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Wettbewerb Wettbewerb: Geschichten hinter der Geschichte

Von Kai Gauselmann 18.11.2005, 18:48

Magdeburg/Zörbig/MZ. - Was er da hörte, das hat sich Maximilian Gräfe von seiner Mutter nicht vorstellen können. "So etwas sollte ich mir mal erlauben - das gäbe Ärger, aber richtig." Der 9. November 1989 hatte für die damals 15-Jährige als normaler Abend in der Disko angefangen, bis die Musik von einer Durchsage unterbrochen wurde: "Die Mauer ist gefallen". Für die Jugendliche gab es kein Halten mehr - sie fuhr, ohne ihre Eltern zu informieren, nach West-Berlin. Und kam erst am Nachmittag des nächsten Tages wieder.

"Das war ganz schön frech", urteilt Maximilian. Einen Moment lang klingt das ernst und erwachsen - bis der 13-Jährige grinsend hinzufügt: "Es ist aber auch eine coole Geschichte." Genau danach hatte er gesucht. Maximilians ganze Klasse, die 8b der Sekundarschule Zörbig, hat beim Wettbewerb "Geschichte(n) entdecken" der Gemeinschaftsstiftung der Arbeiterwohlfahrt (Awo) mitgemacht. Unter der Schirmherrschaft von Peter Sodann haben die Teilnehmer die jüngere Geschichte aufgearbeitet und Zeitzeugen befragt. Der hallesche Schüler Johannes Frotscher etwa hat auf 100 Seiten die Geschichte des Waggonbaus in Ammendorf untersucht, Juliane Schadeck aus Dessau die Ausbildung von Metallflugzeugbauern in den Junkers-Werken zur Nazizeit. Und Fabian Dyballa aus Gräfenhainichen hat sich das komplette Leben seines Urgroßvaters erzählen lassen, was in das Werk "Mein Uropi - Zeitzeuge des letzten Jahrhunderts" mündete. "Ich habe sehr viele Dinge erfahren. Das wird eine sehr schöne Erinnerung für meine Familie sein", sagt Fabian.

Die 19 Zörbiger Sekundarschüler suchten indes in ihren Familien nach Anekdoten. Was sie herausfanden, sind Geschichten hinter der Geschichte, kleine persönliche Erlebnisse vor dem Hintergrund der großen Politik und historischen Ereignisse. Sebastian Berger erzählt etwa, wie seine Großmutter im Zweiten Weltkrieg während eines Fliegeralarms ruhig blieb - und in der Waschküche Rübenmus kochte. Claudia Romanus ließ sich von ihrer Mutter erzählen, wie es war, in der DDR aufzuwachsen. Das Urteil der Nachgeborenen über die untergegangene Republik ist mal nüchtern ("Versorgungsschwierigkeiten begleiteten die DDR ein Leben lang"), mal ironisch: "In der DDR gab es alles - nur nicht immer, nicht überall und schon gar nicht wenn es gebraucht wurde."

Andere Geschichten handeln von Flucht und Vertreibung; Christin Schulz indes hat mit ihrer Arbeit ein Kapitel in der Dorfgeschichte von Löberitz erhellt (siehe "Sie haben ihn lebendig begraben"). Ihre Oma erzählte ihr, wie sie als Kind im April 1945 den Marsch von KZ-Häftlingen durch den Ort erlebte. Einer der Häftlinge wurde dabei ermordet, sein Grab ("Hier ruht ein unbekannter KZ-Häftling") ist noch heute auf dem Dorffriedhof zu sehen, die Geschichte dazu drohte aber in Vergessenheit zu geraten. "Die Bürgermeisterin konnte mir das Grab zeigen, wusste aber auch nicht, was es damit auf sich hat", erzählt die 14-Jährige.

Krieg, DDR, Wende - der Wettbewerb hat bei den Schülern die Lust an erzählter Geschichte geweckt. "Ich habe schon vorher über den Krieg gelesen. Sich von der Zeit erzählen zu lassen, das ist was anderes", sagt Christin. Maximilian hat gar eine Art Entdeckerstolz gepackt, als er auf die bis dahin unbekannte Wende-Jugendeskapade seiner Mutter stieß. "Die kannte ich gar nicht, ich hatte auch nie danach gefragt", sagt der 13-Jährige. "Ich habe mich riesig gefreut, dass ich so eine Geschichte gefunden habe."