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Zwei Babyleichen in der Kühltruhe gefunden Zwei Babyleichen in der Kühltruhe gefunden: Benndorf unter Schock

Von Fabian Wagener 03.01.2018, 22:00
In diesem Haus in Benndorf wurden die toten Säuglinge gefunden.
In diesem Haus in Benndorf wurden die toten Säuglinge gefunden. dpa

Benndorf - Eigentlich sieht alles nach familiärer Idylle aus. Nach heiler Welt. Die Eingangstür ist freundlich geschmückt, ein gebasteltes Stoff-Schäfchen baumelt hinunter, auf dem Schuhschrank blüht ein Weihnachtsstern und die Fensterbank, die zur Straße hin zeigt, ist mit einem kleinen Vogelhaus aus Holz dekoriert.

Und doch wurde in der äußerlich so friedvoll anmuteten Wohnung in Benndorf (Mansfeld-Südharz) ein schrecklicher Fund gemacht. Ein Fund, der die ganze kleine Ortschaft in Schockstarre versetzt. Von dieser grausigen Entdeckung zeugt nur das Polizeisiegel, das über das Wohnungsschloss geklebt ist.

Beamte fanden am Dienstagabend in der Wohnung einer alleinerziehenden Mutter zwei tote Babys. Die Leichen lagen nach MZ-Informationen in der Kühltruhe. Die Wohnung der Frau, die dort mit ihrer jugendlichen Tochter lebt und noch einen erwachsenen Sohn hat, war nach einem Hinweis des ehemaligen Lebensgefährten durchsucht worden. Die 46-Jährige wurde anschließend vorläufig festgenommen.

Nach Fund von Babyleichen in Benndorf: Suche nach Antworten

Am Mittwochmorgen, wenige Stunden nach dem Fund, herrscht in der 2000-Seelen-Gemeinde bei Eisleben vor allem ein Gefühl vor: Fassungslosigkeit. Einige Menschen bleiben vor dem Wohnblock stehen, in dem die Baby-Leichen gefunden wurden. Sie blicken auf die Reporter, die dort ihre Kameras aufgebaut haben.

Sie schauen auf den Polizisten, der die Fragen der Journalisten beantwortet und das Unerklärbare in Worte zu fassen versucht. Viele schütteln den Kopf. Sie können nicht begreifen, dass so etwas passiert ist. Hier bei ihnen. Im beschaulichen Benndorf. Wo fast jeder jeden kennt.

„Ich bin einfach geschockt“, sagt eine 30-jährige Frau, die ihre Hände in einem hellen Wintermantel vergraben hat. Benndorf sei ein idyllischer und friedlicher Ort, sie könne das alles einfach nicht glauben. Sie kenne die Frau, in deren Wohnung die Säuglinge gefunden wurden. Man laufe sich im Dorf ja öfters über den Weg, früher seien sie gemeinsam mit den Kindern auch schon mal auf den Spielplatz gegangen. An so etwas würde man nie denken. „Ich bin fast sprachlos“, sagt sie.

Einige Meter weiter, kurz um die Ecke, trägt Thomas Luft an diesem Morgen eine Werbetafel vor die Tür. Sie preist das Softeis an, das der 31-Jährige in seinem Café „I like Benndorf“ verkauft. Luft, roter Rauschebart und Ohrring, trägt ein dunkelrotes T-Shirt mit dem Wappen der Gemeinde.

Er ist gebürtiger Benndorfer, seit dreieinhalb Jahren betreibt er das Café. Und natürlich hat auch er längst mitbekommen, was in dem Wohnblock nebenan geschehen ist. „Ich habe es im Radio gehört“, sagt er und stützt sich auf einen der Holzstühle. „Es ist unbegreiflich.“

Immer wieder werden in Deutschland tote Säuglinge entdeckt. Die Funde treten in einer traurigen Regelmäßigkeit auf. Oft werden die Kinder von ihren Eltern im eigenen Wohnumfeld versteckt.

Einer der schlimmsten Fälle ereignete sich in Brandenburg. 2005 wurden dort in einer Garage neun tote Babys entdeckt. Ihre Mutter bewahrte sie in Eimern und Blumenkübeln auf. Die Frau wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Einige weitere Fälle aus Mitteldeutschland:

Mitte der 70er Jahre: In einem Ort im Raum Querfurt (Saalekreis) wird ein toter Säugling in einer Jauchegrube entdeckt. Der Fahrer des Fäkalientransporters hatte damals die Babyleiche gefunden. Der Fall wurde schnell aufgeklärt: Eine Frau hatte das Neugeborene in das Plumpsklo geworfen.

Juni 1999: Im Ort Mühltroff (Sachsen) findet die Polizei nach anonymen Hinweisen drei Leichen in einer Gefriertruhe. Es sind Babys, die in Plastiktüten verpackt wurden. Die Mutter der toten Kinder wird im März 2000 zu 13 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.

März 2006: In einem Müllbehälter seiner von ihm getrennt lebenden Frau entdeckt ein Mann in Neuendorf am Damm (Altmarkkreis) eine Babyleiche. Bei der Durchsuchung des Hauses findet die Polizei auf dem Dachboden noch zwei weitere, skelettierte Säuglinge.

März 2007: Spaziergänger finden am Ufer eines Strandbades in Sandersdorf (Anhalt-Bitterfeld) in einem Plastiksack eine Babyleiche. Die Mutter stellt sich einige Tage später der Polizei und gibt an, das Mädchen geboren zu haben. Die Obduktion beweist aber, dass das Kind noch mehrere Stunden nach der Geburt gelebt hatte.

