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Tote Kinder in Benndorf Tote Babys in Benndorf: Annäherung an das Unfassbare - Prozess gegen Mutter beginnt

Von Fabian Wagener 22.03.2018, 08:00
Die Mutter der in Benndorf tot aufgefundenen Babys wird in den Gerichtssaal geführt. Sie verbirgt ihr Gesicht hinter einem Ordner.
Die Mutter der in Benndorf tot aufgefundenen Babys wird in den Gerichtssaal geführt. Sie verbirgt ihr Gesicht hinter einem Ordner. Fabian Wagener

Benndorf - Nein, vergessen kann man das in Benndorf (Mansfeld-Südharz) nicht so leicht. Wie soll das auch gehen? „Ich kann es immer noch nicht fassen, wenn ich daran denke“, sagt Thomas Luft, während er auf einem der Holzstühle in dem Café sitzt, das er in dem kleinen Ort betreibt. „Es ist grauenhaft“, sagt der 31-Jährige und verschränkt dazu seine Arme fest vor der Brust. Die Geste wirkt, als wolle er Abstand schaffen zwischen sich und dem, wovon er spricht.

Immer wieder „es“ und „das“ - nicht nur emotional, auch sprachlich ist für die Menschen der Region schwer zu fassen, was vor fast drei Monaten in ihrer Mitte enthüllt wurde. Damals, es ist ein Dienstagabend Anfang Januar, kommen Polizisten in die 2.000-Seelen-Gemeinde nordwestlich von Eisleben, sie halten vor einem schlichten dreigeschossigen Wohnblock.

Nach einem Hinweis des ehemaligen Lebensgefährten durchsuchen sie die Wohnung der alleinerziehenden Mutter Steffi S. - und sie werden fündig. Die Polizeibeamten entdecken zwei tote Babys, einen Jungen und ein Mädchen, sie liegen in der Tiefkühltruhe. Die Obduktion zeigt: Die Babys lebten noch, als sie zur Welt kamen. Vor vielen Jahren.

Warum verheimlicht eine Frau offenbar zwei Schwangerschaften?

In den Stunden und Tagen nach dem Fund steht Benndorf im Fokus der Öffentlichkeit wie wahrscheinlich nie zuvor. Die Polizei gibt eine Pressekonferenz vor der Wohnung von Steffi S., Fernsehteams stellen Kameras auf, Reporter sprechen ihre Aufsager. Und manche von ihnen kehren auch bei Thomas Luft ein, im Café nebenan.

Dort wärmen sie sich auf, dort besprechen sie sich. Und sie stellen Fragen: War die Mutter der Kinder auch zu Gast in dem Café? Was ist sie für eine Person? Und wie fühlt es sich an, wenn so etwas in direkter Nachbarschaft geschieht?

Luft antwortet auf all das in jenen Tagen des Rummels souverän, er sagt, was er weiß. Doch auf die eine Frage, die viele bis heute umtreibt, hat auch er keine Antwort: auf die Frage nach dem Warum.

Warum also verheimlicht eine Frau offenbar zwei Schwangerschaften, bringt im Abstand von mehreren Jahren Kinder zur Welt und tötet sie unmittelbar nach der Geburt? Welche inneren Konflikte müssen da wirken, welche Abgründe - und vielleicht auch: welches Gefühl von Angst und Ausweglosigkeit?

Zumindest annähernde Antworten darauf könnte es ab diesem Donnerstag im Landgericht in Halle geben, wo der Prozess gegen Steffi S. beginnt. Die 46-Jährige ist wegen Totschlags in zwei Fällen angeklagt, Mordmerkmale wie etwa niedrige Beweggründe liegen aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht vor. Steffi S. hat die Taten laut Mitteilung des Landgerichts bereits gestanden.

So hat sie offenbar schon im Jahr 2004, nach einer „verborgen gehaltenen Schwangerschaft“, das erste der beiden Kinder zur Welt gebracht, ein Mädchen, damals noch in einer Wohnung im nahe gelegenen Helbra. Direkt nach der Geburt soll sie das Baby getötet haben, indem sie es in eine Plastiktüte steckte und in den Gefrierschrank legte. Ganz ähnlich ist es dann wohl vier Jahre später abgelaufen, inzwischen in einer Wohnung in Benndorf. Dort soll sie laut Landgerichtsmitteilung einen gesunden Jungen geboren und auf die gleiche Weise getötet haben. Im Falle einer Verurteilung drohen Steffi S. bis zu 15 Jahren Haft.

In dem Prozess eine Rolle spielen wird auch der ehemalige Lebensgefährte. Er war es, der die Polizei Anfang Januar verständigte, allerdings erst Monate nachdem er eines der toten Kinder in der Kühltruhe entdeckt hatte.

