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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Ein Minenfeld am Damaschkeweg

Von MATTHIAS BARTL 20.08.2010, 19:03

KÖTHEN/MZ. - Die Antwort auf den (fast) letzten Satz des Abends blieb Rainer Tögel schuldig. Er musste sie auch schuldig bleiben, denn was hätte der Vertreter der Firma Nordmethan auch sagen sollen, als ihn der souverän und fair moderierende Pfarrer Wolfram Hädicke mahnte: "Herr Tögel, überlegen Sie sich das noch mal!" Tögel hätte nur wiederholen können, was er und Nordmethan-Prokurist Dirk Tempke schon seit einigen Tagen mehrfach zum Ausdruck gebracht haben: Das Unternehmen ist nicht mit dem Grundstück am Damaschkeweg verheiratet, aber schon ein Stück weit mit dem Standort Köthen. Insofern ist es nicht nur an Nordmethan, sich etwas zu überlegen, sondern vielmehr an der Stadt.

Denn dass der Standort Damaschkeweg für das Unternehmen eher ein - durchaus doppeldeutig gemeintes - Minenfeld ist, wurde am Donnerstagabend überdeutlich. Die Bürgerinitiative aus Melwitzer und Altmelwitzer Bürgern, die zu dem Info-Treffen in den Hörsaal des Technologiezentrums am Hubertus eingeladen hatte, um dort über den geplanten Bioraffinerie-Standort in der Nähe ihrer Häuser zu debattieren, zeigte ganz klar, dass sie keinesfalls zu Kompromissen geneigt ist - dies als Botschaft sowohl an das Unternehmen als auch an die Stadtverwaltung gerichtet.

Kontrapunkte Tögel und Tschirner

Den informatorischen Hauptpart der Veranstaltung bestritten Rainer Tögel für Nordmethan auf der einen und Dr. Erhard Tschirner für die Bürgerinitiative auf der anderen Seite. Beide konnten, aus Sicht des neutralen Beobachters, durchaus argumentativ überzeugen. Tögel erläuterte ausführlich das langwierige Verfahren, das dem Bau einer solchen Anlage vorausgehe. In Köthen, dies hat sich in den letzten Tagen herausgestellt, kann die Anlage - wenn denn überhaupt - nicht nach Baurecht errichtet werden, wie das zum Beispiel in Könnern der Fall war, sondern nach der Bundesimmissionsschutzverordnung (BimschV) - ein deutlich aufwändigeres Verfahren.

Tögel erläuterte, warum Nordmethan Köthen als Standort bevorzuge: Die für den Betrieb der Anlage notwendigen nachwachsenden Rohstoffe seien im Umkreis von maximal 20 Kilometern problemlos auch in der benötigten Menge zu bekommen. Außerdem müsse eine solche Anlage in einem Gewerbe-Industrie-Gebiet stehen - das sei hier der Fall. Drittens müsse eine Möglichkeit bestehen, das erzeugte Methangas in ein Gasnetz einzuspeisen; das sei hier nach Lage der Dinge möglich. Tögel räumte mit der Sorge auf, dass Investitions-Kosten, die der Köthen Energie (KE) durch die Einspeisung des Nordmethan-Gases eventuell entstünden 1:1 auf den KE-Kunden umgelegt würden. "Diese Kosten tragen alle Netzbetreiber mit, die am Transport des Gases egal wohin in Deutschland beteiligt sind", sagte er. Diese Umlage über die Netzagentur, diese Verteilung der Kosten auf alle Netzbetreiber wurde auch von KE-Chef Wolfgang Thurau bestätigt.

Erhard Tschirner, in Melwitz wohnhafter Umweltberater, hatte seinen Vortrag unter die Überschrift "Fachliche Gegenargumente" gestellt und arbeitete sich wissenschaftlich durch raumordnerische Belange, durch Rechtsunsicherheiten in der B-Plan-Satzung für dieses Gebiet, verwies auf Abstandsempfehlungen für bestimmte Stoffe, die bei der Methanproduktion entstehen. Methan sei ein Gas mit gefährlichen Eigenschaften, darauf habe schon die bundesdeutsche Kommission für Anlagensicherheit verwiesen, so Tschirner und fragte: "Was passiert denn bei einer Explosion?" Technik habe die unangenehme Eigenschaft, dass sie versagen könne. Tschirner erinnerte an die Schutzgüter, die durch den Bau am Damaschkeweg betroffen sind: Wohnungen, Verkehrsflächen, Naturflächen. Dies hätte Nordmethan schon beachten müssen, bevor eine Bauvoranfrage bei der Stadtverwaltung gestellt worden sei, fand der Umweltberater. Der auch Tögels Hinweis, man müsse in einem Gewerbegebiet bauen, nicht gelten lassen wollte - dies sei genauso in speziell ausgewiesenen Sondergebieten möglich.

