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Familie Ritter Familie Ritter aus Köthen: Die Schlange heißt "Hitler" und die Mutter nennt Ausländer "Viecher"

Von Matthias Bartl 05.10.2017, 11:17
Familienoberhaupt Karin Ritter in ihrer Wohnung in der Köthener Augustenstraße mit Familienmitgliedern und anderen Obdachlosen, die in dem Haus untergebracht sind.
Familienoberhaupt Karin Ritter in ihrer Wohnung in der Köthener Augustenstraße mit Familienmitgliedern und anderen Obdachlosen, die in dem Haus untergebracht sind. Heiko Rebsch

Köthen - 16 Monate nach Erscheinen dieses Texts hat SternTV die Familie Ritter wieder besucht. Hier finden Sie unseren Text zum Bericht über Familie Ritter aus Köthen.

Am Rand von Köthen wurden die Täter erwischt. René und David Ritter, 34 und 18 Jahre alt, landeten erst im Streifenwagen und dann in der Untersuchungshaft. Die beiden hatten in Großpaschleben bei Köthen ein Auto gestohlen, waren beobachtet und von einem Zeugen verfolgt worden. Sie setzten das Auto gegen einen Baum, flüchteten zu Fuß weiter und wurden später durch Polizisten gestellt.

Zunächst verlegten sich beide aufs Leugnen, als dann aber ein Fährtenhund ihre Spur genau zum Tatort zurückverfolgte, gab David den Diebstahl zu und nannte René als Mittäter.  

Fernsehtauglich mutet diese Szenerie auf den ersten Blick vielleicht nicht an. Das kann ein Fehlurteil sein. Denn die beiden Täter gehören zu einer Familie, die vor allem durch die RTL-Sendung „Stern TV“ deutschlandweit eine erstaunliche Bekanntheit erlangt hat, die man in der Stadt Köthen mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination zur Kenntnis nimmt. Denn oft ist es so: Nimmt man von Köthen überhaupt außerhalb der Region Notiz, verbindet sich für viele der Name der Stadt mit dem Namen der Familie Ritter.

Die hat in Köthen eine lange und oft auch kriminelle Geschichte, die schon aus DDR-Zeiten herrührt. Denn bereits damals standen Mitglieder der Familie  im Fokus der Behörden; ganz gleich, ob es Justiz, Polizei, Schul- oder Sozialämter waren. Nur eine mediale Öffentlichkeit, die sich mit diesen Auswüchsen der Gesellschaft befasste, gab es nicht.

Verwilderte Verhältnisse

In punkto Ritters hat sich dies grundlegend im Jahr 1994 geändert. Da flimmerte das prekäre Leben der Familienmitglieder, die eine Parallelgesellschaft mit verwickelten und verwilderten Familienverhältnissen bilden, erstmals bei Stern TV über die Monitore und löste zwischen Flensburg und Füssen gutbürgerliches Gruseln aus: Wo bekam man schon Kinder geboten, die  schon als Knirpse mit der Axt eine Nachbarwohnung aufbrachen und die Nachbarin malträtierten, die sich rechts gebärdeten und von Beruf Skinhead werden wollten, wie es Norman Ritter, damals noch Rotznase mit lustigem Feixen im Gesicht, der Kamera unbefangen kundtat. Spätestens seitdem wissen die Ritters um die Macht der Fernsehbilder - und haben dies nicht zuletzt für sich selbst genutzt.

Familie Ritter: Kriminelle oder nur diebische Kleinkriminelle?

Erst durch die regelmäßig zu nennenden Fernsehauftritte der Familie, dem Mutter Karin mit festem Blick und nicht mehr ganz so festem Griff vorsteht, haben die Ritters den negativ-legendär zu bezeichnenden Ruf bekommen als Kriminelle, denen man alles zutrauen muss.

Dabei sind sie, genau betrachtet, eher diebische Kleinkriminelle mit Hang zum Faustrecht. Die freilich die Polizei und Justiz gewaltig auf Trab halten: Seit August 2015, seitdem die Ritters in den Obdachlosenunterkünften der Stadt in der Köthener Augustenstraße wohnen, hat es laut „Stern TV“ dort 43 polizeiliche Einsätze gegeben.   

Der Umstand, dass ein Investor genau gegenüber der Köthener Obdachlosenbehausung, in der zahlreiche Ritters wohnen, eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge hochzieht, war RTL außerdem Anlass und Grund genug, den Teufel an die Wand zu malen und bevorstehende Konflikte zu befürchten. Dabei sind in Köthen schon seit Monaten Flüchtlinge einquartiert, ohne dass sie in dem Ort attackiert wurden. Auch von den Ritters nicht.

Selbst wenn Mutter Ritter im Fernsehen die Flüchtlinge als „Viecher“ tituliert und im Ritterschen Haushalt auch eine Schlange namens „Hitler“ gefüttert wird, halten Köthener, die die Ritters aus eigenem Erleben kennen, die Besorgnisse hinsichtlich befürchteter Angriffe auf Flüchtlinge für übertrieben.

Mit dem Gesetz in Konflikt

Die Hand dafür ins Feuer legen, dass nichts passiert, wird und will aber auch keiner. Zu oft sind die Männer der Familie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Zu oft haben sie gesiebte Luft geatmet, als dass man Gewaltakte komplett ausschließen könnte, auch wenn vor einigen Jahren die Anklage wegen eines Angriffs auf einen chinesischen Studenten mit einem Freispruch endete.  

Wie der Medienrummel um Familie Ritter entstanden ist

Dennoch beschleicht den Betrachter immer wieder das ungute Gefühl, dass dies alles nicht so hätte sein müssen oder wenigstens nicht so extrem. Und nicht so extrem hoffnungslos. Wenn man sich etwa alte Filmschnipsel über Norman Ritter in seiner Zeit im Kinderheim ansieht, wo er allemal den Eindruck eines ganz normalen Jungen machte.

Oder wenn man hört, dass er ein Jahr lang als Ein-Euro-Kraft im Köthener Schlosspark ordentlich und ohne über Gebühr negativ aufzufallen gearbeitet hat. Oder wenn man sich anschaut, wie sich René Ritter im Lauf der zurückliegenden 20 Jahre mit Alkohol verwüstet und zerstört hat.

Oder wenn man daran denkt, dass Enkelin Vanessa im Vorjahr nach Erreichen der Volljährigkeit vom Kinderheim, in dem sie wohnte, korrekt nach den Buchstaben des Gesetzes auf die Straße gesetzt wurde und stehenden Fußes bei der Großmutter und den deklassierten und kriminellen Ritter-Männern landete - wenn man das in Rechnung stellt, landet man bei der Frage, ob es nicht doch Chancen gab, den Ritterschen Teufelskreis zu durchbrechen und dass diese übersehen oder nicht genutzt wurden.

Insofern kann man davon ausgehen, dass der Medienrummel um Karin Ritter und ihre Familie  noch kein Ende hat. Dass irgendwann, wenn es passt, wieder ein Fernsehteam in der Augustenstraße auftauchen und den Ritters über die Schulter auf ihr armseliges Leben blicken wird. Abzuwarten bleibt wohl nur, wer dann gerade in Freiheit ist, um als Zeuge in eigener trauriger Sache aufzutreten. (mz)