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Mehr Ausbildungsplätze Mehr Ausbildungsplätze: Pokern um Lehrstellen in Halle

Von Robert Briest 22.07.2016, 08:30
Die Bildkombination zeigt einen Kochlehrling (v. l.), einen Tischlerlehrling und einen Lehrling der Landwirtschaft.
Die Bildkombination zeigt einen Kochlehrling (v. l.), einen Tischlerlehrling und einen Lehrling der Landwirtschaft. dpa/Symbol

Halle (Saale) - Die Zahlen klingen gut: Knapp 1.000 offenen Lehrstellen stehen im Bereich der Arbeitsagentur Halle aktuell nur knapp 700 Bewerber gegenüber, die zum kommenden Lehrjahr noch einen Ausbildungsplatz suchen. Das verspricht mathematisch eine Vollversorgung, wo bis vor wenigen Jahren noch Jugendarbeitslosigkeit drohte.

Für die Unternehmen sind diese Zahlen jedoch ein großes Problem: Konnten sie sich bis vor wenigen Jahren noch die Rosinen unter den Bewerben herauspicken, haben sie heute Schwierigkeiten, überhaupt ausreichend Azubis zu finden. Und die Probleme dürften zunehmen, denn während die Zahl der Schulabgänger nach dem großen Geburtenknick vor einigen Jahren mittlerweile konstant bleibt, schreiben die Betriebe immer mehr Lehrstellen aus.

Sprung um fast ein Fünftel

Allein im vergangenen Jahr gab es hier einen Sprung um fast ein Fünftel auf fast 2.200. Der Hauptgrund dafür ist der Fachkräftemangel, der mittlerweile auch die Region erreicht hat. Der Markt ist weitgehend leer. Weshalb sich die Unternehmen ihre Fachkräfte nun verstärkt selbst ausbilden.

So sie denn geeignete Kandidaten finden. Eine Befragung der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau ergab, dass im vergangenen Jahr die Hälfte der befragten Unternehmen nicht alle ausgeschriebenen Lehrstellen besetzen konnte. Ein Problem, das auch Elena Zakirova kennt. Sie ist Personalreferentin bei der Tankstellenwartungsfirma Tokheim Service. Zehn Lehrstellen hat Tokheim zum 1. August in Halle ausgeschrieben, vier sind noch immer unbesetzt.

Mechatroniker und Anlagenmechaniker

„Im kaufmännischen Bereich hatten wir wenig Probleme, dafür aber bei Mechatronikern und Anlagenmechanikern“, berichtet Zakirova. Die Zahl der Bewerbungen sei hier deutlich geringer gewesen und vor allem hätten die Qualifikationen für die anspruchsvollen Berufe nicht ausgereicht.

Auch andere hallesche Unternehmen berichten, dass sie in einzelnen Berufsgruppen Probleme hätten, geeignete Azubis zu finden. Während in der Chemiebranche und bei kaufmännischen Ausbildungen die Nachfrage noch ausreichend groß ist, berichtet Isabel Raab von der IHK: „Die Metallbranche sowie Ausbildungsberufe mit Montagetätigkeiten wie etwa Anlagenmechaniker spüren die angespannte Ausbildungssituation. Auch der Bereich des Hotel- und Gaststättenwesens findet seltener geeignete Bewerber.“

Mangel an Schulabgängern

Für die Arbeitgeber bedeutet der Mangel an Schulabgängern, dass sie ihre Ansprüche senken müssen. Formale Qualifikation verlieren an Bedeutung: „Die weichen Faktoren wie die Motivation sind wichtiger geworden“, sagt Anja Haschberger, Beraterin für „Passgenaue Besetzung“ der Handwerkskammer Halle.

Für die Schulabgänger ist die momentane Situation hingegen günstig. Sie erlaubt es ihnen, sogar zu pokern: „Die Bewerber können sich das Unternehmen aussuchen, sie unterschreiben erstmal etwas und gucken dann, ob sie etwas Besseres finden“, sagt Haschberger. Seit einem Jahr gebe es diesen Trend, den auch die Chefin der Arbeitsagentur Halle, Petra Bratzke, beobachtet hat: „Die jungen Leute warten sehr lange, bis sie sich entscheiden. Wir können nur appellieren, keine Ausbildungsstellen für andere junge Leute zu blockieren.“ Für die Unternehmen bringt das Pokern Unsicherheit, ob die Jugendlichen am ersten Arbeitstag auch tatsächlich auftauchen.

Werksbesichtigungen

Bei ihnen sei bisher glücklicherweise noch niemand fern geblieben, sagt Petra Fischbeck, Personalleiterin beim Pumpen- und Amaturenhersteller KSB. Um dies zu verhindern, schließe man die Verträge aber auch frühzeitig und lade die künftigen Azubis regelmäßig zu Werksbesichtigungen und sportlichen Aktivitäten ein, um zu sehen, dass sie noch an Bord sind.

Überhaupt müssen die Firmen heute deutlich stärker um Bewerber buhlen. Lockprämien, etwa in Form von Ipads zum Ausbildungsstart, wie sie aus anderen Regionen bereits überliefert sind, sind IHK und Handwerkskammer in Halle zwar noch nicht bekannt, doch Fischbeck bestätigt den erforderlichen Mehraufwand. Die KSB setze deshalb etwa verstärkt auf Praktika in der eigenen Ausbildungswerkstatt, um junge Leute früh für sich zu gewinnen.

Und die Mitglieder der Handwerkskammer können sich mittlerweile beraten lassen, wie sie sich für Bewerber attraktiv machen können. Haschberger empfiehlt etwa aussagekräftige Anzeigen, geförderte Auslandspraktika und Tarifbezahlung. Denn auch dies ist ein Nebeneffekt des Mangels: Die Neigung, die Azubis nach Tarif zu bezahlen, hat sich durch die Bewerberknappheit verstärkt. (mz)