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Siegfried Borgwardt AfD: CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt rechnet nicht mit Überläufern

Von Hagen Eichler 19.07.2017, 04:57

Halle (Saale) - Heute fährt er nur noch Sportboot, als junger Mann aber war Siegfried Borgwardt auf hoher See unterwegs. Um in der DDR studieren zu können, entschied sich der gebürtige Naumburger für die Berufsausbildung mit Abitur –  als Matrose. Später erlernte er in Leuna den Beruf eines Elektomonteurs und machte einen Abschluss als Staatswissenschaftler. Seit  März 2016 führt der 60-Jährige  die CDU-Fraktion von Sachsen-Anhalt. Hagen Eichler sprach mit ihm im MZ-Sommerinterview.


Joschka Fischer hat den damaligen FDP-Chef Westerwelle gern als „Leichtmatrosen“ verhöhnt. Sie sind der Experte: Ist das überhaupt eine Beleidigung?
Siegfried Borgwardt: Naja, der Leichtmatrose kommt aus der Frühgeschichte der Seefahrt. Auf Segelschiffen mussten die hoch in die Wanten, eine äußerst gefährliche Sache. Die hatten wenig zu entscheiden und viel Schikane am Hals.

Als ausgebildeter Vollmatrose stehen Sie da drüber.
Siegfried Borgwardt: Vollmatrose der Hochseefischerei mit Abitur, so steht es in meinem Lehrvertrag. Wobei mir am Abitur am meisten lag. Ich hatte einen guten Direktor, der hat mir den Tipp gegeben. Eine Delegierung vom Klassenlehrer habe ich nicht bekommen, sonst hätte ich auch zur Deutfracht/Seerederei gehen können. Da hätte man ein bisschen von der Welt gesehen. Die Handelsschiffe waren Aushängeschilder der DDR. Unsere Fangschiffe waren verrostet, die sahen aus wie Seelenverkäufer.

Sie haben weder Rio noch Schanghai angelaufen?
Siegfried Borgwardt: Stimmt. In der Hochseefischerei fängt man auf See Fische. Einmal mussten wir Stavanger in Norwegen anlaufen, Motorschaden.

In der CDU   ist der evangelische Christ Siegfried Borgwardt bereits seit 1979. Von 1987 bis 2011 zog er in Wittenberg als   CDU-Kreisgeschäftsführer die Fäden. Das Landtagsmandat  hat er seit 2002.

Borgwardt ist  Sportschütze.  Während der Arbeit raucht er Zigaretten, manchmal auch  Pfeife oder  Zigarre. Borgwardt hat zwei erwachsene Töchter und lebt mit seiner Frau in Reuden (Landkreis Wittenberg).

Sie sind 1979 in die CDU eingetreten, in die damalige Blockpartei. Warum?
Siegfried Borgwardt: Mit abgeschlossener Berufsausbildung und nach dem Wehrdienst war ich potenzieller Reserveoffiziersanwärter, und das wollte ich nicht. Und ich wollte nicht in die SED. Ich war in der Jungen Gemeinde und kannte einige in der CDU. Also bin ich da eingetreten. Von da an war Ruhe mit Anwerbeversuchen für die SED.

Allerdings war die Ost-CDU selbst Teil des Herrschaftsapparats.
Siegfried Borgwardt: Da ist sehr viel Legende unterwegs, teilweise dummes Zeug. Die SED bestimmte das Herrschaftssystem. Die SPD reklamiert für sich, dass sie damit nichts zu tun hatte. Aber von den zwei Händen im Partei-Emblem der SED gehörte eine der SPD. Wer da wen mehr verraten hat, ist die Frage. Ich glaube, dass die CDU in der Volkskammer Fehler gemacht hat. Wir sind ab Mitte der 50er Jahre gleichgeschaltet worden, das ist unbestritten.

Also Fehler der Führung, aber die Basis hatte damit nichts zu tun?
Siegfried Borgwardt: Teilweise ist das so, es gab Nischen. In Wittenberg habe ich ab 1987 hauptamtlich für die CDU gearbeitet. Es ging viel darum, den Leuten praktisch zu helfen. Da kamen Handwerker oder Kirchenleute, deren Kinder nicht auf die Erweiterte Oberschule durften. Wir haben auch darauf geachtet, dass bei Führungsposten in Betrieben die CDU-Mitglieder nicht herausgedrängt wurden. Praktische Hilfe, das ist auch heute noch mein Credo.

