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Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Keine Bühne für Stressmacher

Von GABI ZAHN 22.03.2011, 18:52

ANNABURG/MZ/MZ. - Ein Wortschwall erfüllt den Schulbus, der vor dem Annaburger Schulhof steht. Jemand versucht zu beschwichtigen. Das scheint nicht zu fruchten. Gleich darauf gibt es ein Handgemenge zwischen zwei Platznachbarn. Einige Schüler sehen dem aggressiver werdenden Streit interessiert, aber untätig zu und zucken zusammen, als einer der beiden, Felix Grund, plötzlich nach unten gedrückt wird und wimmert: "So hab ich es doch gar nicht gemeint."

Oliver Hofmann ist zufrieden bei diesem Training der Schulbusbegleiter, lässt los und bekundet: "Genau so ist es richtig." Die vermeintlichen Kampfhähne grinsen sich an. Oliver fragt die Umstehenden: "Habt ihr gesehen wie ich mich aus seinem Schwitzkasten befreit habe?" Eher nicht. Die Szene wird noch einmal wiederholt - diesmal mit Melissa Mietzsch. Jetzt soll Oliver Hofmann, er ist Fachtrainer für Gewaltprävention, Selbstverteidigung und Kampfkunst, "in die Knie" gezwungen werden. Das klappt freilich nicht gleich. Oliver bricht ab, sagt: "Ihr überlegt zu sehr, ob ihr eurem Gegenüber weh tun könntet. Aber Zeitgenossen, die nur Stress machen wollen, interessiert nicht, dass ihr vielleicht gesundheitliche Schäden davontragt, wenn sie zuschlagen. Solche Leute wollen nur Streit haben und suchen dafür eine Bühne."

Vanessa Koch, Marc Gräbner, Felix Grund, Belinda Walder, Yanik Zimmermann, Valerie Knesch und Melissa Mietzsch verstehen, was gemeint ist. Sie haben sich getroffen, um genau diesen Krachmachern künftig Paroli bieten zu können. Die Mädchen und Jungs aus der achten Klassenstufe der Annaburger Sekundarschule lassen sich über ein Schulprojekt des Landkreises Wittenberg - Landrat Jürgen Danneberg (Linke) ist der Schirmherr - in ihrer Freizeit zum Schulbusbegleiter ausbilden. Dazu gehörte auch das Praxisseminar mit Oliver Hofmann.

Probleme gaben Ausschlag

Mit organisiert haben das Susann Engelhardt, die Schulsozialarbeiterin, und Vera Zech, Vorsitzende des Kreiselternrates. Sie arbeitet als Koordinatorin für Verkehrssicherheit an vielen Schulen. Über eine Kommunalkombi betreut sie das Schulbus-Begleiter-Projekt, das bei der Strukturförderungsgesellschaft angesiedelt ist. Dessen Anfänge gehen in das Jahr 2005 zurück, als es auf einigen Schulbuslinien erhebliche Probleme gab.

Busfahrer Rainer Matthäs vom Jessener Verkehrsunternehmen Thier erinnert sich. "Wegen der Schulschließungen mussten plötzlich weit mehr Kinder und Jugendliche befördert werden. Während der Touren gab es häufig rüpelhafte Szenen, aber auch massive Sachbeschädigung." Die Idee des Kreiselternrates, Schulbus-Begleitkurse für Schüler anzubieten, fand Zustimmung und Förderer. Die Schulen in Annaburg und Elster waren damals Vorreiter. Mittlerweile organisiert Vera Zech die Ausbildung an sechs Schulen im Landkreis, darunter in Gräfenhainichen und Wittenberg. Mit den derzeit in Ausbildung befindlichen Teilnehmern gibt es bereits 73 Busbegleiter im Landkreis. In Annaburg warten die nächsten Interessierten aus den siebenten Klassen bereits auf den Kursbeginn im April. Gespräche über den Projekteinstieg laufen außerdem mit dem Jessener Gymnasium und der Jessener Sekundarschule Nord. Auch die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt-Ost ist einer der Partner. Kriminaloberkommissarin Bärbel Franke wird als Präventionsbeauftragte in dieser Woche sowohl in der Annaburger als auch in der Elsteraner Sekundarschule vor Ort sein. 20 bis 24 Stunden umfasst die Ausbildung insgesamt, in der theoretische und praktische Kenntnisse vermittelt werden. Rechtliche Aspekte sind ebenso enthalten wie das Erlernen von psychologischen Herangehensweisen. Genau das ist auch ein Part von Oliver Hofmann, der unter anderem freiberuflicher Fachtrainer für Kids-WingTsun, eine asiatische Kampfsportart ist. "Ihr müsst wissen, wie der andere tickt. Manche Leute lassen sich schon verbal in ihre Grenzen verweisen, wenn man sich nicht auf ihr Sprachniveau einlässt", gibt er zu verstehen. Die Annaburger Achtklässler lernen auch Folgendes: "Bei Konfrontationen im Alltag ist Weglaufen und laut schreien nicht feige, wenn ihr merkt, dass ihr euren Gegnern unterlegen seid. Vor allem gilt: Nicht wegsehen." Keiner sei verpflichtet, sich zwischen Schläger zu schmeißen. Doch im Handy-Zeitalter könne Hilfe schnell organisiert werden, zeigt der Trainer auf.

Bald werden Annaburger Kurs-Absolventen gemeinsam mit Teilnehmern aus anderen Schulen ihren Ausweis als Schulbus-Begleiter erhalten. Den dürfen sie auf der Fahrt vom Heimatort zur Schule und zurück vorzeigen, wenn es die Situation erfordert. Der Anblick des Dokuments hat schon manchem Stänkerer Einhalt geboten.

Weniger Aggressionen

Einige "Spezialisten", wie Busfahrer Rainer Matthäs die Stressmacher nennt, suchen dennoch Konfrontation. Doch er und seine Kollegen aus den anderen Verkehrsbetrieben des Landkreises haben wahrgenommen, dass die Aggressivität während der Schulbusfahrten seit etwa drei, vier Jahren zurückgegangen ist. "Zwar sind auch weniger Schüler zu befördern, doch dass unter ihnen Gleichaltrige sitzen, die mit wachen Sinnen Konflikten begegnen, macht sich bemerkbar", lobt der Busfahrer.