All das erzählte er damals freimütig im Fernsehen, was dem Fall eine ungewöhnliche Öffentlichkeit bescherte. Später kam er von sich aus auch in die Redaktion der MZ. Er habe nicht gewusst, was er tun sollte, sagte er da. Und er bedankte sich bei den Benndorfern, die für die getöteten Babys Kerzen aufgestellt und der Kinder mit einer Trauerveranstaltung in der Kirche gedacht hatten.

Tote Babys in Benndorf: Ein tiefer Schock im Ort

Initiiert hatte die Gedenkveranstaltung der evangelische Pfarrer Klemens Niemann, zu dessen Pfarrbereich Benndorf gehört, mit dabei war auch die katholische Kirche. Am Mittwoch nun, einen Tag vor Beginn des Prozesses im Landgericht, sitzt Niemann in kariertem Hemd in einem Gemeindebüro in Eisleben, am Fenster lehnt ein hölzernes Kreuz, auf einer Kommode liegt ein Gesangbuch.

Der Vorfall in Benndorf, sagt er, war ein tiefer Schock für den Ort. Es sei etwas passiert, was man nicht für vorstellbar hielt. Auch deshalb gab es die Gedenkveranstaltung, das Abendgebet in der Kirche. „Die Idee war, dass die Menschen dort ablegen können, was sie bewegt“, sagt er. „Das ist ein wichtiger Schritt im Verarbeitungsprozess.“

Das gilt, so sieht das der Pfarrer, auch für den auf vier Verhandlungstage angesetzten Gerichtsprozess. Dieser sei ein weiterer Baustein, um die Geschehnisse zu verarbeiten. Viele stellten sich nach wie vor Fragen, einige davon könnten vor Gericht geklärt werden. „Außerdem wird der Rechtsstaat greifbar und sichtbar“, sagt Niemann, der keinen Hehl daraus macht, dass auch ihn selbst das alles nach wie vor beschäftigt. „So etwas lässt auch mich nicht einfach los.“

Ähnliches hört man auch im Café „I like Benndorf“, bei Thomas Luft. Der 31-Jährige mit dem rötlich-braunen Bart steht hinter der Theke und bereitet einen Espresso zu. Die Ereignisse vom Januar seien nicht mehr ganz so präsent, sagt er, mittlerweile ist es ruhiger geworden im Ort, die Reporter sind längst weg. Vergessen aber, da ist er sich sicher, wird er „das“ nie. „Etwas wird bleiben“, sagt er. „Es sind zwei wehrlose Wesen gestorben.“

Traurige Regelmäßigkeit: Ähnliche Fälle aus der Vergangenheit

Der Fund der toten Babys in Benndorf erinnert an ähnliche Fälle aus der Vergangenheit. In trauriger Regelmäßigkeit werden in Deutschland tote Säuglinge entdeckt. Einer der schlimmsten Fälle ereignete sich 2005 in Brandenburg. Dort wurden in einer Garage neun tote Babys entdeckt. Ihre Mutter bewahrte sie in Eimern und Blumenkübeln auf. Sie wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Auch in Mitteldeutschland gibt es ähnliche Fälle: Mitte der 70er Jahre wird in einem Ort im Raum Querfurt (Saalekreis) ein toter Säugling in einer Jauchegrube gefunden. Der Fahrer des Fäkalientransporters hatte damals die Babyleiche gefunden. Eine Frau hatte das Neugeborene in das Plumpsklo geworfen. Im Ort Mühltroff (Sachsen) fand die Polizei im Juni 1999 drei Leichen in einer Gefriertruhe. Die Mutter der toten Kinder wird im März 2000 zu 13 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Im März 2006 entdeckt ein Mann in Neuendorf am Damm (Altmarkkreis) in einem Müllbehälter seiner von ihm getrennt lebenden Frau eine Babyleiche, auf dem Dachboden werden noch zwei skelettierte Säuglinge gefunden.

2007 finden Spaziergänger am Ufer eines Strandbades in Sandersdorf (Anhalt-Bitterfeld) eine Babyleiche, im Juni 2008 entdeckt man einen toten Säugling an einem Trampelpfad im Fockendorfer Grund in Zeitz (Burgenlandkreis). In Suhl (Thüringen) werden 2014 zwei Kinder auf dem Dachboden eines Hauses gefunden, 2017 ein totes Baby auf einem Grundstück in Weißenfels (Burgenlandkreis). (mz)

Ein Polizist steht Anfang Januar 2018 vor einem Haus in Benndorf, indem die toten Babys entdeckt worden.
Ein Polizist steht Anfang Januar 2018 vor einem Haus in Benndorf, indem die toten Babys entdeckt worden.
dpa-Zentralbild