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In Sangerhausen soll sich der Kreis nächstes Jahr schließen

Von BEATE LINDNER 06.11.2009, 17:26

SANGERHAUSEN/MZ. - Eingeladen sind die Zeisings aus Anlass des 20. Jahrestages des Mauerfalls zu einem festlichen Konzert ins Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages. Der Bundestagspräsident wird da sein, auch der Präsident des Europäischen Parlamentes, Jerzy Buzek, und gewiss noch jede Menge weitere Politprominenz. Das hätten sich die Zeisings nie träumen lassen. Schon gar nicht vor 20 Jahren. Damals saßen sie um diese Zeit in ihrer Wahlheimat Eberswalde auf gepackten Koffern und warteten auf ihre Ausbürgerung aus der DDR. Tage später war es soweit. Während in Köln, Mainz und Wasungen die Kamellen flogen, verließen die Zeisings das Land, in dem sie groß geworden sind. Sie verließen es freiwillig.

Heidrun Ullmann und Thomas Zeising sind beide Jahrgang '57. Und beide waren Schüler der Heinrich-Heine-Oberschule. Er wurde Klavierstimmer, sie lernte Zeichnerin und sie lernten sich beide richtig kennen und lieben und heirateten. In Eberswalde sollten sie eine Wohnung bekommen. Und so zog man eben nach Eberswalde. Für den späteren Berufsmusiker Thomas Zeising wohl auch der entscheidende Grund, warum in seinem Leben alles so kam wie es kam.

"Wir waren in Eberswalde ganz dicht an Berlin dran. Auch durch die Musik. Da bekam man andere Dinge zu sehen als in Sangerhausen." Dinge, wie Zeising heute bilanziert, die ihm, seiner Frau, auch Freunden ganz und gar nicht gefielen. "Wir waren mit den Kontrasten, die es in der DDR gab, konfrontiert, und hatten, wenn man so will, den Blickkontakt zur Mauer." In den Erinnerungen von Thomas Zeising heißt das heute "nichtkonforme Haltung in der DDR" und es heißt darin, dass er stolz darauf sei. Dem Ausreiseantrag folgte nicht nur eine lange Wartezeit. "Ich hatte Berufsverbot, wir lebten teils von den Ersparnissen." Immer mal, so erinnert sich der 52-Jährige, hätte er auch Arbeit gehabt. Dass weder er noch seine Frau am 9. November 1989 über einen Personalausweis verfügten, das weiß er allerdings noch sehr genau. "Den hatte man uns schon weggenommen."

Und so blieb ihnen an diesem Tag oder dem darauf folgenden auch die Möglichkeit verschlossen, es den vielen anderen DDR-Bürgern gleich zu tun und nach Westberlin zu fahren. Die Zeisings warteten. Noch zwei Tage. Dann kam der 11. November und die dreiköpfige Familie - der Sohn war damals elf Jahre alt - verließ morgens um fünf Eberswalde. "In der Friedrichstraße mussten wir uns in eine langen Schlange einreihen." Die meisten Leute, die dort standen, hatten einen Personalausweis und wollten nach Westberlin. "Wir hatten eine Identitätsbescheinigung und wollten weg." Dann ging es mit dem Zug Richtung Hannover. Den ersten Tag in der Bundesrepublik haben die Zeisings, so empfinden sie es heute, nicht so erlebt, wie sie das gern hätten. "Durch die Repressalien unserer Ausreise waren wir an diesem Tag leider nicht in der Lage, das alles wahr zu nehmen." Von der Zeit im Aufnahmelager Nienburg sprechen beide in den höchsten Tönen. In ihrer Erinnerung sind solche Dinge wie Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit geblieben. Wohl auch, weil in der Folgezeit für sie durchaus eine Menge wie am Schnürchen lief. "Bereits nach kurzer Zeit starteten wir beruflich von Null auf Hundert." Als Berufsmusiker. Das sind die Zeisings bis heute geblieben. In Bad Sachsa haben sie sich später ein Haus gekauft. Aber nun, so sagen sie, soll sich der Kreis schließen. In Sangerhausen, dort wo die beiden Mütter leben. Sie möchten zurück. Schon im nächsten Jahr. Sich in Sangerhausen allerdings nicht zur Ruhe setzen, sondern noch einmal durchstarten. Musikalisch und mit touristischen Projekten.

Wer ihnen übrigens die Einladung für Sonntag nach Berlin "eingebrockt" hat, das wissen Heidrun und Thomas Zeising nicht genau. Sie freuen sich jedenfalls drauf und sehen sich einmal mehr nicht als Opfer, sondern als Gewinner.