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Essen auf Breuer Essen auf Breuer: Stiftung Bauhaus lädt zum Dinner

Von thomas altman 16.07.2012, 16:41

dessau/MZ. - Eignet sich ein Breuer-Hocker zum vierstündigen Fünf-Gänge-Menü von schwarzer Tomate bis Palatschinken? Arbeitete Landeskonservator Ludwig Grote im Palais Reina vor Billy-Regalen? Wird aus einem Ton Musik? War Marcel Breuer ein Theoretiker? Mehr und weniger, nur die fiese kleine gelbe Paprika sollte man nicht als Gemüse verzehren. Doch wer erwartet, feurig zwar, funktionsloses Dekor zum Dinner im Bauhaus Dessau?

Pikante Vorspeise

Auf der Festebene wurde am Sonnabend ein ungarisches Menü für den in Ungarn geborenen Jungmeister aufgetragen, ein Salon-Abend gehörend zum Rahmenprogramm der Ausstellung "Marcel Breuer. Design und Architektur". Bibiana Beglau servierte den Hauptgang, Texte von Breuer, Graf László Károlyi den Wein und Anja Kleinmichel die berauschende ungarische Musik, Neue Musik.

"Szegediner Zander", grün und rot und weiß: Doch die pikante Vorspeise zuvor, einen einführenden Gang durch die Ausstellung, reichte Werner Möller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bauhaus. Das ist wahrlich anregend, wie er in der Luft aus Strich und Fläche offene Volumen biegt, in Breuers Möbeln für das Haus Am Horn den künftigen Architekten gestalten sieht, die Linie zieht vom Kunstwerk zum skurril skulpturalen Toilettentisch der Dame, ein, so Möller, "Blinddarm der Moderne". Der bürgerliche Wurmfortsatz stehe gegen - "Wash and Go" - die Wirklichkeit der modernen Frisur der modernen Frau. Und das Regal im Arbeitszimmer von Grote, erster Direktor der Anhaltischen Gemäldegalerie, ist der Urahn von IKEA-Billy, solider vielleicht und schöner.

Vom Lattenstuhl zum Clubsessel erscheint die Reihe der Breuer-Möbel wie die gestaltete Geschichte des Bauhauses, von der Formensuche, über die Reduktion zum gebogenen Stahlrohr. Es geht um Verwertungsrechte, Marktfähigkeit und es geht weiter zu den frappant anschmiegsam, organisch erscheinenden Schichtholz-Möbeln, entworfen für die Firma Isokon Mitte der 30er Jahre. Die "Bambos"-Häuser in Dessau blieben Entwurf. Aber anders als hierzulande wahrgenommen, ist Breuer in Amerika vor allem als Architekt bekannt: Landhäuser, Appartementhäuser, Kirchen, Museen und die Schalungsbretter hinterlassen Abdrücke. Breuer auf dem Weg zum Rohbeton, "béton brut". -"Stahl ist leichter als Holz", insofern Gewicht und Beanspruchung in ein Verhältnis gesetzt würden, schrieb Breuer. Die Texte sind im Bauhaus-Taschenbuch Nr. 4 veröffentlicht. Aufgetragen wird nun "Tournedos Budapester Art". Aber: "Der schöpferische Mensch greift dort ein, wo etwas Notwendiges fehlt", liest Beglau, die Sitzmöbel wechselnd und die Sätze sprechend, als denke, als manifestiere sie diese. Und plötzlich fahren die Miniaturen des ungarischen Komponisten György Kurtág dazwischen, mit einer den Texten beinah konträren Geistigkeit.

Kurtágs unendliche Geschichte schreibt sich fort in Zeichen, in Spielen ("Játékok") für Klavier. Es sind Augenblicke gegen die Ewigkeit, offen in der Addition, radikal kurz, abgeschlossen im Einzelnen, ein Sprint der Poesie, und Kleinmichel ist sofort mitten drin. Breuer liebte Ungarisches Gulasch. György Ligeti beginnt mit einem Ton, zerlegt die Struktur, vergleicht seinen Zyklus "Musica ricercata" mit dem Selbstversuch des Philosophen René Descartes, der alles anfragte und doch einen sicheren Punkt fand. Sinngemäß so: Solange ich zweifle, muss ich, der Zweifelnde, existieren. Darauf baut er auf, wie Ligeti auf dem A, dem am Ende des ersten Stückes ein zweiter Ton folgt. Elf Stücke ergeben dann das Dutzend.

Richterlich entschieden

Altes zerlegen, neu sortieren, vom Strich, sprich Stahlrohr über die (Sitz-)Fläche zum Volumen. Moderne als Methode. Musik ohne Polster und Dekor. Stühle aus Rhythmen, Pausen, Wiederholungen. Nur im Palatschinken steckt Fruchtcocktail? Der Künstler arbeite mit einem höchsten Grad von Empfindung, der Techniker mit höchstem Grad von Logik. Der Breuer-Hocker ist, was Auswirkungen auf die Verwertungsrechte hat, höchst richterlich entschieden Kunst. Man kann darauf sitzen, fünf Gänge lang.