickt zerknirscht drein. Es tue ihm alles sehr leid, sagt er, er habe damals Drogen genommen, inzwischen aber sein Leben geändert.

Die Staatsanwältin plädiert auf eine Bewährungsstrafe, und der Angeklagte sagt, über eine Bewährungsstrafe wäre er "sehr froh". Richter Dancker aber verurteilt den jungen Mann zu sechs Monaten Haft - ohne Bewährung. Weil der Angeklagte schon einmal wegen Diebstahls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei - und weil er die beiden neuen Taten während der Bewährungszeit begangen habe, also ein "Bewährungsversager" sei. Der Angeklagte verlässt den Gerichtssaal mit hängendem Kopf.

Da bis zur nächsten Verhandlung noch Zeit ist, setzt sich Thomas Dancker auf den Tisch, an dem sonst die Zeugen sitzen. "Lasst bloß die Finger von Drogen", sagt er zu den Schülern, das muss er zu Beginn noch loswerden. Gibt es sonst noch Fragen? Aber ja, einen ganzen Katalog sogar, und Victoria Witters trägt ihn vor: Also, Herr Richter, haben Sie Angst vor den Leuten, die sie verurteilen? Nein, sagt Dancker. - Macht die Arbeit Spaß? Ja, auf jeden Fall. - Bereuen Sie manchmal ein Urteil? Ja, das kann vorkommen.

Einmal, sagt Dancker, habe er einen Angeklagten freigesprochen und später erfahren, dass eine Zeugin frech gelogen habe. "Das hat mich furchtbar geärgert." Immerhin: Die Sache flog auf - und die Zeugin ist inzwischen wegen Meineids verurteilt. Marcus Grimmer will schließlich wissen, wieso der Richter immer so schnell liest, wenn er was vorliest, "manchmal hat man nix verstanden". Nun ist es an Dancker, zerknirscht zu sein: "Das ist wohl eine persönliche Macke von mir", gibt er zu.

Genug geredet - draußen wartet der nächste Angeklagte: ein 31-Jähriger hat zwei Schachteln Zigaretten im Wert von zwölf Mark gestohlen. Er wird zu einer Geldstrafe verurteilt - in Höhe von 900 Mark.