MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 5. Dezember 2024 Hohe Energiepreise: Gehen jetzt die Chemiefirmen in die Knie?
Weitere Themen: Riesiges Wasserstoff-Projekt in Wittenberg / Flugzeugwerk am Airport / Verarmen Weihnachtsmärkte? / Total kauft zu / Staatsgeld für E-Porsche
in den vergangenen Wochen haben Sie sicher schon öfters das Thermostat aufgedreht, damit es in der Wohnung wohlig warm wird. Wenn Sie mit Erdgas heizen - was statistisch gesehen, jeder zweite Newsletter-Leser tut – dann dürfte das bald wieder teurer werden. Seit Frühjahr 2024 haben sich die Preise im Großhandel auf aktuell etwa 50 Euro je Megawatt verdoppelt (siehe Grafik). Umgerechnet sind das etwa fünf Cent je Kilowattstunde.
Im Schnitt zahlen Haushaltskunden für Erdgas in Deutschland aktuell etwa elf Cent je Kilowattstunde, bei den meisten Kunden der hiesigen Stadtwerke oder Regionalversorger sind es eher zwölf bis 15 Cent. Denn auf den Beschaffungspreis im Einkauf kommen neben der Gewinnspanne noch zahlreiche staatliche Abgaben (u.a. CO₂-Abgabe) und Umlagen (Netzentgelte, Speicherumlage) obendrauf. Schauen Sie doch mal auf Ihre Erdgas- oder Betriebskostenabrechnung, dort finden Sie die Daten.
Nach Angaben von Energieexperte Andreas Schröder vom Marktforschungsunternehmen ICIS gibt es mehrere Gründe für den Preisanstieg: „Die letzten Wochen waren schon recht kalt, so dass die Nachfrage deutlich gestiegen ist.“ Viel wesentlicher sind nach seiner Einschätzung jedoch geopolitische Ursachen: „Für große Verunsicherung hat zuletzt gesorgt, dass Russland seine Lieferungen nach Österreich einstellen will“, sagt Schröder. Das Nachbarland beziehe – anders als Deutschland – über die Ukraine weiter russisches Erdgas per Pipeline. Laut Schröder fließt das Erdgas momentan allerdings entgegen der Ankündigung weiter.
Kritisch wird es nach seinen Aussagen zum Jahreswechsel: „Dann läuft ein Transitvertrag von russischem Erdgas durch die Ukraine aus, sollte der nicht verlängert werden, dann erhalten Österreich, Ungarn und die Slowakei russisches Erdgas nur noch sehr begrenzt über die Türkei-Route.“ Die Länder müssten aus Westeuropa mitversorgt werden. Darauf reagiere der Markt jetzt schon. Als dritten Grund führt Schröder eine steigende Nachfrage nach Flüssiggas aus Asien an. Für einen MZ-Text habe ich die aktuellen Bezugsquellen für das deutsche Erdgas mal recherchiert.
Richtig weh, tut diese Entwicklung aktuell vielen deutschen Chemiefirmen. Denn der Sprung des Erdgaspreises von 25 auf 50 Euro je Megawattstunde bedeutet für viele Firmen in der Basischemie, Verluste mit jeder produzierten Tonne zu erwirtschaften. „Um im Wettbewerb mithalten zu können, benötigt die Branche einen Preis unter 30 Euro“, sagte Carsten Franzke, Geschäftsführer des Düngemittel-Herstellers SKW Piesteritz aus Wittenberg, am Mittwoch. Zum Vergleich: Bis 2022 kam russisches Erdgas zu Preisen von 20 bis 25 Euro je Megawattstunde über Pipelines nach Deutschland.
Der Chemiepark in Leuna hat nun ein Sparprogramm aufgelegt, damit die Kosten gesenkt werden. So werden die Investitionen radikal zusammengestrichen und Personal abgebaut. Bisher gibt es noch keine größeren Fabrikschließungen an den mitteldeutschen Chemiestandorten. Doch das ist offenbar nur eine Frage der Zeit.
„Durch die zuletzt gestiegenen Erdgaspreise ist das Geschäft bei einigen unseren Kunden eingebrochen“, sagte Christof Günther, Geschäftsführer von Infra-Leuna. „Die Perspektiven sind so unsicher wie noch nie.“ Seine Forderungen an die Politik: Die Bundesregierung müsse ein Sofortprogramm beschließen. „Alle Umlagen und Abgaben auf Strom und Erdgas müssen sofort ausgesetzt und die Preisbremsen wieder in Kraft gesetzt werden“, so Günther. Die neue Bundesregierung müsse dann ein Konzept erstellen, wie eine verlässliche Energieversorgung zu planbaren Kosten möglich ist. „Sonst verlieren wir die energieintensive Industrie.“
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In der kommenden Woche pausiert der Newsletter. die nächste Ausgabe erscheint am 19. Dezember. Bis dahin, herzlich Steffen Höhne
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