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Wittenberg platzt aus allen Nähten Reformationstag Wittenberg: Lutherstadt platzt 2015 aus allen Nähten

Von Ilka Hillger 02.11.2015, 07:11

Wittenberg - Der Reformationstag riecht süß und herzhaft, er ist ein Tag des Gedränges und der fehlenden Parkplätze. So lässt sich der Samstag in wenige Worte fassen. Diesmal, im Gedenken an Martin Luthers Thesenanschlag vor 498 Jahren in Wittenberg, war der Feiertag zudem ein Tag der Sonne. So herrlich war es selten an einem 31. Oktober.

Tausende ließen sich locken - auch vom letzten Ausstellungswochenende der Cranach-Schau - und machten so die kleine Fest-Schwester von „Luthers Hochzeit“ fast zur ebenbürtigen Feiergelegenheit. Wittenberg platzte mal wieder aus allen Nähten.

Große Nachfrage

Im Info-Container an der Schlosskirche könnte Marion Grund ihren Spruch fast vom Tonband spielen, so oft wird sie gefragt, ob die Kirche besucht werden kann. „Dann muss ich immer auf das nächste Jahr verweisen“, sagt die Frau hinterm Tresen. Und nein, es gibt keine Karten mehr für das Konzert um 14 Uhr. „Wir hätten das Konzert zehnmal hintereinander spielen können, so groß war die Nachfrage“, sagt Thomas Höhne, Veranstalter des Renaissance- Musikfestivals, und kämpft sich durch die Wartenden vor der Thesentür.

Zum Finale der Reihe lässt er seine Hofkapelle das Festkonzert in der Schlosskirche spielen.

Antje Velasquez will nicht in die Kirche, aber sie kauft im Info-Container ein. Natürlich die Thesen. „Es ist mir fast peinlich“, sagt die junge Leipzigerin, „ich hatte Religionswissenschaften im zweiten Hauptfach und habe Luthers Thesen nie gelesen.“ Das will sie nun nachholen und nimmt sich Luthers bahnbrechendes Papier als Lektüre mit.

„Man will ja nicht nur von Fressbude zu Fressbude ziehen, sondern auch etwas über die Hintergründe des Feiertages erfahren“, so die Ethnologin, die staunt, „was für eine akademische Hochburg Wittenberg einmal war“.

Mit den Ponys durch die Stadt

An den vielen Schildern der Häuser in der Altstadt lässt sich ablesen, wer hier schon mal lebte und arbeitete. Samstag haben wenige den Blick dafür frei. Wer stehen bleibt, wird schnell zum Verkehrshindernis und womöglich von Helmut Schmidts Klingel aufgeschreckt. Dreht man sich dann um, stehen Willi und Moritz vor einem: Die genügsamen Ponys des Kutschers, der seine Touren durch die Altstadtstraßen anbietet. „Ich zähle nicht mit, wie oft ich hier hoch und runter fahre“, sagt Schmidt. Hat er sich erst den Weg gebahnt, kommt man im Windschatten seiner Kutsche prima voran. „Auf Willi und Moritz kann ich mich verlassen“, so der Kutscher. Für die nächste Saison kündigt er Werner an, ein Pferd, das im Winter auf den Dienst in der Stadt vorbereitet wird. „Da braucht es viel Gespür“, weiß der Fachmann.

Nicht in der Kutsche sondern zu Fuß muss man seinen Weg zur Stadtkirche finden. Zentral und doch etwas abseits vom größten Trubel gelegen, ist sie ein ruhigerer Ort im Reformationstag-Spektakel. Eigentlich sollte es hier die Kekse in Stadtkirchenform geben. Gab es auch, aber nur bis Mittag. „Dann waren wir ausverkauft“, freut sich Michael Schreiber von der Stadtkirchengemeinde. Da muss Bäckermeister Jäger wohl schnell wieder an die Teigschüsseln, um Nachschub zu liefern, derweil greifen die Besucher zu den Adventskalendern, die die Gemeinde anbietet. Der Wittenberger Bäcker hatte hingegen nicht nur mit den Kirchenkeksen zu tun, er hat auch 1 500 Reformationsbrötchen gebacken, die Ehefrau Romy Jäger und die Töchter vor dem Cranach-Hof verkaufen. „Die schmecken am besten auf die Faust und mit einem Kaffee dazu“, empfiehlt die Bäckersfrau. „Viel besser als bei uns in Leipzig“, schwärmt Kundin Waltraud Sieger und beißt ins Gebäck, dessen Form der Lutherrose gleicht. „Ein paar Tage gibt es die noch im Laden“, so Romy Jäger.

Dann blasen auch schon die Fanfaren vom Rathausbalkon. Sie kündigen den Zug des Akademischen Senats zur Leucorea an. In akademischer Tradition und in historischen Talaren ziehen die Professoren zur Disputation und zur Festansprache anlässlich des 20. Jubiläums der Stiftung. Disputiert wird über „Globale Wirtschaftsethik und der Geist des Kapitalismus“. Dabei sind die Fenster zu, Duft und Lärm des Spektakels in den Straßen bleiben außen vor. Das ist gut, denn der Reformationstag ist auch heute noch viel mehr als lediglich ein Volksfest, auch wenn der Eindruck zuweilen trügt.

Letztes Thema vorm Finale

Mit dem Reformationstag 2015 hat das neue Themenjahr im Rahmen der Reformationsdekade der Evangelischen Kirche begonnen. Unter dem Motto „Reformation und die Eine Welt“ löst es das Thema „Reformation - Bild und Bibel“ ab, das die vergangenen zwölf Monate maßgeblich - vor allem durch das Cranach-Jubiläum - prägte.

Im Rahmen des von der EKD initiierten Reformprozesses „Kirche im Aufbruch“ hat jedes Jahr bis zum 500. Reformationsjubiläum 2017 seinen je eigenen Themenakzent. Dabei kommt es den Initiatoren darauf an, die Vielfalt der mit der Reformation gesetzten Themen zu bündeln. Das aktuelle Thema zeigt u.a. die Vielfalt reformatorischer Kirchen und was sie verbindet, die Rolle der Bibel in unterschiedlichen Kontexten, koloniale Wunden als Herausforderung für Theologie und Kirche und Wege des Engagements für Gerechtigkeit und Frieden auf. In einem Jahr beginnt am 31. Oktober offiziell das Reformationsjubiläum. (mz)