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  7. Massenanfall von Verletzten: Wie Dessau sich auf Ernstfall vorbereitet

Nach Unglücken, Unfällen und Anschlägen Nach Anschlägen in Magdeburg und Mannheim: So plant Dessau einen Massenanfall an Verletzten

Ob Terroranschlag, Chemiewolke oder Reisebusunfall auf der Autobahn: Jede Stadt muss einen Notfallplan in der Tasche haben. Der Dessauer „MANV“-Plan wurde nun in Teilen vorgestellt. Noch im ersten Halbjahr 2025 soll das Konzept auch in einer praktischen Großübung angewendet werden.

Von Oliver Müller-Lorey Aktualisiert: 10.03.2025, 14:34
Ein Bild, das sich noch lange in das Gedächtnis der Sachsen-Anhalter einbrennen wird: Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt sichert ein Polizist den Tatort ab. Hinter ihm ist die Verwüstung, die der Täter anrichtete, zu sehen.
Ein Bild, das sich noch lange in das Gedächtnis der Sachsen-Anhalter einbrennen wird: Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt sichert ein Polizist den Tatort ab. Hinter ihm ist die Verwüstung, die der Täter anrichtete, zu sehen. Foto: Heiko Rebsch/dpa

Dessau-Roßlau/MZ. - So gut die Vorbereitung auch ist, so modern die Ausstattung, so engagiert die Helfer sind – eines steht für Martin Müller ohne Frage fest: „Ich hoffe wirklich, dass es unsere Stadt nie ereilt.“ Vorbereiten muss sich der Leiter des Amtes für Brand- und Katastrophenschutz trotzdem für den Fall, dass es doch einmal zu einem Ereignis kommt, bei dem viele Menschen gleichzeitig schwer verletzt oder getötet werden. In Fachkreisen MANV genannt: „Massenanfall an Verletzten“.

Auch wenn solche Fälle selten sind, sie passieren. Und übersteigen die Kapazitäten der Rettungskräfte, die in ihrem Tagesgeschäft darauf nicht eingestellt sein können, um ein Vielfaches – auch in Mitteldeutschland.

Anschlag auf Weihnachtsmarkt Magdeburg

Kurz vor Weihnachten war ein Attentäter in Magdeburg mit einem Auto absichtlich in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt gefahren. Hunderte Menschen wurden verletzt, sechs starben. Vor wenigen Tagen raste ein Täter in Mannheim in einer Fußgängerzone in Passanten, wovon zwei starben und viele verletzt wurden. Aber es muss nicht immer böse Absicht sein, die dazu führt, dass viele Menschen auf einmal verletzt werden.

Mitte vergangenen Jahres kippte ein Reisebus bei Wiedemar um. Beispiellos war ein Chemieunfall 1968 in Bitterfeld, bei dem aufgrund einer Explosion 42 Menschen starben und 270 verletzt wurden.

2024 verunglückte bei Wiedemar ein Reisebus. Auch hier überstieg die Zahl der Opfer die Kapazitäten der örtlichen Rettungskräfte.
2024 verunglückte bei Wiedemar ein Reisebus. Auch hier überstieg die Zahl der Opfer die Kapazitäten der örtlichen Rettungskräfte.
Foto: Marvin Matzulla

Wie Dessau-Roßlau sich auf Notfälle vorbereitet

In der vergangenen Woche hat Müller im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung vorgestellt, was in Dessau-Roßlau bei einem MANV passieren würde.

Im Grundsatz laufen vier Dinge gleichzeitig ab: Erstens muss die Einsatzstelle weiträumig abgesperrt, zweitens die technische Rettung eingeleitet werden. Darunter versteht man das Befreien von eingeschlossenen Opfern oder den Aufbau eines provisorischen Versorgungszeltes für die Verletzten vor Ort.

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In Dessau-Roßlau steht ein sogenannter Behandlungsplatz 50 zur Verfügung, ein Zelt, in dem bis zu 50 Verletzte versorgt werden können. Mindestens 40 mal 40 Meter Platz müssen dafür zur Verfügung stehen.

