1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Köthen
  6. >
  7. Jugendhilfeausschuss sieht «bedrohliche Entwicklung»

Jugendhilfeausschuss sieht «bedrohliche Entwicklung»

Von UTE HARTLING-LIEBLANG 10.06.2010, 17:58

Köthen/Bitterfeld/MZ. - "Es ändert sich nichts, wenn wir es schönreden". Mit diesen Worten eröffnete Jugendamtsleiter Peter Grimm am Mittwoch die Diskussion zur Jugendhilfeplanung, Hilfen zur Erziehung.

Wie die MZ bereits aus dem Unterausschuss berichtet hatte ist das Papier nicht nur eine Situationsbeschreibung dessen, was an Hilfen im Landkreis geleistet wird, von der Heimerziehung über die Tagesgruppenbetreuung bis hin zur Arbeit des Vereins für Straffälligen- und Gefährdeten-Hilfe. Schonungslos offen gelegt wird darin auch, wie wirksam diese Hilfen aus Sicht der Verwaltung sind, wie die Kosten immer weiter explodieren und welche Flut an Problemen sonst noch auf die Mitarbeiter im Jugendamt einstürmt.

Einige aktuelle Beispiele nannte Grimm im Ausschuss. So mussten kurzfristig und ungeplant 28 Kinder in die Heimerziehung aufgenommen werden. Ein Grund dafür ist die Rückkehr mehrerer Großfamilien in den Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Erst kürzlich sei eine Familie mit acht Kindern in den Landkreis zurück gezogen, die unlängst mit zwei Kindern weggezogen war.

Besondere Probleme bereitet dem Jugendamt derzeit eine Familie mit neun Kindern im Alter von 0 bis 15 Jahren, die in Bitterfeld-Wolfen lebt. "Seit Jahren geht kein Kind der Familie mehr in den Kindergarten oder in die Schule", so Grimm. Aller zwei Wochen komme es zu Polizeieinsätzen, weil die Kindern auch gegenüber den Eltern tätlich werden. "Wenn sie von der Polizei vorn in die elterliche Wohnungen zugeführt werden, rücken sie durch die Hintertür wieder aus", schilderte Grimm. Ein zweites Beispiel betrifft eine allein erziehende Mutter mit fünf Kindern in Köthen, von denen bereits drei im Heim untergebracht waren. Das vierte sei aber nur so lange von der Mutter zu Hause betreut worden, bis ein Neugeborenes hinzu kam. Nun müsse sie sich um das Baby kümmern, begründete die Frau, warum auch Kind Nummer vier ins Heim soll. "Das überrollt uns", sagte Peter Grimm und machte dem Ausschuss damit deutlich, welchen Stellenwert der Teilplan Hilfen zur Erziehung für die Verwaltung hat.

"Eine schonungslose Zustandsbeschreibung", nannte auch Andreas Dittmann (SPD / Grüne) das Papier. Er frage sich jedoch, was er hier beschließen solle. Es gehe nicht um einen Beschluss, erklärte Grimm auf Anfrage des SPD-Abgeordneten, sondern um eine Positionierung des Jugendhilfeausschusses, zu den Inhalten dieses Papiers mit der Absicht, sich den daraus abzuleitenden Aufgaben zu stellen. Eine Schlussfolgerung daraus sei zum Beispiel, dass das Jugendamt mit flexiblen Hilfen bereits gute Erfolge erzielt habe. Der Ausschuss stellte sich einstimmig hinter das Dokument.

"Die Entwicklung ist bedrohlich, obwohl wir mit unseren Zahlen noch unter dem Landesdurchschnitt liegen", wertete der Vertreter der Diakonie im Kirchenkreis Zerbst, Dietrich Landmann, die vorliegende Analyse und bezog sich unter anderem auf den deutlich gestiegenen Bedarf im Bereich Erziehungsberatung. Landmann warf in diesem Zusammenhang die Frage nach einer Elternschule auf und forderte mehr Bürgerengagement im sozialen Bereich. "Hier stößt die professionelle Jugendarbeit an ihre Grenzen", sagte er. "Wir sind an einem Punkt, wo die Gesellschaft helfen muss", ist auch die Ausschussvorsitzende Monika Reinbothe (CDU) überzeugt. Und Jutta Mädchen (FDP) sieht einen Zusammenhang zwischen Armut und Erziehungsrisiken. "Es ist schlimm, aber eine Veränderung der Arbeitsmarktsituation, die können wir nicht schaffen", zeigte sie Grenzen auf.

Von der Schule als "Vorwarnsystem" sprach die Linken-Abgeordnete Marina Hinze, selbst Lehrerin. "Die Zahl der Schulschwänzer nimmt dramatisch zu. Hier müsste die Zusammenarbeit von Jugendamt und Ordnungsamt besser funktionieren", forderte sie.

Andreas Dittmann warf vor diesem Hintergrund die Frage nach der personellen Besetzung des Jugendamtes auf. Und bezog sich damit auch auf das Gutachten zur Entwicklung der Kreisverwaltung, das kürzlich im Kreis-und Finanzausschuss im nicht öffentlichen Teil diskutiert wurde. Es wurde von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGst) im Auftrag vom Land Sachsen-Anhalt und Landkreisen erarbeitet. Darin wird unter anderem vorgeschlagen, die Zahl der Beschäftigten im Landkreis - derzeit rund 1 000 - sollte sich bei etwa 600 einpegeln.

Man sollte "dieses Gutachten nicht als Heiligen Grahl betrachten", forderte Dittmann.