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Firmenchef von Nathusius erklärt  Rad-Produktion bei Mifa an neuem Standort in Sangerhausen

Von Steffen Höhne 22.12.2016, 06:30
Gisela Klemm, 20 Jahre bei Mifa, bei der Endkontolle eines Fahrrads.
Gisela Klemm, 20 Jahre bei Mifa, bei der Endkontolle eines Fahrrads. Lukaschek

Sangerhausen - Gisela Klemm gibt noch  schnell ein paar Anweisungen: „Das Rad muss raus“, ruft die Mitarbeiterin der Qualitätssicherung einem Kollegen entgegen. An einen Fahrradständer bringt sie ein rotes Klebeband an. „Der Ständerfuß fehlt“, sagt sie. Das müsse  nachgebessert werden. 

Die Produktion der Mountainbikes läuft: Am Dienstag hat der Fahrrad-Hersteller Mifa-Bike die erste Linie in seinem neuen Werk in Betrieb genommen. Die Hallen sind teilweise noch leer, doch spätestens im Februar soll die Fertigung voll laufen.

Firmenchef Heinrich von Nathusius, ein groß gewachsener älterer Herr  im kariertem Sakko mit Einstecktuch, steht neben seinen Mitarbeitern am Band, schaut den eingeübten Handgriffen zu.  Der Start  ist ein Meilenstein für die Firma und soll den Beginn einer  erfolgreich  Zukunft markieren. Es könnte ein großer Tag für  von Nathusius sein.

Doch nach Feiern ist ihm nicht zumute, denn die finanzielle Lage ist angespannt. „Wir haben ein Sanierungsgutachten in Auftrag gegeben“, sagt der 74-Jährige der MZ. Damit gesteht er  erstmals öffentlich ein, dass die finanziellen Probleme des  Sangerhäuser  Unternehmens doch etwas größer sind als er bisher angegeben hat. Von Nathusius ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Unternehmer im Land, die Rettung von  Mifa läuft allerdings alles andere als rund.

Neues Werk von Fahrrad-Bauer Mifa in Sangerhausen soll durch effizientere Konstruktion Kosten sparen

Der  gebürtige Berliner übernahm nach der Wende das Ifa-Gelenkwellenwerk in Haldensleben (Börde) und baute es zum führenden Autozulieferer in Sachsen-Anhalt aus.  Als 2014 der traditionsreiche Fahrrad-Hersteller Mifa  pleite ging, klopften mehrere Landespolitiker und Banker an seine Tür, ob er nicht auch etwas für dieses Unternehmen tun könne.

Von Nathusius, der die Geschäfte bei Ifa bereits an seinen Sohn Felix  abgegeben hatte, zögerte nicht lange. Dem Fahrrad und E-Bike sagt der 74-Jährige eine große Zukunft als Verkehrsmittel voraus. Er sicherte 500  Jobs in der strukturschwachen Region.  Von Nathusius wurde als Retter gefeiert.

Doch nachdem alle Sektkorken geknallt hatten, kam  die Ernüchterung. Hohe und teilweise unverkäufliche Lagerbestände und eine ineffiziente Produktion erschwerten den Neustart.  Anstatt ein krankes, altes Werk mitten in der Sangerhäuser Innenstadt wieder gesund zu pflegen, entschied sich von Nathusius, ein neues vor den Toren der Stadt zu bauen.

Erst im Juni wurde der offizielle Grundstein gelegt, nun steht das Werk bereits.  Er will hier seine Vision einer „automobilen Fahrrad-Produktion“ umsetzen. In der ersten Halle steht ein sieben Meter  hohes Regallager. Dort werden künftig die ankommenden Teile gelagert und kommissioniert. Daran schließt sich die Radproduktion  und die Montagehalle an.

Künftig sollen alle Einzelteile, das sind 150 bis 200 Stück pro Rad, über Bänder direkt an die Linien geliefert werden.   Von Nathusius: „Die Kunden sollen am Computer ihr Rad bestellen und  konfigurieren.  Binnen einer Woche bauen wir diese dann.“ Kurz:  Räder werden in großer Serie nach Wunsch gefertigt - so wie Autos in der Fahrzeugindustrie. Ob das umgesetzt werden kann, werden die kommenden Monate entscheiden.

