„Don Giovanni“ in Dessau Ein Altrocker auf der Pirsch
Dem Anhaltischen Theater Dessau gelingt auch mit der „Don Giovanni“-Inszenierung von Hausherr Johannes Weigand und Generalmusikdirektor Markus L. Frank ein Volltreffer.
Dessau-Rosslau/MZ. - Wer ist eigentlich Don Giovanni? Der sprichwörtliche Frauenheld? Einer, der jedes Moralgebot von Treue, gar Ehe, missachtet und dafür in der Hölle landet? Einer, der sich für das Geschenk des Himmels an die Frauen in Italien, Deutschland, Frankreich, Persien und vor allem in Spanien schlechthin hält? Das schlechte, abschreckende Beispiel eines Womanizers? Oder ist er nicht auch das sprichwörtliche Salz in der Suppe der Anderen – so ähnlich wie sein Opernkollege Falstaff? Gar das Beispiel eines Libertins? Immerhin ist sein „Viva la Liberta“ ziemlich zentral in Mozarts und DaPontes Oper der Opern platziert.
Bei den Regisseuren hat es sich eingebürgert, am Ende, nach der Höllenfahrt, vor allem den Phantomschmerz zu zelebrieren, der die Opfer seiner Rücksichtslosigkeit befällt. Obwohl (oder weil) der regieführende Dessauer Intendant Johannes Weigand seinen „Don Giovanni“ ziemlich nah an unsere Gegenwart heranzoomt, geht er am Ende auf den ersten Blick einen Schritt zurück.
Feministische Pointe
Natürlich nicht zu einem moralischen Verdammungsurteil, aber zu einer Pointe, die beinahe schon feministisch ist. Es ist Donna Anna, die keinen Zweifel daran lässt, wer fortan in dem All-inclusive-Hotel das Sagen hat.
Sie übernimmt den Laden ihres ermordeten Vaters. Sie tauscht mit Ottavio (mit angenehmem Schmelz: Costa Latsos) zwar die Verlobungsringe, dürfte seine Kompetenzen aber kaum allzuweit über dessen Fachgebiet (Tapetenausauswahl) erweitern. Zu dem Rest des Personals, das sie übernimmt, gehört auch Leporello. Elvira wird sicher zu Sonderkonditionen logieren dürfen.
Der Don sieht aus wie Udo Lindenberg
Hermann Feuchter hat eine opulente Luxus-Suite auf die Bühne des Anhaltischen Theaters gesetzt, die sich als cleverer Innen- und Außenraum bewährt. Wenn die Balkonfenster genutzt oder auch mal angesungen werden, ist ein Teil der Kulisse nach innen verrückt und man ist unversehens auf der Straße.
Zum Friedhof wird die Szene, wenn der Riesenvorhang hinterm Paradebett per Fernbedienung geöffnet wird und der Komtur (Caleb Yoo) als Marmorstatue losdonnert. Das ist immer bühnenpraktisch – und eine Augenweide.
In der legendären „Don Giovanni“-Inszenierung von Weigands Vorvorgänger vor 19 Jahren war der damalige Don Giovanni Ulf Paulsen ein Popstar des Ancien Regime. Kay Stiefermann ist heute auch einer – erinnert aber eher an Udo Lindenberg.
Ein Mann der nicht altern will oder kann. Mit strähniger Mähne und Glatze unter dem Hut, mit Klamotten, die mal fetzig waren. Dass Stiefermann zum überzeugenden, sich selbst als unwiderstehlich suggerierenden Spiel ein etwas aufgerautes Timbre mitbringt, passt zu diesem Altstar, der es einfach nicht lassen kann.
Gekonnte Personenregie
Dazu passt, dass sich der geschmeidige Michael Tews den selbstbewusst auch mit seinem Chef streitenden Leporello im Chauffeurs-Outfit nicht als einen Don Giovanni für Arme ausgibt. Barı Yavuz und Bogna Bernagiewicz spielen erfrischend glaubwürdig die junge Liebe von Masetto und Zerlina. Nach dem Motto: Nicht nur gucken, sondern auch mal anfassen. Dabei wird klar, dass dieser Masetto künftig die zweite Geige spielen dürfte.
Weigand findet mit gekonnter Personenregie allemal das rechte Maß zwischen Ruhe und Turbulenz, in der sich auch der von Sebastian Kennerknecht einstudierte Chor des Hauses bestens bewährt. Auch wenn die Korken knallen und mal im Graben landen.
Judith Fischer langt mit ihren Kostümen richtig zu, wenn sich Anna, Elvira und Ottavio verkleiden, um auf dem Ball Don Giovanni bloßzustellen. Da wird Elvira zu Elvis und Anna zu Anna Bolena. Don Giovanni selbst hat in einem Anflug von Selbstironie ein Kostüm, bei dem sein Kopf wie der von Jochanaan in der „Salome“ schon auf dem Silbertablett platziert ist.
Bei Felsenstein hatten die Männer die Oberhand – heute sind es die Frauen. Iordanka Derilova liefert mit der Gestik einer italienischen Filmdiva eine fulminant hochdramatische Donna Elvria. Für pures Mozartglück aber sorgt Ania Vegry als Donna Anna. Wie sie ihre Stimme ohne Druck aufblühen lassen kann, um mit betörend sinnlichem Timbre Gefühl verklingen zu lassen – das allein schon ist vergnügungssteuerpflichtig.
Opernhauptstadt Dessau
Dazu kommt, dass Markus L. Frank mit der Anhaltischen Philharmonie einen dramatisch geschmeidigen Sound findet, der das große Haus füllt, zu einer Einheit mit dem Gesang wird und so das Publikum sinnlich fesselt.
In Dessau wurde auch die letzte Premiere der Spielzeit zu Recht bejubelt. „Vogelhändler“, „König Roger“, „Tristan und Isolde“ und jetzt „Don Giovanni“ – alles mehr als nur gut gegangen. Gäbe es den Titel Opernhauptstadt in Sachsen-Anhalt – Dessau bekäme ihn!
Nächste Aufführungen am Anhaltischen Theater in Dessau-Roßlau: 11. Mai um 17 Uhr, 17. Mai 19.30 Uhr und am 31. Mai um 19.30 Uhr