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Kampf gegen das Schlaraffenland

Von Uwe Kraus 11.03.2007, 15:49

Alexisbad/MZ. - Aufgrund der naturnahen und nachhaltig bewirtschafteten Forstflächen, auf denen selbst der wertvolle Rohstoff Holz auf eine natürliche Weise produziert wird, erfüllen die Wälder noch weitere besonders wichtige Funktionen. Der Wald dient als Erholungsraum für unzählige Menschen und filtert die Luft von Schadstoffen und verbessert die Bodenqualität, speichert Wasser und schützt vor Erosion. Für den Erhalt und die Pflege engagieren sich tagtäglich viele Menschen. Ihnen und ihrer Arbeit widmet sich der Quedlinburger Harz-Bote in einer Artikelserie. Heute..."Da ist im Harz nun schon mal im Februar schönes Wanderwetter und dann sind die Wege so moddrig, dass es einem vergeht." Die Wandergruppe aus Sachsen flucht, einzelne Touristen berichten von Wanderwege, auf denen noch immer heruntergestürzte Äste und umgefallene Baumstämme den Ausflug in den zwischen Harzgerode und Selkemühle frühlingshaft grünen Harz behindern. Vom Orkan "Kyrill" gefällte, abgebrochene und entwurzelte Bäume sind an vielen Stellen nicht zu übersehen. Oft wurden auch kräftige Bäume in einigen Metern Höhe abgeknickt oder samt Wurzeln umgeworfen. Durch komplett geworfene oder gebrochene Bestände, waren zahlreiche Wege unpassierbar.

Das bereitet Jörg-Peter Kaschner, Leiter des Forstbetriebes Ostharz, gleich mehrfach Sorge. "Deutschlandweit geht man davon aus, dass vom 18. zum 19. Januar rund 30 Millionen Festmeter Holz geschädigt wurden." Besonders bei flach wurzelnden Bäumen in einem durch viel Regen aufgeweichten Waldboden hatte der Orkan Kyrill leichtes Spiel. Manchmal riss eine Fichte die nächste mit um. Von den geschätzten 400 000 Festmetern Windbruch durch "Kyrill" in den Landesforsten von Sachsen-Anhalt fielen rund 80 000 Festmeter im von Kaschner verantworteten Einzugsgebiet. Das erstreckt sich vom Hakel bis Bernburg, über Marienborn bis zur Harzhochstraße. Über 70 Prozent seines geplanten Jahreseinschlages sei in den Sturmstunden gefallen. Darunter fast ausschließlich Bäume, die gar nicht eingeschlagen werden sollten.

Die Folgen von "Kyrill" habe ja mit planmäßiger Waldbewirtschaftung nichts zu tun. Praktisch sei jede Waldfläche und jeder Weg in Mitleidenschaft gezogen worden. "Kyrill" riss die Bestände auf. Forstexperten bangen, dass es in den kommenden Wochen nochmals kräftig in den Revieren krachen wird. "Unsere Sorge ist groß, dass die Märzstürme die Reviere erneut zuwerfen." Als die Nadelbäume entwurzelt umfielen oder geknickt wurden, waren die Forstleute gerade mitten im Laubholzeinschlag. Der Winter gilt als gute Einschlagzeit. Normalerweise seien die Wege schön hart gefroren, das geschlagene Holz lässt sich prima aus dem Wald ziehen. "Eine ziemlich saubere Sache, da freuen sich auch die Sägewerke. Wenn keine Steinchen und kein Dreck an den Stämmen hängt, schont das die Sägeblätter", erklärt der Ostharzer Forstbetriebsleiter.

"Dieses Jahr hat uns der Klimawandel gleich doppelt getroffen, der Sturm warf die Bäume um und die Wärme verwandelt die feuchten Wege in Schlammpisten." Zu warten, bis die Pfade wieder trocken werden, hätte verheerende Folgen. "Rund um die Uhr sind die Waldarbeiter im Einsatz, bis in die Nächte und ohne groß auf Sonnabend und Sonntag zu achten. Alles muss aus dem Wald raus!" Technisch sei es zumindest möglich, die Stämme bis an die Wege zu ziehen. Dort werden sie gelagert und ausgezeichnet. Wenn ein Abtransport sich verzögert, schlägt man das wertvolle Holz zum Schutz vor Schädlingen in Folie ein. Ziel ist es, bis Mai die Hiebe von den Windbruchflächen gerückt zu haben. Jeder ungenutzte Tag würde den forstlichen Schaden nur erhöhen.

Der Grund der Eile: Das umgestürzte Holz ist ein wahres Schlaraffenland für den Borkenkäfer. Sie liegen gerade wieder in Lauerstellung. Denn dieses Sturmholz ist sehr anfällig für Schädlinge, die sich von diesem frischen Bruch förmlich angezogen fühlen. Es gelte, dem Borkenkäfer die möglichen Brutstätten zu entziehen. Zur Eiablage bevorzugt er "geschwächtes Holz".

