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Saalekreis Saalekreis: Das Beben-Rätsel

Von Jan Möbius und Johannes Dörries 15.02.2012, 20:17

Zappendorf/MZ. - Es ist das Thema Nummer eins: Im kleinen Saalekreis-Ort Zappendorf westlich von Halle dreht sich am Tag danach alles um den Erdstoß vom Dienstag. Auf den Straßen und in den wenigen Läden wird debattiert, gerätselt. Vermutungen werden aufgestellt und im selben Moment wieder entkräftet. Offenbar mangelt es den Zappendorfern an Informationen - ebenso wie den Bergbauexperten Fakten fehlen, um den Auslöser des Erdstoßes benennen zu können. "Jeder, der hier reinkommt spricht drüber. Es tauchen immer neue Vermutungen auf. Aber was genau passiert ist, kann sich niemand so richtig zusammenreimen", sagt Bäcker André Heppner.Das Familiengeschäft im Zappendorfer Ortsteil Müllerdorf liegt fast genau im Epizentrum der Erschütterung vom Dienstag. Um 16.04 Uhr hat der Erdstoß die Menschen aufgeschreckt. Etliche Zappendorfer berichten von einem dumpfen Knall oder einer Explosion. Andere sprechen von einem Erdbeben. Für Simone Kleinschmidt steht fest: "Das war kein normales Erdbeben. Das gab's hier noch nie. Da unten ist ein Stollen oder so etwas eingestürzt." Wenn die 45-Jährige von "da unten" spricht, meint sie das wortwörtlich. Denn mit ihrem Mann Lothar wohnt Simone Kleinschmidt direkt über der alten Schachtanlage des Kaliwerks Salzmünde-Zappendorf.

Im September 1906 ist dort mit dem sogenannten Abteufen begonnen worden. Das bezeichnet das Herstellen senkrechter Hohlräume, von denen aus unterirdische Lagerstätten erschlossen werden. Auf 335 Meter ist diese Bohrung ein Jahr später vorgetrieben, als man in Zappendorf auf Kali stößt - seinerzeit ein begehrtes Salz zur Düngemittelproduktion. Im August 1909 wird mit der Förderung begonnen. Doch im Gegensatz zum benachbarten Teutschenthal kann sich Zappendorf nicht als florierendes Bergbaudorf etablieren. Die Chroniken des Dorfes belegen, dass schon im Mai 1924 die Bohrungen auf dem Gelände der noch heute so benannten Schachtanlage eingestellt werden. Einen Monat später trifft dieses Schicksal auch die Salzförderung. Nach und nach werden das Bergwerk und der Schacht Zappendorf vom Teutschenthaler Kaliwerk übernommen. Eine Verbindung zu dessen Grubenfeld gibt es seit Ende der 1920er Jahre.

Die Anlagen über Tage sind in Zappendorf noch heute zum Teil erhalten und werden als Wohnhäuser oder von Firmen genutzt. In einem der Gebäude wohnen die Kleinschmidts seit 1984 - genau über dem ehemaligen Schacht. Als am Dienstag die Erde bebt, sitzt das Ehepaar zum Feierabend im Wohnzimmer. "Ich habe gerade telefoniert, als es einen heftigen Schlag gegeben hat und alles um mich herum klirrte und wackelte", beschreibt Simone Kleinschmidt. "Wir sind sofort aus dem Haus gerannt und haben draußen die Nachbarn getroffen. Aber eine Ahnung, was das war, hatte niemand." Selbst ihr Hund habe nach der Erschütterung wie erstarrt gewirkt, so Simone Kleinschmidt.

Die Zappendorferin ahne zwar, welche Gefahren unter ihrem Haus lauern könnten. "Damit konnte ich aber bisher leben", sagt sie. Nun ist sie verärgert. "Wir haben am Dienstag an der Schachtanlage niemanden gesehen. Und auch sonst kümmert sich kaum jemand um das alte Bergwerk."

Die Kali-Stollen unter Zappendorf seien seit Jahren mit einer Salzlösung geflutet, hält Frank Esters entgegen. Das stabilisiere den Untergrund und wirke bei Erschütterungen dämpfend, sagt der Chef des Landesbergamtes in Halle. Der Förderschacht ist seit 1982 mit Beton verplombt. Und er sei sicher, betont Matthias Finder. Er ist Geschäftsführer der Betreibergesellschaft der Grube Teutschenthal, der GTS. Sie ist zuständig für das alte Zappendorfer Bergwerk.

Die Anlage wird durch Messgeräte überwacht, an denen am Mittwoch "nichts besonderes festgestellt worden ist", sagt Esters. "Wir gehen davon aus, dass da unten alles beim Alten ist." Von der GTS soll der Schacht weiter gesichert werden. Einen Zeitplan dafür gibt es noch nicht - GTS-Geschäftsführer Finder sagt "in den nächsten Jahren". Esters spricht von zehn bis 15 Jahren, die noch vergehen könnten, bis die Anlage "nach dem technischen Stand" gesichert wird.

Vielen Zappendorfern dauert das zu lange. "Warum sind die alten Schächte nicht mit Abraum verfüllt worden?", sagt Lothar Kleinschmidt. In Zappendorf sei das Material abgetragen und weggekarrt worden. "Sinnvoller wäre es doch, das, was man früher aus dem Berg geholt hat, dort wieder zum verschließen zu nutzen." Für Lothar Kleinschmidt wäre das eine Investition in die Sicherheit.

Denn schwere Erschütterungen würden sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Region ziehen. So zerstörte 1916 ein Gebirgsschlag im nahen Angersdorf eine Steinsalzgrube, 1940 starben in Teutschenthal mehr als 40 Bergleute beim Zusammenbruch des gesamten Abbaufeldes unter Tage. Das Teutschenthaler Ostfeld gibt schließlich 1996 bei einem Gebirgsschlag nach, das Beben war über die Region hinaus spürbar. Das war für viele Zappendorfer wieder präsent, als am Dienstag die Erde unter ihren Füßen bebte.