Sie haben den Politikbetrieb lange als angestellter Geschäftsführer beobachtet, 2002 dann selbst für den Landtag kandidiert. Wie organisiert man sich eine Mehrheit?
Siegfried Borgwardt: Man sollte nicht erst direkt vor der Nominierung aufwachen.

Wieviel Zeit braucht es?
Siegfried Borgwardt: Mehrere Jahre.

Was zählt mehr: Beim Parteifest am Grill stehen oder Arbeit am Programm?
Siegfried Borgwardt: Beides. Das persönliche Engagement steht aber vorn.

Wie macht man sich als Kandidat beim Wähler bekannt?
Siegfried Borgwardt: Ob man Plakate klebt oder nicht, macht höchstens zwei Prozent aus. Ich habe immer fünf bis zehn Prozent mehr Stimmen gehabt als die Partei. Das hat damit zu tun, dass die Leute den Eindruck gewonnen haben: Der engagiert sich.

Sie haben Ihren Wahlkreis  nur knapp gegen den AfD-Kandidaten Matthias Lieschke verteidigt, den vorher niemand kannte. Was ist falsch gelaufen?
Siegfried Borgwardt: Bei mir ist nichts falsch gelaufen, ich habe meine Arbeit so wie in den Vorjahren gemacht. Aber auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsproblematik haben viele frühere Nichtwähler aus Protest die AfD gewählt. Das hat auch mit einer lokalen Entscheidung zu tun.
 
Mit welcher?
Siegfried Borgwardt: Wir hatten damals einen Ort im Landkreis, Vockerode, in dem im Verhältnis zu den Einwohnern eine hohe Zahl von Flüchtlingen gelebt hat. Um Vockerode zu entlasten, wurde unter anderem ein Gebäude in Gräfenhainichen vorbereitet. Das wurde fremdenfeindlich beschmiert und sogar beschossen. Ich war mir mit dem linken Landrat einig, dass wir uns nicht erpressen lassen. Dann wurden da aber andere Flüchtlinge untergebracht. Zusätzlich, über unserem Kontingent, wie ich in der Zeitung lesen musste. Das war eine der Ursachen für das Wahlergebnis.

Ganz allgemein: Welche Fehler kosten einen Abgeordnete eine Wiederwahl?
Siegfried Borgwardt: Immer problematisch sind Verfehlungen, die strafrechtlich relevant sind.

Detlef Gürth wurde trotz Steuer-Ermittlungen wiedergewählt.
Siegfried Borgwardt: Ich versuche, mich bei solchen Dingen doppelt abzusichern, damit keine Zweifel entstehen können. Der Bevölkerung ist sehr wichtig, dass man persönlich integer ist. Wie man mit seiner Familie und seinen Mitmenschen umgeht, das wird wahrgenommen. Wichtig ist, auf dem Teppich zu bleiben, auch wenn man als Abgeordneter finanziell gut dasteht.

Wer sagt Ihnen ganz ehrlich, ob Ihre Rede im Landtag gut war?
Siegfried Borgwardt: Meine Frau. Die sieht die Reden als Podcast und sagt mir dann, was ich hätte anders machen sollen. Ich bin aber selbst mein größter Kritiker, meist bin ich weniger zufrieden als meine Fraktion.

Der frühere AfD-Abgeordnete Jens Diederichs ist mit seinem Mandat zu Ihnen übergelaufen. Haben Sie ein schlechtes Gewissen, dass Sie davon profitieren?
Siegfried Borgwardt: Nein. So wie AfD-Fraktionschef Poggenburg mit seinen Abgeordneten umgeht, kann man das nicht machen. Nach der Verfassung hat jeder Abgeordnete Anspruch auf einen Sitz in einem Ausschuss. Jemanden in keinen Ausschuss zu lassen - das geht gar nicht. Ich wundere mich sehr, dass von denen niemand klagt. Aber ich muss der AfD keine Ratschläge geben.

Rechnen Sie mit weiteren Überläufern?
Siegfried Borgwardt: Wir werben keinen ab, es besteht nicht die Gefahr einer Schwemme neuer CDU-Abgeordneter. Ich sehe eher die Gefahr, dass sich die AfD-Fraktion teilt. Das würde den Steuerzahler jährlich fast eine Million Euro zusätzlich kosten.

