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Kirchentag in Wittenberg Kirchentag in Wittenberg: So war es für die Einheimischen

Von Marcel Duclaud 28.05.2017, 22:00
Am Sonntagnachmittag belebt sich nach dem Abschluss des Festgottesdienstes auf der Elbwiese die Wittenberger Altstadt ein bisschen: Besonders die Thesentür ist ein beliebtes Fotomotiv.
Am Sonntagnachmittag belebt sich nach dem Abschluss des Festgottesdienstes auf der Elbwiese die Wittenberger Altstadt ein bisschen: Besonders die Thesentür ist ein beliebtes Fotomotiv. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Die Altstadt von Wittenberg ist am Sonntagvormittag ein ruhiger Ort, kein Wunder, das Zentrum des Geschehens rückt an diesem so besonderen Wochenende an die Peripherie, auf den Pratauer Elbwiesen spielt sich das (protestantische) Leben ab - mit schönem Blick auf die Silhouette der Lutherstadt.

Auf den Straßen herrscht beschauliche Stille, die mancher Tourist genießt und nutzt für einen unbedrängten Bummel durch die historische Meile. Nicht jeder weiß vom Kirchentag.

Von einer „entspannten Atmosphäre“ und froh gestimmten Menschen reden denn auch jene, die in diesen Tagen eigentlich alle Hände voll zu tun haben: etwa Ayleen Deisinger und Tina Riedel, die vor der Tourist-Information Position bezogen haben, um Auskunft zu erteilen über Wittenberg. Die Standardfrage an diesem Morgen lautet: „Wo geht es zur Festwiese?“ Frage Nummer zwei: „Wo ist die Thesentür?“ Ganz einfach: gegenüber.

Der Kirchentag ist ein Höhepunkt des Jubiläumsjahres. In Wittenberg, wo vor 500 Jahren die Reformation begann, ist noch bis zum 10. September in den Wallanlagen eine einzigartige Schau zu sehen: die Weltausstellung Reformation.

Allerdings ist die entspannte Stimmung bisweilen auf der Kippe. Das hat mit den weiten Wegen zu tun, die zu bewältigen sind, und mit mangelnder, teils widersprüchlicher Information. So ist die Überraschung am Sonntagmorgen groß, als der Übergang am Bahnhof Altstadt geschlossen wird. Die Polizisten dort müssen sich Fragen und einiges Unverständnis gefallen lassen.

Die Sperrung habe mit den zahlreichen durchfahrenden Zügen und der Sicherheit zu tun, heißt es. Den Ärger steigert eine Lautsprecherdurchsage von Uwe Fröhlich vom Verkehrsdienst. Er informiert am späten Vormittag über eine überlastete Pontonbrücke und bittet die Kirchentagsgäste, den Weg über die Bahnhofsbrücke und die große Elbebrücke zu nehmen. Das ist richtig weit.

Nicht alle Gäste sind gut zu Fuß und vereinzelt wird kurzerhand umdisponiert, die Festwiese und der Gottesdienst aus dem Programm gestrichen. Für einiges Kopfschütteln hat am Abend zuvor gesorgt, dass Shuttlebusse leer über die Elbebrücke fahren, während viele, viele Menschen den Weg per pedes bewältigen dürfen. Zum Teil alte, gehbehinderte Leute.

Ein bisschen widersprüchlich ist zudem die Information zum Thema Fahrrad: Die dürfen nicht mit auf die Brücke, heißt es. Zu sehen sind dort indes ziemlich viele Drahtesel.

Dass der Übergang Altstadtbahnhof stundenlang nicht zu passieren ist, sei eine klare Forderung der Bundespolizei, sagt Holger Zubke, Fachbereichsleiter der Kreisverwaltung, eben wegen der hohen Zugfrequenz. „Ich hätte das auch lieber anders gehabt“, macht er keinen Hehl aus seiner Meinung.

„Wir haben uns den Sicherheitsaspekten gebeugt.“ Beim Shuttle führt Zubke an, dass davon ausgegangen wurde, die Straßen für die Menge an Menschen zu brauchen. Er spricht von einer „Entflechtung der Besucherströme“, räumt aber ein, dass die Wege weit und mancher sie wohl unterschätzt habe.

Dass vom und zum Bahnhof kein Shuttle geplant gewesen sei, „ist sicher nicht ganz so glücklich“, erklärt der Verkehrsexperte. Deshalb wird Sonntag kurzfristig noch die Möglichkeit eröffnet, vom Sonderparkplatz Dr.-Behring-Straße in einen Bus Richtung Bahnhof umzusteigen.

Aber das sind natürlich Kleinigkeiten vor dem Hintergrund der Größe des Ereignisses. Sagen auch Helmut und Ruth Schlemme aus Wittenbergs Partnerstadt Göttingen.

Sie wissen zwar in diesem Moment noch nicht, wie sie zur Festwiese kommen sollen, auf der sie am frühen Morgen schon waren, um den Sonnenaufgang und die ganz besondere Stimmung dort zu erleben (zum Frühstück kehrt das Paar ins Hotel zurück), trotzdem sind sie guten Mutes: „Wir genießen die Tage hier sehr. Es gibt unheimlich viel zu sehen und zu hören.“

Auch eine Gruppe vom Französischen Evangelischen Kirchenbund (Fédération protestante de France, FPF) nutzt den Kirchentag für einen Bummel durch die Altstadt. Die Franzosen aus Paris, Bordeaux und Bergerac sind am Sonntagmorgen in Berlin mit dem Zug gestartet und loben in der Coswiger Straße die Organisation des Kirchentages sowohl in Wittenberg als auch in Berlin. „Wittenberg ist ein fabelhafter Gastgeber“, heißt es.

Am Nachmittag belebt sich die Stadt, Gottesdienstbesucher nutzen die Gelegenheit - für ein Foto an der Thesentür, für einen Blick in die Kirchen. Frank Lüder zum Beispiel, der aus Bielefeld angereist ist und ebenfalls Organisation und Logistik lobt: „Das ist nicht einfach bei so vielen Menschen und bei der angespannten Sicherheitslage.“

Ein bisschen enttäuscht sind unterdessen Gastronomen und Händler. Sie haben sich mehr erhofft. Etwa Carola Hiller, die Luther-Souvenirs anbietet: „Was wir heute verkauft haben, ist verschwindend gering.“ Aber sie hat Hoffnung: „Die Weltausstellung hat ja erst begonnen.“ (mz)