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Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt: Zentrale Anlaufstelle in Halberstadt im Ausnahmezustand

Von Katrin Löwe 23.07.2015, 18:11
Selbst die Turnhalle der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber ist mittlerweile ausgelastet.
Selbst die Turnhalle der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber ist mittlerweile ausgelastet. Andreas Stedtler Lizenz

Halberstadt - Iman Hussein hat einen Wunsch: ein Zimmer für sich und seine Familie. Zu acht sind sie vor dem Krieg in Syrien geflohen und vor vier Tagen in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (Zast) in Halberstadt (Harz-Kreis) angekommen. Seitdem leben der 25-Jährige und seine Angehörigen - die jüngste ist sechs Jahre alt - in einer Turnhalle der Einrichtung etwas außerhalb der Stadt. „Deutschland ist gut“, sagt Iman. Aber die Sporthalle eben inzwischen auch überfüllt, an Privatsphäre ist nicht zu denken. Anfangs sollte sie als Notunterbringung für Flüchtlinge dienen, die in der Nacht in der Zast ankommen, dort, wo Asylbewerber in Sachsen-Anhalt zuerst registriert werden müssen. Viele von ihnen leben aber seit Tagen in der Halle. Auf Feldbetten, zum Teil nur auf losen Matratzen oder Decken, die inzwischen den ganzen Raum füllen.

Massive Steigerung der Flüchtlingszahlen

Die Einrichtung, die regulär 1.000 Plätze bietet, ist hoffnungslos überfüllt. „Was vor zwei Wochen noch galt, hat heute keine Gültigkeit mehr“, sagt Margret Heine, stellvertretende Leiterin der Zast. Die massive Steigerung der Flüchtlingszahlen - in diesem Monat werden erstmals bis zu 2.000 Menschen erwartet - habe jeden überrascht. „Allein in der vergangenen Nacht sind knapp unter 100 gekommen.“ Auf dem ehemaligen Kasernen-Areal herrscht ständiges Gewusel - an reguläre Arbeitstage sei auch für ihre Kollegen „derzeit nicht zu denken“, sagt Heine.

Vor dem Bürotrakt für die Anmeldung sitzen an diesem Vormittag rund 60 Flüchtlinge im Gras und warten - drinnen steht noch eine Schlange. Busse verlassen das Gelände, um Asylbewerber auf die Kreise und Städte aufzuteilen. Dazwischen fahren Handwerker-Wagen, dröhnen Geräusche von Bauarbeiten. Zwei Etagen eines Plattenbaus werden gerade für weitere 200 Flüchtlinge hergerichtet, Ende September sollen sie bezugsfähig sein. Zwischen den Häusern läuft in ersten Wohncontainern bereits der Innenausbau. 88 Plätze bieten sie zunächst - einige vielleicht noch in diesem Monat. Eine zweistöckige Containereinheit hat pro Etage neun Zimmer, eine Sanitäreinheit mit Dusche, Waschmöglichkeit und WC und einen Raum für Sozialarbeiter. Hinter dem Zaun des Geländes ist ein ganzes Containerdorf mit rund 500 Plätzen geplant. Das wird aber voraussichtlich bis Oktober dauern. Zeit, die niemand hat.

Vergangene Woche zog das Land die erste Notbremse. In einer weiteren Turnhalle - mitten in Halberstadt - wurde eine Notunterkunft eingerichtet. 30 Männer aus Afghanistan, Syrien und Albanien zogen ein, rund um die Uhr betreut von ehrenamtlichen Helfern des Deutschen Roten Kreuzes. In die Schlagzeilen geriet die Unterkunft, als sechs junge Halberstädter bereits in der ersten Nacht Steine auf die DRK-Zelte warfen, eine 20-Jährige verletzen. Zwei Tage später flogen Polenböller, wurden drei Männer gestellt, die sich in der Nähe mit Steinen bewaffneten. Für Szenekenner ist wenig überraschend, dass sie zudem Aufkleber und Plakate der Partei „Die Rechte“ bei sich hatten. Die habe im Moment zwei Kreisverbände in Sachsen-Anhalt - einen davon im Harz. Dort sammle sich der militante Kern der Neonaziszene, seit den Protesten gegen Flüchtlinge im sächsischen Freital „mit einem enormen Selbstbewusstsein ausgestattet“, so Extremismus-Experte David Begrich.

„Das Motto war eher: jetzt erst recht“

Die DRK-Helfer ließen sich nicht einschüchtern. „Das Motto war eher: jetzt erst recht“, so Einsatzleiter Frank Hachmann. Annemarie, die durch den Stein verletzt wurde, und Vanessa erklären, warum auch sie geblieben sind. Die Geschichte der Asylbewerber habe sie beeindruckt, sagt Annemarie. Etwa die des Afghanen, der erzählte, wie ihn seine Mutter jede Nacht in seinen Träumen besucht. „Wir spüren die Dankbarkeit der Menschen“, sagt Vanessa. Deren Willen, etwas beizutragen, indem sie das Gelände reinigen. Und den Wunsch, schnell Deutsch zu lernen.

Die DRK-Helfer wurden Mitte der Woche regulär abgelöst. Sie wären gern geblieben, trotz des Angriffes, der ihnen im ersten Moment Angst einjagte. Überwiegend seien Reaktionen aus dem Umfeld positiv gewesen, hätten Menschen Hilfe angeboten, sagt Hachmann. Dabei war der Standort umstritten - mitten im Plattenbauviertel, mit Leerstand und Sozialwohnungen, wie eine Anwohnerin sagt. Das Innenministerium verteidigte ihn. Es habe eine Gefährdungsanalyse gegeben. Dennoch: Die Halle soll möglichst nicht mehr genutzt werden.

Für Vanessa bleibt trotz aller Debatten und der Angriffe ein Fazit nach den Tagen im Not-Camp: „Was wir hier an Positivem erlebt haben, kann keiner mit Geld bezahlen.“ (mz)

DRK-Helfer haben in dieser Woche schon Flüchtlinge in einer Notunterkunft außerhalb mit Essen versorgt.
DRK-Helfer haben in dieser Woche schon Flüchtlinge in einer Notunterkunft außerhalb mit Essen versorgt.
Andreas Stedtler Lizenz
Die ersten Wohncontainer sollen in Halberstadt bald einzugsbereit sein. Sie schaffen dringend benötigten Platz.
Die ersten Wohncontainer sollen in Halberstadt bald einzugsbereit sein. Sie schaffen dringend benötigten Platz.
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