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Gründung Gründung: Aufruf veröffentlicht

23.11.2015, 09:09
Bedrückende Wirklichkeit: Der frühere politisch inhaftierte Michael Naue (r.) führt Besucher durch das ehemalige Naumburger Gefängnis. Durch die Kostklappe konnten die Wärter das Essen in die Arrestzelle geben.
Bedrückende Wirklichkeit: Der frühere politisch inhaftierte Michael Naue (r.) führt Besucher durch das ehemalige Naumburger Gefängnis. Durch die Kostklappe konnten die Wärter das Essen in die Arrestzelle geben. Torsten Biel Lizenz

Naumburg - Mit einer Taschenlampe leuchtet Roland Ritter in das Dunkel des Ganges, an dessen Seite eine Zellentür erkennbar wird. Gebannt blicken die Besucher in den kleinen, kargen Raum. Von Juni 1973 bis Oktober 1976 war Ritter im Naumburger Gefängnis inhaftiert. Verurteilt wegen versuchter Republikflucht - ebenso wie seine Frau Kornelia-,gehörte er zu den politischen Häftlingen, die in Naumburg eingesperrt waren. Gemeinsam mit Michael Naue, Torsten Rugnow und Dirk Maschke, die ebenfalls aus politischen Gründen zu Haftstrafen verurteilt worden waren und diese in Naumburg verbüßen mussten, führte Ritter am Sonnabend insgesamt rund 1000 Besucher durch die ehemalige Haftanstalt am Salztor.

Eingeladen zu der Aktion, die bereits für den Tag des offenen Denkmals am 11. September geplant gewesen war, dann aber verschoben werden musste, hatte die Initiative Erinnerungsort Gefängnis Naumburg in Kooperation mit der Stadt Naumburg. „Wir waren überwältigt vom enormen Besucheransturm“, sagte Michael Naue nach Ende des Informationstages gegen 16 Uhr.

Gemeinsam mit der Berliner Kulturwissenschaftlerin Susan Baumgartl und weiteren ehemaligen politisch Inhaftierten hat Naue die Erinnerungsort-Initiative ins Leben gerufen. „Sie möchte an das geschehene Unrecht und das persönliche Leid der ehemaligen politischen Gefangenen erinnern“, sagte Baumgartl in ihrer Begrüßungsrede. „Wir setzen uns dafür ein, das bislang unzugängliche und aus dem Blick der Öffentlichkeit geratene Gefängnis als Erinnerungsort zu bewahren, seine Geschichte darzustellen und die mit ihm verbundenen menschlichen Schicksale zu dokumentieren“, so Baumgartl weiter. Unterstützung erhält die Initiative von der Stadt Naumburg, wie Oberbürgermeister Bernward Küper (CDU) in seinem Grußwort sagte. Zwar sei noch immer nicht klar, wie die dem Land Sachsen-Anhalt gehörende Immobilie künftig genutzt werde, „dennoch sollte es einen Ort geben, mit dem diese Erinnerungen wachgehalten werden und und an dem ein Gedenken in würdiger Form stattfinden kann“, unterstrich Küper. Auch die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt für die Stasi-Unterlagen, Birgit Neumann-Becker, sicherte in einem schriftlich übermittelten Grußwort ihre Hilfe zu.

Danach las Naue aus seinem soeben erschienenen Buch „Freiheit mit Buddha“, in dem er seine Naumburger Haftzeit schildert. Zunächst vier Monate lang unter unmenschlichen Bedingungen von Mitarbeitern des DDR-Staatssicherheitsdienstes in dessen Hohenschönhausener Gefängnis verhört, kam der wegen „staatsfeindlicher Hetze“ verurteilte Berliner 1984 für acht Monate nach Naumburg. „Es fällt mir schwer davon zu berichten, aber ich sehe es als meine Aufgabe an, junge Menschen über diese Zeit zu informieren“, so Naue. Er wolle die Menschen aufrütteln, sie für das Thema Freiheit sensibilisieren. „Denn ich wollte damals nur frei sein, deshalb hat man mich nach Naumburg gebracht, es war eine harte Zeit.“ Anschaulich berichtete Naue in drei Auszügen aus seinem Buch über das erlittene Leid, über die quälenden Haftbedingungen und die zu verrichtende Arbeit, für die es 30 DDR-Mark pro Monat gab.

Danach starteten die Führungen durch einen Teil der Haftanstalt. Wegen des großen Andranges ließen sich jedoch längere Wartezeiten nicht vermeiden.

Die Initiative ist zu erreichen: [email protected]

Auch der frühere politisch inhaftierte Michael Naue (r.) führte durch das ehemalige Naumburger Gefängnis. In den 1980er-Jahren waren hier bis zu 90 Prozent der Häftlinge wegen politischer Vergehen eingesperrt.
Auch der frühere politisch inhaftierte Michael Naue (r.) führte durch das ehemalige Naumburger Gefängnis. In den 1980er-Jahren waren hier bis zu 90 Prozent der Häftlinge wegen politischer Vergehen eingesperrt.
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Dirk Maschke (2.v.l.) mit Besuchern. Er war in der Zeit von 1985 bis 1986 wegen „Beeinträchtigung staatlicher Organe“ in Naumburg in Haft.
Dirk Maschke (2.v.l.) mit Besuchern. Er war in der Zeit von 1985 bis 1986 wegen „Beeinträchtigung staatlicher Organe“ in Naumburg in Haft.
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Großer Andrang: Vor den Führungen findet im ehemaligen Schwurgerichtssaal eine Matinee mit Grußworten und einer Buchlesung statt.
Großer Andrang: Vor den Führungen findet im ehemaligen Schwurgerichtssaal eine Matinee mit Grußworten und einer Buchlesung statt.
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