Ex-Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt Arzt und Anti-Populist: Wie Wolfgang Böhmer in Magdeburg als Vorbild geehrt wird
Knorrig, aber kompetent und verlässlich: Wolfgang Böhmer galt als der etwas andere Politiker in Sachsen-Anhalts Staatskanzlei. Beim Gedenkakt in Magdeburg wird der langjährige Ministerpräsident als Vorbild geehrt.

Magdeburg/MZ - Jetzt stehen frühere Minister und Abgeordnete Schlange im Kloster „Unser Lieben Frauen“ in Magdeburg. Sie alle wollen sich ins Kondolenzbuch eintragen und an diesem Dienstag Abschied von Wolfgang Böhmer nehmen. Über einen Bildschirm in der Klosterkirche flimmern alte Fotos des langjährigen Ministerpräsidenten: Eins zeigt Böhmer mit seinem früherer Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD), über ihnen das Spruchband „Wir stehen früher auf“.
Und dann: Wolfgang Böhmer neben dem heute regierenden Ministerpräsidenten Reiner Haseloff. Mit Sektgläsern prosten sie sich zu, im Hintergrund Sachsen-Anhalts Landeswappen.
Böhmer kam 1947 als Chefarzt nach Wittenberg - in die Politik ging er 1990
Haseloff ist es auch, der jetzt vor den rund 100 Gästen bei diesem offiziellen Gedenkakt über seinen Amtsvorgänger und CDU-Parteifreund spricht. Böhmer sei ein „ungewöhnlicher Politikertypus“ gewesen, sagt er. Gemeint ist das als Lob. „Er wurde zum Landesvater schlechthin“, sagt Haseloff.
Absehbar war diese zweite Karriere Böhmers lange nicht. Geboren in der sächsischen Lausitz, studierte der Bauernsohn zunächst Medizin in Leipzig und wurde 1974 Chefarzt im Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg. Erst 1990 begann seine politische Karriere – überredet wurde er damals unter anderem vom Wittenberger Haseloff.
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Als die CDU dann 2002 die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gewann, stieg Böhmer zum Regierungschef auf. Er blieb es neun Jahre lang. „Wolfgang Böhmer war ein Quereinsteiger und davon gibt es leider viel zu wenige in der Politik“, sagt Haseloff jetzt beim offiziellen Gedenkakt.

Böhmer sei schon als Arzt von einem Grundsatz überzeigt gewesen: „Medizin soll nicht nur heilen, sie soll auch Hoffnung geben.“ Ähnlich habe es Böhmer später auch in der Politik gehalten, so schwingt es in Haseloffs Rede mit. „Er hat unserem Land Selbstvertrauen gegeben“, sagt der Wittenberger, der mittlerweile selbst seit 14 Jahren Regierungschef ist. Unter Böhmer sei Sachsen-Anhalts Wirtschaftsleistung gewachsen, die Landesfinanzen hätten sich stabilisiert, die Arbeitslosigkeit sei gesunken.
Ministerpräsident Reiner Haseloff lobt Amtsvorgänger Wolfgang Böhmer
„Loyalität lässt sich nicht verordnen“, sagt Haseloff. „Sie ist eine Frage guter Führung und guter Führungsqualitäten.“
Und tatsächlich: Seit dem Tod Wolfgang Böhmers Ende Juni mit 89 Jahren gab es etliche Nachrufe, die seine Regierungszeit in Sachsen-Anhalt als erfolgreich beschreiben. Böhmer habe die Glaubwürdigkeit seines Arztberufs auf seine politische Arbeit übertragen, sagt Haseloff. „Lieber die unbarmherzige Wahrheit als die barmherzige Lüge“, so habe Böhmer es gehalten. Pflichterfüllung habe für Böhmer im Vordergrund gestanden. „Für ihn war Politik nicht Unterhaltung und Inszenierung“, so Amtsnachfolger Haseloff.
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Ähnlich wird Böhmers Erbe auch außerhalb Sachsen-Anhalts wahrgenommen. Böhmer sei eine Autorität gewesen, sagt der frühere Bundespräsident Joachim Gauck am Dienstag in Magdeburg. Ja, der politische Quereinsteiger sei manchmal „störrisch“ und „knorrig“ gewesen – aber zugleich auch ein „Landesvater, der Brücken baute“.

Als Mediziner habe der spätere Regierungschef Böhmer ein wichtiges Prinzip verinnerlicht: „Erst kommt die Diagnose, dann die Therapie.“ Gauck sagt, Böhmer habe als Ministerpräsident 2002 eine schmerzhafte Diagnose stellen müssen: „Ich bin Ministerpräsident eines Bundeslandes mit roter Laterne.“
Als Böhmer damals in die Staatskanzlei einzog, lag Sachsen-Anhalt in etlichen wirtschaftlichen Statistiken auf dem letzten Platz der 16 Bundesländer. Dass Böhmer diesen Mut zum Realismus gehabt habe – und diesen Zustand dann in neun Jahren als Ministerpräsident behoben habe –, mache ihn zur „Antithese zum Populismus“, sagt der Ex-Bundespräsident.
Und der gebürtige Rostocker gibt zu, so manches Wirken Böhmers habe er erst später verstanden. Etwa den 2005 geprägten und lange umstrittenen Landes-Marketingslogan „Wir stehen früher auf“. Als Mecklenburger habe Gauck damals im ersten Moment gedacht: „Merkwürdig, was sind das für Leute?“ Erst später habe er verstanden, dass dies der Versuch gewesen sei, den Sachsen-Anhaltern Selbstachtung einzuflößen. „Es gibt auch so etwas wie ein geerdetes Selbstbewusstsein“, sagt der frühere Bundespräsident in Magdeburg.