Rettungskräfte stehen vor großen Herausforderungen

Drittens muss die medizinische Rettung koordiniert werden. Wichtig dafür ist eine Einteilung der Verletzten in drei Kategorien, je nach Verletzungsgrad: in rot, gelb und grün. „Es ist sehr wichtig, dass diese Einteilung schnell passiert und vom ersten Rettungswagen übernommen wird“, erklärt Müller.

„Sonst kann es passieren, dass ein Rettungswagen einen Leichtverletzten mitnimmt, weil er ihn als erstes sieht, aber dafür ein Schwerverletzter unbehandelt bleibt“. In Extremfällen müssten Rettungskräfte leider auch entscheiden, ob ein Verletzter kaum noch Überlebenschancen habe. In diesem Fall würden andere Patienten, die wahrscheinlich gerettet werden können, zuerst versorgt.

Aufkleber in Notsituationen für Verletzte - Feuerwehr und Krankenhäuser müssen koordiniert arbeiten

Eine große Herausforderung im Chaos, das nach solchen Ereignissen immer herrscht, sei es auch, Patienten eindeutig zu bestimmen, nicht zu verwechseln und ihnen ihre Gegenstände zuzuordnen. In Dessau-Roßlau gibt es dafür ein umfangreiches Aufkleber-System. Verletzte und ihre Gegenstände bekommen einen Barcode zugeordnet. Auf Brillen, Taschen und Gebisse wird ein Sticker geklebt, der zu der Karte passt, die der Patient zugeordnet bekommt und an sich trägt.

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Der vierte Themenkomplex, um den sich die Rettungskräfte kümmern müssen, ist die Vorbereitung der Krankenhäuser. Weil ein einzelnes Haus, wie das Städtische Klinikum Dessau, so viele Verletzte unmöglich gleichzeitig versorgen, das heißt, operieren, kann, springen im Notfall auch umliegende Kliniken ein. „Es gibt deshalb Listen, wo die Entfernung zu anderen Krankenhäusern verzeichnet ist“, erklärt Müller. Im Fall von Dessau-Roßlau würden, je nach Größe des Vorfalls, Kliniken von Leipzig bis Berlin alarmiert.

Klar ist, dass für die Bewältigung eines MANV sehr viel Personal zur Verfügung stehen muss. „Im Fall von Magdeburg war das Glück im Unglück, dass es kurz vor Weihnachten war und viele Ärzte und Sanitäter sowie Feuerwehrleute zu Hause waren. Sie kamen von sich aus in die Krankenhäuser und meldeten sich zum Dienst“, sagt Müller. An einem Dienstagvormittag zur Urlaubszeit sei es vermutlich schwieriger, genug Personal zu finden.

Vier Freiwillige Feuerwehren für Aufbau von Betreuungsplatz nötig

Allein für den Aufbau des Betreuungsplatz 50 sind Müller zufolge vier Freiwillige Feuerwehren nötig, also 30 bis 40 Personen. Rund 60 bis 80 Personen würden für die medizinische Betreuung gebraucht. Hinzu kommen weitere 30 bis 40 Mann zur Bewältigung des eigentlichen Schadensereignisses, wie die technische Rettung.

An der Zahl der benötigten Krankenwagen wird schnell klar, dass eine Gemeinde allein überfordert wäre. „Geht man davon aus, dass es nur 40 statt 50 Verletzte gibt, und davon einige auch zu zweit im Rettungswagen transportiert werden können, bräuchte man immer noch 20 bis 25 RTW“, rechnet Müller vor. „Das ist natürlich ein Problem, die kurzfristig zusammenzubekommen.“

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Noch im ersten Halbjahr dieses Jahres soll in Dessau-Roßlau eine Großübung mit dem Thema MANV stattfinden. „Die letzte Übung ist viele Jahre her, und die Ereignisse zeigen ja leider, dass es zwingend nötig ist, zu üben, damit man vorbereitet ist“, sagt Müller.