Juni 2008: An einem Trampelpfad im Fockendorfer Grund in Zeitz (Burgenlandkreis) wird die Leiche eines toten Säuglings entdeckt. Fest steht, dass das Kind nach seiner Geburt gelebt hat. Die Ermittlungen sind mittlerweile eingestellt.

März 2014: In Suhl (Thüringen) werden zwei Kinder auf dem Dachboden eines Hauses gefunden. Die Mutter gesteht, dass sie eines der Babys mit einem Kissen erstickt habe. Der andere Säugling sei bereits tot zur Welt gekommen.

April 2017: Auf einem Grundstück in Weißenfels (Burgenlandkreis) wird ein totes Baby gefunden. Es weist Spuren von Gewalteinwirkungen auf. Bisher fehlt von der Mutter des Kindes noch jede Spur. (mz)

Die 46-jährige mutmaßliche Mutter der toten Babys war auch ab und an in dem kleinen Café zu Gast. „Immer mal wieder“, sagt Luft. So einen grausigen Fund wie am Dienstagabend habe man natürlich nie vermutet. „Man hört so etwas ja leider doch öfter, aber man würde nie denken, dass es in der Nachbarschaft passiert“, sagt er.

Und dann fügt er etwas hinzu, das zeigt, wie klein die Welt in einem Ort wie Benndorf ist, wie eng alles miteinander verbunden ist. „In der gleichen Wohnung hat früher meine Oma gewohnt“, sagt er. „Ich war da täglich.“

Gerüchteküche brodelt in Benndorf

Anders als Thomas Luft sprechen die meisten Menschen in Benndorf an diesem Tag nur unter dem Mantel der Anonymität. Und es gehen Gerüchte um. Es ist davon die Rede, dass die 46-Jährige, die Altenpflegehelferin war, aber nicht mehr arbeitete, Schwierigkeiten gehabt habe. Sie sei angeblich kaufsüchtig gewesen, sagt eine Frau.

Dann zeigt sie auf einen kleineren, hellhaarigen Mann, der die Straße entlang hastet, auf einen Polizisten zu. Das sei der ehemalige Lebensgefährte, der wenige Stunden zuvor die Polizei informiert habe, sagt sie. Jetzt erkundigt er sich, was mit den Haustieren werde, die noch in der Wohnung seien. Der Mann selbst will nichts sagen. Er winkt ab und geht davon.

Auch die Polizei hält sich mit Blick auf die laufenden Ermittlungen zurück. Nur so viel: „Es gab zunächst den Hinweis, dass in der Wohnung ein totes Baby ist“, sagt Polizeisprecher Ralf Karlstedt, während er vor dem Wohnblock steht, in dem seine Kollegen die schreckliche Entdeckung gemacht haben.

Tote Babys werden rechtsmedizinisch untersucht

Die 46-Jährige und ihr ehemaliger Lebensgefährte seien „wohl seit geraumer Zeit“ nicht mehr zusammen gewesen. Gegen den Mann werde nicht ermittelt. Die minderjährige Tochter, die mit in der Wohnung lebt, werde jetzt vom Jugendamt betreut.

Wie lange die Säuglinge schon tot sind, ist noch unklar. Es könnten durchaus mehrere Monate oder sogar Jahre sein. Woran die Kinder starben, und ob sie nach der Geburt gelebt haben, ist ebenfalls unklar. Es werde eine rechtsmedizinische Untersuchung geben, so Karlstedt. „Die Ermittlungen stehen noch am Anfang.“ Und der Sprecher macht keinen Hehl daraus, dass ein solches Geschehnis auch einen erfahrenen Polizisten berührt. „Natürlich geht auch einem Polizeibeamten so ein Fall sehr nahe.“

Die 46-jährige Mieterin der Wohnung und mutmaßliche Mutter der toten Kinder kam derweil nach einer Befragung am Mittwoch wieder frei, es wurde kein Haftantrag gestellt. „Wir wissen einfach noch nicht, was genau da vorgefallen ist“, so Oberstaatsanwältin Heike Geyer.

Benndorfs Bürgermeister zeigt sich schockiert

Unabhängig davon, was die weiteren Ermittlungen ergeben, scheint jedoch eines klar: Es wird dauern, bis im beschaulichen Benndorf wieder so etwas wie Normalität einkehrt, bis es wieder so ist, wie es einmal war.

„Das ist einfach schockierend, das begreife ich nicht“, sagt Bürgermeister Mario Zanirato der MZ. Er habe selber Kinder und Enkelkinder. Der Fall, das sei sicher, werde die Ortschaft noch lange beschäftigen. Man könne nicht glauben, das so etwas in der eigenen Gemeinde passiert sei, sagt er.

Gespräch im Tante-Emma-Laden

Nicht wahrhaben wollen das auch die Menschen, die an diesem Mittwochmorgen in der Fleischerei in Benndorf stehen. Eigentlich ist es sogar mehr als eine Fleischerei, ein Tante-Emma-Laden, ein Treffpunkt.

Eine Frau bestellt eine Packung Zigaretten, eine andere steht neben ihr an der Theke. Alle haben hier bereits von den Ereignissen gehört. Natürlich. Zuerst schweigen sie. Dann sagt eine Frau über die vorrübergehend Festgenommene, die mutmaßliche Mutter: „Ich kenne sie. Sie war immer nett.“ (mz)