1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Ausstellung in Schönebeck: Ausstellung in Schönebeck: Geschichte, die schwer wiegt

Ausstellung in Schönebeck Ausstellung in Schönebeck: Geschichte, die schwer wiegt

Von Alexander Schierholz 05.11.2006, 17:50

Schönebeck/MZ. - "Hat noch jemand Fragen?" Aufmunternd schaut Hannah Pick in die Runde, aber bei dem Dutzend Schülerinnen und Schülern, die im Halbkreis um die 77-Jährige sitzen, rührt sich keine Hand. Schließlich meldet sich Steffen Uhlig: "Was wir gehört haben", fasst der Geschäftsführer des Schönebecker Vereins "Rückenwind" zusammen, "wiegt wohl zu schwer, um gleich nachzufragen."

Hannah Pick, die heute in Jerusalem lebt, ist in Berlin geboren. 1933 muss die jüdische Familie vor den Nationalsozialisten fliehen. Erst nach England, dann nach Holland. Es ist still in dem Besprechungsraum der Schönebecker Stadtwerke, als die agile alte Dame davon erzählt. Eineinhalb Stunden lang berichtet sie von ihrer Freundschaft mit Anne Frank, die sie in Amsterdam kennen lernt, mit der sie dort den Kindergarten und die Schule besucht. Vom Beginn des Zweiten Weltkriegs. Vom gelben Judenstern, den sie plötzlich tragen müssen. Von den Transporten in die Konzentrationslager. Von Kälte, Hunger und Krankheiten. Und davon, wie sich die beiden Mädchen in Bergen-Belsen noch einmal treffen, im Februar 1945. Wenige Wochen später, kurz vor der Befreiung, stirbt Anne Frank im Alter von 15 Jahren an Typhus.

Der Grund für den Besuch von Hannah Pick in Sachsen-Anhalt liegt mehr als vier Monate zurück: Am 24. Juni verbrannten Rechtsextremisten während einer so genannten Sonnenwendfeier in Pretzien bei Schönebeck öffentlich eine Ausgabe des Tagebuchs der Anne Frank und eine US-Flagge. Seither beratschlagen Politik, Vereine und Verbände im Landkreis und im ganzen Land, was schiefgelaufen ist. Und was zu tun ist. Sie haben Bürgermeister fortgebildet. Sie wollen Feuerwehren und Sportvereine schulen in der Auseinandersetzung mit Neonazis. Und sie haben die Wanderausstellung des Berliner Anne-Frank-Zentrums geholt, zu deren Eröffnung auch Hannah Pick gekommen ist.

Die Ausstellung zu zeigen, darauf legt Steffen Uhlig vom lokalen Veranstalter "Rückenwind" Wert, sei "kein Ausdruck von Aktionismus". Aber ohne Pretzien wäre sie in Schönebeck jetzt wohl nicht zu sehen. Auch wenn Holger Hövelmann (SPD) sich einen anderen Anlass für die Schau gewünscht hätte. Der Innenminister fordert, wie andere Redner der Eröffnungsfeier auch, eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. "Unsere Gesellschaft", so drückt es Landtagspräsident Dieter Steinecke (CDU) mit Blick auf Pretzien aus, "muss jedem, der einen solchen Tabubruch begangen hat, klar machen: Das lassen wir nicht zu." Und wie? Indem man nicht vergisst, sagt Hövelmann: "Die Erinnerung wachzuhalten, das ist der beste Schutz gegen Intoleranz."

Die Erinnerung an Anne Frank wird wach bleiben. Die Erinnerung an Hannah Pick auch. Dafür wird schon ihre Enkelin sorgen, die die alte Dame begleitet. Sie arbeitet an einem Buch über ihre Großmutter.