Mifa in Sangerhgausen: Neuer Firmenchef gesucht

Denn  bei der Neuausrichtung des Unternehmens hat von Nathusius offenbar die Mühen des Alltagsgeschäfts unterschätzt. Er sagt offen: „Auch ich musste dazulernen.“ Nach seinen Worten  hätten sich Darlehen von Banken verzögert, so dass  Anfang des Jahres der Materialeinkauf stockte.

„Das führte dazu, dass wir im Frühjahr die Nachfrage des Handels nicht richtig bedienen konnten.“ Die Folge: Die Umsätze 2016 blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück. Rund 400.000 Räder wurden gefertigt.

 Die Gesellschafter der Ifa, von Nathusius’ Sohn Felix und seine beiden Schwestern, mussten im Sommer daher eine zweistellige Millionensumme nachschießen, um die Stabilität zu gewährleisten.  Bei einem Unternehmen im Aufbau ist das nichts Ungewöhnliches. Mifa musste nach MZ-Informationen aber auch die Streckung von Krediten mit Banken vereinbaren.  

Finanzielle Schwierigkeiten bei Mifa: das sagt Firmenchef Heinrich von Nathusius

Seither fließt von außen kein Geld mehr. Von Nathusius bestätigt das nicht, sagt aber generell: „Banken müssen auch bereit sein, Unternehmen in schwierigen Phasen zu begleiten.“  Lange Zeit drang davon nichts nach außen. Doch  Ende des Jahres brauchte Mifa erneut Geld. Das wurde nun auch in die Öffentlichkeit lanciert.

Nathusius betont, „alle Entscheidungen sind in der Familie bisher einstimmig gefallen.“ Eine mit den Vorgängen vertraute Person meint allerdings: „Es wird am Denkmal gekratzt.“ Das heißt, die Kinder haben wohl sehr deutlich gemacht, dass sie nicht erneut Mittel für Mifa locker machen wollen. Auch von Nathusius sagt nun: „Wir stecken kein weiteres Geld rein.“

In seinen Augen ist das auch nicht nötig. Das Unternehmen sei für die kommenden drei Jahre durchfinanziert. Dennoch werden weitere Investitionen erst einmal aufgeschoben. Die Lackiererei und die Verwaltung bleiben vorerst am alten Standort. Sie sollen erst später umziehen.

Eine Beratungsgesellschaft erarbeitet nun  ein Sanierungsgutachten, dem auch die Banken zustimmen sollen. Zudem sucht das Unternehmen einen erfahrenen Manager und Sanierungsexperten als neuen Firmenchef. „Bisher haben wir den aber noch nicht gefunden“, sagt von Nathusius. Der 74-Jährige hängt  nicht an seinem Chefstuhl, doch will er  weiter  Einfluss darauf nehmen, welchen Kurs die  Mifa künftig nimmt.

Personalkosten nur bei 20 Prozent

Was wirklich hinter den Kulissen gespielt wird, lässt sich  kaum beurteilen. Vielleicht versucht die Familie Nathusius auch  gemeinsam, öffentlichen Druck aufzubauen, damit  Kredite gerade von staatlichen Banken fließen.  Die These, dass von Nathusius  vor allem aus Heimatverbundenheit in Sangerhausen investiert, trägt wahrscheinlich nicht.

In unternehmerischen Dingen ist  er ein Fuchs. So baut Ifa aktuell  ein Werk in Polen nicht nur wegen geringerer Energie- und Personalkosten. Vor allem will man den Auto-Herstellern Liefersicherheit gewährleisten. Die  Gewerkschaft IG Metall hat nämlich angefangen, gezielt spezialisierte Zulieferer zu bestreiken, damit bei VW, Daimler & Co. die Bänder ruhen.  Ifa will dem entgegenwirken.

Ähnlich überlegt ist die Investition in Sangerhausen. Der Lohnkosten-Anteil in der Rad-Produktion ist mit  20 Prozent vergleichsweise gering. In der Branche sind sich fast alle einig, dass der Handel den Vorlauf von Bestellungen von einst 18 bis 12 Monaten auf künftig sechs bis drei Monate verkürzt.

„Wir stellen uns mit einer flexiblen Produktion darauf ein“, sagt von Nathusius. Asiatische Konkurrenten könnten das nicht. Mifa profitiert zudem mit starken Marken vom wachsenden E-Bike-Geschäft. Das erleichtert einiges. Die Frage bleibt aber, ob die Familie von Nathusius und die begleitenden Banken den Atem aufbringen, den langen, steinigen  Weg weiterzugehen. (mz)