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Fingerspitzengefühl für Kulinarisches

Von Sabine Wesner 30.05.2007, 16:08

Wittenberg/MZ. - Nur dass auf den zwölf gebundenen Seiten nicht ein Buchstabe in herkömmlichen Sinne steht.

Erst auf den zweiten Blick sind die herausgestanzten Punkte zu sehen, die Aufschluss darüber geben, was die Einrichtung an kulinarischen Angeboten bereithält. "Wir haben in Zusammenarbeit mit Andreas Leutloff vom Blinden- und Sehbehindertenverband in Wittenberg eine Blindenspeisekarte herausgegeben", erzählt Dirk Teschner, der mit seiner Frau Birgit seit Januar die Gaststätte betreibt. "Nach unserer Recherchen ist das sogar die erste in Sachsen-Anhalt", erklärt der Chef, der nach Anfragen beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband und im Internet Ähnliches nur in Hamburg, München und Berlin fand. "Wir haben auch öfter sehbehinderte Gäste. Und als wir beschlossen, unsere Speisekarte auch in englischer, spanischer und schwedischer Sprache anzubieten, kam uns die Idee, unsere Angebot auch in Blindenschrift zu offerieren", erzählt Teschner. Und während die fremdsprachlichen Druckwerke erst in den nächsten Tagen fertig sind, konnte am Mittwochnachmittag, und damit rechtzeitig vorm Tag der Sehbehinderten am 6. Juni, die mit den Fingern zu lesende Blindenspeisekarte präsentiert werden.

"Ich fand die Idee toll", gesteht Leutloff. Der Mann, der in Wittenberg eine Selbsthilfegruppe für Sehbehinderte leitet, beherrscht die Blindenschrift und machte sich an die Übersetzung der Karte. Ich hab erst mal alles in Kladde geschrieben, um zu sehen, wie viel Text ich auf eine Seite bekomme", erzählt der Wittenberger, der gleich zwei Exemplare der Speisekarte mit einer mechanischen Punktschriftmaschine selbst geschrieben und gebunden hat. Hilfe bekam er dabei von Rolf Hartig. Der ebenfalls sehbehinderte Senior hat von 1947 bis 1950 in Wittenberg in einer Bäckerei gelernt. "Wir mussten in dem Haus, dass damals noch als Villa "Diana" bekannt war, Aufbaustunden leisten", erinnert sich Hartig, der nun nicht nur einige seiner Erinnerungen im Vorwort der Speisekarte wiederfindet, sondern wie alle an dem Projekt Beteiligten hofft, mit der Karte vielen Sehbehinderten ein Stück Eigenständigkeit geschenkt zu haben.