1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Jessen
  6. >
  7. Zweiter Weltkrieg: Zweiter Weltkrieg: Todesmarsch durch Gentha

Zweiter Weltkrieg Zweiter Weltkrieg: Todesmarsch durch Gentha

Von Detlef Mayer 16.04.2015, 09:07

Gentha - Intensiv mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der hiesigen Region hat sich der Genthaer Hobby-Historiker Dietmar Steinecker befasst. Anlässlich des 70. Jahrestages des Sieges über den Hitlerfaschismus spürte der Rentner in verschiedenen Aufzeichnungen und Zeitzeugengesprächen vor allem der Frage nach, wann im April 1945 die Rote Armee Gentha und andere Orte der Gegend erreichte und welche Ereignisse sich damit verbanden.

Sprengstoff und Munition

Ein Kesselwagen mit hochexplosivem Sprengstoff und zwei weitere Waggons mit Munition wurden am 16. April 1945 vom Bahnhof Wittenberg nach Mühlanger transportiert. Es waren alliierte Flugzeuge gemeldet. In Mühlanger befand sich in der Nähe des Bahnhofs aber ein Umspannwerk, also rollte der Zug weiter in Richtung Jessen. Jessen jedoch weigerte sich, die Waggons anzunehmen, weil der Bahnhof von Wohngebieten umgeben war. Daher musste der Zug letztlich in Elster stehen bleiben. Der damalige Fahrdienstleiter Haferland ließ die Waggons allerdings einige hundert Meter zurücksetzen, bis auf Höhe der Feldstraße. Dies erwies sich als Glück für den Bahnhof, aber als Unglück für Elster.

Wie ein Zeitzeuge gegenüber Dietmar Steinecker berichtete, flogen gegen 13.45 Uhr drei amerikanische Jagdbomber aus östlicher Richtung an. Sie zogen einen Bogen, um dann in Angriffsformation (hintereinander) überzugehen. Noch ehe in Mühlanger die Bordkanonen des ersten Jagdbombers zu hören waren, stürzten sich die beiden folgenden Flugzeuge schon auf ihr Ziel und bombardierten die Waggons. Als die zweite Maschine hochzog, schoss ein glutroter Feuerpilz gen Himmel. Er wuchs sich zu einer Feuerwalze aus, stieg immer höher und verfärbte sich ins Schwarze.

Ganze Häuser weggerissen

Die Explosion riss ein Loch von 75 Metern Länge, 15 bis 20 Metern Breite und bis zu vier Metern Tiefe. Die Häuser der Familien Max Quinque, Reinhold Schüler, Alex Gresse, Zwanziger und Barth wurden durch die gigantische Druckwelle komplett weggerissen. Alex Gresse rettete sich in seinen Keller, wurde dort aber verschüttet. Die Druckwelle hinterließ in Elster viele Dachschäden und jede Menge Fensterscheiben zerbarsten. Selbst ein Flugzeug der Royal Air Force überstand das Inferno nicht, es wurde von herumfliegenden Metallstücken getroffen und stürzte in der Dübener Heide ab. Eisenteile von den Gleisanlagen bzw. Waggons flogen bis Zemnick. Schienen ragten wie verbogene Drähte in die Luft, Signalmaste waren wie Halme umgeknickt. Geschosse aus den beiden Munitionswaggons lagen in der Gegend verstreut.

Auch um Schadewalde machten die Kriegswirren keinen Bogen. Am 18. April 1945 stürzte zwischen den Grundstücken Heinrich und Cech eine ME 109 ab. Ihr Sturzflug verursachte Schäden an mehreren Stellen. Es ist laut Dietmar Steinecker nicht geklärt, ob die Maschine von einem Luftkampf kam und angeschossen war oder ob es sich um einen Antriebsfehler handelte. Bei der Bruchlandung kam Herr Heinrich ums Leben. Der Pilot befand sich nicht mehr an Bord, er war vorher mit dem Fallschirm abgesprungen.

Feldjäger erschossen am 19. April in Schadewalde einen desertierten deutschen Soldaten. Dies geschah an der Stallseite des Gehöfts Rühlicke, heute Leupold. Der Soldat hatte sich auf dem Grundstück Lorenz, heute Günter Sommer, versteckt. Er wurde verraten und dann standrechtlich erschossen. Man beerdigte ihn am Ort der Erschießung. Es war ein schlichtes Grab mit Einfriedung. Auf dem Grabstein stand der Name August Jäger. Während der DDR-Zeit wurde der Soldat auf den Friedhof in Seyda umgebettet.

Eine weitere Bombe wurde an der Bahnschranke 165 in Elster ausgeklinkt, welche die Gleisanlage zerstörte. Den Bahnübergang 165 gibt es heute nicht mehr, er verband einst die Seydaer Straße mit dem Kohlenweg.

Am 17. April tobte über dem Feldflugplatz Mark Zwuschen ein heftiger Luftkampf. Für die Reste des Jagdgeschwaders 4 spitzte sich die Lage am 18. April immer mehr zu, sowohl in Mark Zwuschen als auch in Leipa-Arnsdorf. Die sowjetischen Truppen befanden sich nur noch circa 15 Kilometer entfernt. Die praktisch pausenlose Anwesenheit alliierter Jäger über den Flugplätzen bedeutete eine zu große Gefahr, so dass eine neuerliche Verlegung unvermeidlich wurde. Man erkundete dafür die Region am Müritzsee.

Am 19. April sollen in Morxdorf die ersten sowjetischen Soldaten, eine Motorradstreife, gesehen worden sein. Zur selben Zeit hatte der Todesmarsch von KZ-Häftlingen aus Langenstein-Zwieberge die Region erreicht. Die geschundenen Kreaturen wurden am späten Nachmittag des 19. Aprils von Prettin in Richtung Jessen getrieben und nächtigten in der Kirche. 60 Häftlinge verloren auf dieser Strecke ihr Leben. In den Abendstunden des 20. Aprils schleppte sich der Zug durch Gentha. Auch hier wurden mehrere KZ-Häftlinge erschossen. Die anderen quälten sich in Richtung Seyda weiter. Der Marsch endete in Buro bei Coswig.

Panzeralarm in Jessen

In Jessen wurde am 20. April Panzeralarm gegeben. Man rechnete mit dem Angriff der Roten Armee. Der Volkssturm musste seine Positionen an den vorbereiteten Panzersperren im Stadtgebiet einnehmen. Die Bevölkerung hatte die Luftschutzbunker aufzusuchen. Etwas später wurde der Alarm jedoch abgeblasen. Seyda erlebte am selben Tag den letzten Fliegeralarm. Die Sowjetsoldaten kamen aus Richtung Jüterbog und Dahme in die Stadt. Bürgermeister Kaatz, Christoph Kunze und Karl Käßner gingen den einmarschierenden Truppen in der Jüterboger Straße/Einmündung Glücksburger Straße mit einer weißen Fahne entgegen und signalisierten so die kampflose Übergabe Seydas. Daraufhin mussten alle Drei ihre Stiefel ausziehen und den Ankömmlingen übergeben. (mz)