Gerade hatten sich die Fichten etwas von den erheblichen Schäden des Jahres 2003 erholt, tat der extreme Sommer im vergangenen Jahr sein Übriges und bescherte den Borkenkäfern beste Lebensbedingungen. Fichten leiden besonders unter heißen Sommern, die ihr "Immunsystem" schwächen. Als Flachwurzler können sie mangels Zugang zum Grundwasser in Trockenperioden nicht genügend Harz bilden. Das verschließt gewöhnlich als "Körperreaktion" die Bohrlöcher des Borkenkäfers. Die Käfer haben sich im Herbst in der Nadelstreu am Boden oder unter der Rinde der Fichten zur Überwinterung niedergelassen. Da strenge und lange Fröste ausgeblieben, reduzierte sich die Population der Waldschädlinge auch nicht. Sie würden sich in den Frühjahrsmonaten gierig auf den Windbruch stürzen. Im relativ warmen Herbst 2006 legten die Käfer eine weitere Generation an, die unter den Rinden und im Boden überwintert hat. Wann sie aus dem Winterschlaf geweckt werden, hängt vom Wetter den bevorstehenden Wochen ab. Borkenkäfer schwärmen ab reichlich 16 Grad. Die Borkenkäfer haben zum Generalangriff auf die Harzer Wälder geblasen, die Mitarbeiter von Peter Kaschner wollen ihnen jegliche Gegenwehr entgegensetzen.

Die nimmersatten Krabbeltiere mit ihren jeweils bis zu 5 000 Nachkommen jedoch mit der chemischen Keule aus der Luft zu bekämpfen, kommt nicht in Frage. "Das würde für die gesamte Natur zu unverhältnismäßig höheren Schäden führen", so der Chef des Ostharzer Forstbetriebes. Vielmehr kommen moderne Harvester, Kräne und spezielle Rücketechnik bei der Sturmholzaufarbeitung zum Einsatz. Eine nicht immer ungefährliche Arbeit, hängen doch oft noch umgefallene Bäume in benachbarten Baumkronen. Darum genießt die Sicherheit bei der Aufarbeitung oberste Priorität. Stunde um Stunde entasten und sägen die Maschinen umgefallene Nadelbäume, schichten sie, in immer gleiche Länge geschnitten, auf. Für das Schimpfen der Wanderer hat Peter Kaschner durchaus Verständnis. "Aber wir müssen mit schwerer Technik an die Lagerplätze, um mit Ganzzügen das Holz abtransportieren zu können." Er hofft, mit der ersten Rückung Mitte April fertig zu sein. Riesige Vierzigtonner fahren das Holz kontinuierlich ab.

Vorher hat das Holz seinen "Personalausweis" bekommen. Revierförster Steffen Griesbach erklärt, was die einzelnen mit Farbe geschriebenen Zahlen und Buchstaben bedeuten. Jeder Polter wird mit Qualität, Länge und Verwendung ausgezeichnet. Schon im Wald entscheidet sich, ob der Stamm einmal Furnier, Baumarkt-Brett oder Spanplatte wird. "Demnächst gibt es auch noch einen Chip. Der ermöglicht den Fuhrunternehmen sich über GPS in einem fremden Wald zum richtigen Holzstapel zu manövrieren." Die über Jahre währende Ausdünnung der Bahnlinien im Harz bringt jedoch den Forstleuten zusätzliche Probleme.

"Im Nordharz gibt es nicht einen Bahnhof mehr, wo wir das Holz in Ganzzügen verladen könnten." So rollen die Holztransporter auf den oft engen Harzstraßen in Richtung Rottleberode. Dort gibt es derzeit in der weiteren Umgebung die einzige Verlademöglichkeit auf die Schiene. Auf einem gewaltigen Nasslagerplatz werden die Stämme bis zum Verzurren auf den Holzwaggons beregnet. Befürchtungen, dass das Bruchholz auf dem Markt schlechter zu verkaufen sei, trat Sachsen-Anhalts Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt Petra Wernicke erst kürzlich entgegen. Das Holz werde problemlos abzusetzen sein, "da sich für die Holzindustrie bereits in den letzten Monaten Versorgungsengpässe abgezeichnet" hätten. Auch die Harzer Förster bestätigen, dass Rest- wie Energieholz unglaublich gefragt sei und damit einen Vermarktungsschwerpunkt bilden. Selbst die maschinell entfernten Zweige ließen sich zerkleinert heutzutage gut verkaufen. Doch die Förster wollen die durch Kyrill gerissenen Lücken nicht lange klaffen lassen.

"Zu den 50 Hektar geplant aufzuforstenden Flächen bescherte uns Kyrill 150 weitere", rechnet Peter Kaschner vor. Doch das Forstamt Harz arbeitet gleichzeitig daran, die Wanderwege halbwegs wieder nutzbar zu machen. "Den Selketalstieg haben wir soweit geräumt, dass das Wandern wieder möglich ist." Zwar würden an vielen Stellen noch Wurzelstubben aus dem Boden ragen, aber die transportieren im Frühjahr Kipper ab. "Ich freue mich, dass sich unsere langjährige Partnerschaft mit dem Harzklub auch in diesen schwierigeren Zeiten durch ein gutes Zusammenwirken bewährt."