Grundstück von Stadt angeboten

Tögel, der auch als Ehrenretter der Biogas-Branche angetreten war ("Es gibt 4000 Anlagen in Deutschland"), sah sich insgesamt durch Tschirners Ausführungen nur bestätigt. "Die Fragen, die hier gestellt worden sind, müssen im Zuge des Genehmigungsverfahrens beantwortet werden", unterstrich er. "So weit sind wir aber noch gar nicht." Man habe bei der Stadt nach einem passenden Grundstück gefragt und das am Damaschkeweg angeboten bekommen. Was von OB Kurt-Jürgen Zander bestätigt wurde: Diese Fläche sei die derzeit einzig verfügbare für ein solches Vorhaben. Zander musste sich - bezogen auf das Grundstück - einiger Vorwürfe erwehren (die MZ berichtet noch).

Viele Fragen an Nordmethan

Aus dem Publikum wurde Tögel ein Reihe von Anfragen gestellt, z.B zum Verbleib der Gärreste und zur Höhe des Transportaufkommens. Besonders die Menge des zu verarbeitenden Substrats interessierte, zumal widersprüchliche Zahlen kursierten. Tögel betonte, dass es sich um 40 000 Tonnen pro Jahr handelte. Hinsichtlich der Lagerung bestehe die Möglichkeit, das Substrat in Fahrsilos zu lagern - wie in Könnern -, vorstellbar sei aber auch eine Just-in-Time-Anlage, bei der das Substrat immer zum benötigten Termin geliefert werde.

"Das Thema Biogas ist in Köthen vorbelastet", stellte Tögel mit Verweis auf die Anlage am Flugplatz fest. Die Nordmethan-Anlage sei aber etwas ganz anderes. "Ich lade jeden ein, nach Könnern zu kommen und sich das anzusehen." Davon hatten die Melwitzer Helge Finze und Wolfgang Dörr schon am Tag zuvor Gebrauch gemacht: "Es stinkt doch", sagte Finze. Und schlug vor: "Wir machen einen Vertrag, Sie unterschreiben, dass es nicht stinkt, stinkt es dann doch, dann zahlen Sie!" Ein spaßiger Deal mit ernstem Hintergrund, auf den sich Tögel nicht einlassen wollte - "da ist mir zu viel Subjektivität dabei". Und Tschirner wusste: "Es gibt keine Technologie, die Geruch komplett verhindert."

Nicht überhört werden durfte an diesem Abend ein Hinweis von OB Zander, bei dem es um die generelle Nutzbarkeit des Grundstücks ging. Gut möglich, so der OB, dass keine Biogasanlage am Damaschkeweg gebaut werde. Genauso gut könne aber eine andere industrielle Ansiedlung erfolgen - der Phantasie seien da keine Grenzen gesetzt. Das Grundstück liege in einem Gebiet, das seit 1992 für Industrie und Gewerbe nutzbar sei. Das kam bei einigen im Saal nicht gut an, die meinten, davon nichts zu haben. "Wenn dort Arbeitsplätze entstehen, hat die ganze Stadt etwas davon", entgegnete Zander. Dass es dort draußen immer so ruhig bleibe wie jetzt, wo auf der Gewerbefläche nur Mais wächst, könne man nicht garantieren.

Ruhig werden will auf alle Fälle die Bürgerinitiative nicht. Ronald Mormann, der dazu beigetragen hatte, den Stein ins Rollen zu bringen, informierte Freitag, dass inzwischen rund 2000 Unterschriften gegen die Anlage am Damaschkeweg gesammelt wurden. "Wir werden unsere Aktivitäten nicht einstellen", so Mormann, "noch ist nichts entschieden."