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Glauben an den Staat verloren Missglückte Bodenreform: Stellvertretender Bürgermeister von Dessau-Mosigkau schmeißt hin

Von Danny Gitter 04.04.2017, 22:00
Die Geschädigten Ernst Pecher und Otto Körnig (r.) im Gespräch.
Die Geschädigten Ernst Pecher und Otto Körnig (r.) im Gespräch. Lutz Sebastian

Dessau-Mosigkau - Mit ein paar Sätzen beendet er seine bisherige dreijährige Amtszeit als erster stellvertretender Ortsbürgermeister von Mosigkau und verlässt geraden Schrittes die Ortschaftsratssitzung. Otto Körnig (Die Linke) will nicht mehr. Er fühlt sich Unrecht behandelt vom Rechtsstaat, weil ihm seit der Wende rund neun Hektar Ackerland vorenthalten werden.

„27 Jahre wurde ich hingehalten, um einen Irrtum aufzuklären. Wenn der Staat nichts für mich tut, dann muss ich auch nichts für mehr den Staat tun“, so der 61-Jährige Preisrichter für Pferdesportveranstaltungen und Vermarkter von regionalen landwirtschaftlichen Produkten. Er ist wütend - und hat nun sein Mandat hingeschmissen.

Bis zum Ende der DDR waren die Besitzverhältnisse klar geregelt

Seine Großmutter Luise Seupt, einst Landarbeiterin im Osternienburger Land, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Bodenreform der DDR, in der die Großgrundbesitzer enteignet und das Land unter Kleinbauern neu aufgeteilt wurde, Eigentümerin von 9,17 Hektar Ackerflächen rund um Mosigkau. „Sie bekam das aber nie geschenkt. Sie musste es sich erarbeiten“, betont der Enkel. Später wurde auch ihr Land in einer LPG kollektiviert, sie blieb aber auf dem Papier Besitzerin der Flächen.

Für die Pflanzenproduktion der LPG Hinsdorf wurden die 9,17 Hektar genutzt. Seupt bekam 25 DDR-Mark je Hektar pro Jahr an Pacht überwiesen. 1984 erbte ihr Enkel Otto Körnig das Land. Alles lief reibungslos bis zur Wende und hätte für Körnig auch so weiterlaufen können. Hans Modrow, der letzte Vorsitzende des Ministerrats der DDR , hatte noch schnell ein Gesetz auf dem Weg gebracht, das die Erben des Bodenreformlandes zu rechtmäßigen Eigentümern erklärte.

Das Grundstück ging nach der Wende in den Besitz der BRD über

Körnig ging zum Rat der Stadt, stellte einen Antrag auf einen neuen Grundbucheintrag. Stempel von der Stadt, Weiterleitung an das Amt für Landwirtschaft und Flurneuordnung, dann Eintrag im Grundbuch, das wäre der erforderliche Weg gewesen. Doch es kam gänzlich anders. Er bekam irgendwann die Auskunft, dass die Flächen jetzt der BRD gehörten.

Er fiel aus allen Wolken, ging den Klageweg gegen das Amt für Landwirtschaft und Flurneuordnung bis zum Oberlandesgericht Naumburg, um nachträglich ins Grundbuch eingetragen zu werden. Parallel recherchierte der Mosigkauer mit Hilfe einiger Medien, was da schief gelaufen sein könnte.

Der Antrag blieb einfach unbearbeitet bei der Stadt liegen, so die Schlussfolgerung. Erst vor kurzem bekam Körnig über Umwege die Notiz eines Gesprächsprotokolls, wo von einem ehemaligen Amtsleiter eingeräumt wurde, dass der Antrag tatsächlich unbearbeitet blieb. Ob das noch von Wert sein könnte oder möglicherweise verjährt ist, will er von einem Anwalt prüfen lassen.

Der Prozess ging damals verloren. Die Flächen blieben im Besitz der BVVG, der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH. Das bundeseigene Unternehmen verwaltet und privatisiert ehemalige LPG-Flächen. Für die 9,17 Hektar Land wird jährlich Pacht von der Agrargenossenschaft Mosigkau an die BVVG gezahlt. „Da dürften mittlerweile fünfstellige Beträge zusammengekommen sein“, stellt er ernüchtert fest.

Nach dem Urteil in Naumburg, Mitte der Neunziger, war der Mosigkauer erst einmal an einem Tiefpunkt angelangt. Einem ersten Herzinfarkt folgte kurz danach ein zweiter. Dann kam noch ein Schlaganfall dazu. „Ich musste mich ins Leben zurückkämpfen“, erinnert sich der 61-Jährige.

Über 400 Leidensgenossen kämpften an der Seite von Otto Körnig für ihr Recht

Kämpfen war auch seine Devise, als er sich gesundheitlich erholte. Er gründete einen „Verein der Bodenreformgeschädigten Alteigentümer“ und trat damit eine Lawine los. Große Hallen musste er mieten, um Versammlungen abzuhalten. Über 400 Enteignete aus Sachsen-Anhalt kamen zu den Veranstaltungen des Vereins. Mit einem Bundesgesetz von 1992 kassierte die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl, den Modrow-Erlass zur Wendezeit größtenteils wieder ein.

Dadurch wurde die Bundesrepublik über Nacht zum Großeigentümer ehemaliger LPG-Flächen. Eine Sammelklage gegen das Bundesgesetz reichte Körnigs Verein zusammen mit Modrow vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. 2005 gewinnen sie in erster Instanz.

„Das waren glückliche Momente“, so Körnig. Doch die Bundesrepublik legt Revision ein und bekommt in zweiter Instanz 2007 doch noch Recht. Viele Mitstreiter im Verein resignieren. Doch Körnig gibt nicht auf. Er versucht es jetzt auf der politischen Ebene. Spricht regelmäßig bei allen Fraktionen im Landtag vor, im Landwirtschaftsministerium und sogar beim Ministerpräsidenten. Doch immer gibt es ein Achselzucken.

Der Mosigkauer will weiter für sein Recht eintreten

Ein Brief vom Landwirtschaftsministerium, den er vor kurzem erhielt, in dem ihm empfohlen wird, in dieser Angelegenheit doch bitte noch einmal das Amt für Landwirtschaft und Flurneuordnung zu kontaktieren, lässt Körnig endgültig den Kragen platzen.

„Ich drehe mich auch nach 27 Jahren noch immer im Kreis“, stellt er fest. Aufgeben kommt für ihn jedoch nicht in Frage. „Mein Schicksal und das tausender Anderer kann nicht einfach so klanglos in der Nachwendegeschichte untergehen“, sagt er trotzig. Der Mosigkauer will so lange Krach schlagen, bis der Landtag eine Kommission zur Aufarbeitung der Privatisierung ehemaliger LPG-Flächen einberuft. (mz)