Wer kann mehr bewirken: der CDU-Fraktionsvorsitzende oder ein Minister?
Siegfried Borgwardt: Den größten Einfluss auf die Landespolitik haben wir als Fraktion, weil der Landtag den Haushalt beschließt. Wir haben zum Beispiel durchgesetzt, dass das Umweltministerium die 100 zusätzlichen Stellen nicht alle in den Naturschutz geben darf. Ohne Einlenken an diesem Punkt hätten wir dem Haushalt nicht zugestimmt. Das haben wir gegen die Erwartungshaltung des Kabinetts entschieden.

Neid auf einen Ministerposten ist Ihnen fremd?
Siegfried Borgwardt: Als Minister gibt man natürlich Fördermittel aus, man ist überall dabei beim Band-Durchschneiden. Das fehlt mir aber nicht. Ich hätte auch Landtagspräsident werden können. Ich hätte sicherlich im ersten Anlauf mehr Stimmen bekommen als der Kandidat, der dann gewählt wurde…

…das war Hardy Peter Güssau…
Siegfried Borgwardt: Mir ist das Amt aus allen Fraktionen angetragen worden, deshalb kann ich das behaupten. Aber in der Alternative habe ich mich für den Fraktionsvorsitz entschieden, weil ich mich sehr stark in
 die Koalitionsverhandlungen einbringen wollte.

Welchen Fehler machen Parlamentsneulinge?
Siegfried Borgwardt: Sich sehr schnell eine Meinung zu bilden, ohne die komplexen Sachzusammenhänge zu überblicken.

Was hat die AfD als völlig neue Fraktion im ersten Jahr gelernt?
Siegfried Borgwardt: Dass sie mit Krawall-Aktionen im SA-Stil nicht weiterkommen. Alle zugleich hochspringen und rausgehen, so wie Göring das gemacht hat, um den Reichstag als Schwatzbude vorzuführen – das machen sie nicht mehr. Rhetorisch haben sie sich nicht geändert. Sie verwenden Nazi-Terminologie, die sie entlarvt.

Wie kommen Sie elegant wieder aus der Koalition mit den Grünen heraus?
Siegfried Borgwardt: Das ist eine interessante Frage, die Sie da stellen. Ich versuche alles, damit diese Koalition die Wahlperiode durchhält.

Einige CDU-Abgeordnete lassen keine Gelegenheit aus, Grüne zu piesacken.
Siegfried Borgwardt: Ich rate zu Gelassenheit.

Wenn eine Gruppe Menschen  Einfluss nehmen will, organisiert sie eine Demo auf dem Domplatz. Macht das auf Abgeordnete überhaupt Eindruck?
Siegfried Borgwardt: Ich könnte mich vom Fahrer direkt auf den Hof des Landtags fahren lassen und würde so an jeder Demo vorbeikommen. Das mache ich aber grundsätzlich nicht. Ich habe überhaupt nichts gegen Demos.

Das ist schön. Aber bringen sie auch etwas?
Siegfried Borgwardt: Demos - jedenfalls normale, ohne Vermummung - halte ich für ein wichtiges Mittel der Demokratie. Sie halten Abgeordnete zu intensivem Nachdenken an. Negative Folgen hatte es, als die Landwirte während der Koalitionsverhandlungen gegen eine grüne Landwirtschaftsministerin demonstriert haben.

Ihr Fraktionskollege Güssau war vorn mit dabei.
Siegfried Borgwardt: Das sehe ich bis heute als Fehler an. Wenn man da hingeht, muss man schon gucken, was links und rechts für Plakate zu sehen sind. Für uns war die Demo absolut kontraproduktiv. Frau Dalbert wäre zu diesem Zeitpunkt sehr gern Bildungsministerin geworden. Danach aber wollten sich die Grünen nicht erpressen lassen und haben sich auf Umwelt und Landwirtschaft festgelegt. Das ist für uns richtig schlecht gelaufen.

Wenn ich Geld darauf wetten würde, wer in der CDU auf Ministerpräsident Haseloff folgt: Sollte ich auf Innenminister Stahlknecht oder auf Finanzminister Schröder setzen?
Siegfried Borgwardt: Ich gewinne häufig bei Wetten. Aber ein Jahr nach Regierungsantritt bin ich gut beraten, wenn ich da keinen Tipp gebe. Es ist ja auch nicht klar, ob nicht der jetzige Ministerpräsident noch einmal antreten will. (mz)

Siegfried Borgwardt auf Landgang inmitten seines Wahlkreises in Gräfenhainichen.
Siegfried Borgwardt auf Landgang inmitten seines Wahlkreises in Gräfenhainichen.
Andreas Stedtler