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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Gerüste fallen noch im Oktober

Von HEIDI THIEMANN 04.10.2011, 18:10

DESSAU/MZ. - Vor Jahresfrist waren Alexander Wassermann und Swetlana Keller von der Jüdischen Gemeinde noch voller Sorgen, weil das Kantorhaus - der einzige Rest, der von der Synagoge in Dessau übrig geblieben ist - ein Sanierungsfall war, für den das Geld fehlte. Inzwischen künden Gerüste von Bauarbeiten. "Die Sanierung von Dach und Fassade ist fast abgeschlossen", freut sich der Vorstandsvorsitzende Wassermann. "Wir sind stolz, dass wir das trotz vieler Schwierigkeiten bis hierhin geschafft haben", ergänzt Keller.

Offen für jeden

Das ehemalige Kantorhaus ist das Zentrum für die über 600 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde von Dessau über Wittenberg bis Zerbst. "Wir sind aber auch offen für jeden", sagt Swetlana Keller und verweist auf viele Veranstaltungen, wie die regelmäßigen Galerien, aber auch Führungen für Schulklassen und andere Interessenten im Haus. "Doch bislang war sein Anblick schlimm", sagt die Frau, die aus der Ukraine stammt. Eine Katastrophe vom Keller bis zum Dach, weil es hereinregnete und sich das Wasser seinen Weg durch alle Etagen suchte, weil der Putz abblätterte und ein Rohrbruch den Keller unter Wasser setzte.

Jahrzehntelang war nichts an dem Haus gemacht worden, das vor vier Jahren in den Besitz der Jüdischen Gemeinde wechselte. Zahlreiche Bemühungen der Gemeinde, das Haus auf Vordermann zu bringen, verliefen wegen fehlender

Unterstützung im Sande. Nachdem die MZ von einer Mitstreiterin der Initiative "Miteinander" über die Zustände informiert worden war und über die Probleme berichtete, "hatten wir sehr viel Zuspruch erfahren", erzählt Wassermann.

Die evangelische Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch hatte eine Spendenaktion initiiert. 900 Euro wurden gespendet. "Das war für uns sehr berührend", sagt Keller, "viele einfache Menschen, die selbst nicht viel Geld haben, haben uns geholfen." Das habe der Gemeinde auch moralisch den Rücken gestärkt.

60 000 Euro haben die Gemeindemitglieder selbst zusammengetragen. Lotto-Toto unterstützt das Projekt mit 52 000 Euro, der Zentralrat der Juden mit 41 000 Euro. Im Juni kam auch der Bewilligungsbescheid der Stadt Dessau-Roßlau: 2013 werden rund 13 000 von Stadt und Land fließen. "Unser Eigenanteil beträgt dafür 1 700 Euro", so Wassermann.

Mit 167 000 Euro sind die Arbeiten am Dach mit neuen Balken, Ziegeln und Fenstern, an der Fassade und im Keller kalkuliert worden. "Dafür reicht das Geld", freut sich Swetlana Keller. "Aber leider noch nicht für den notwendigen Graffiti-Schutz an der Fassade." Und auch noch nicht für die Renovierung des Kantorhauses im Inneren. Das aber wird Stück für Stück von den Gemeindemitgliedern selbst erledigt. "Die Hauptsache ist, dass das Haus nun trocken ist."

Begründung enttäuscht

Enttäuscht sind sie und der Vorstandsvorsitzende Wassermann allerdings vom Referat Denkmalschutz des Landesverwaltungsamtes. Da das Kantorhaus, in dem einst die jüdische Grundschule untergebracht war, unter Denkmalschutz steht, wurde seit 2008 jährlich ein Antrag auf Unterstützung der Sanierungsarbeiten gestellt. Er wurde stets abgelehnt. Enttäuscht hat die Gemeindemitglieder die Begründung, das Gebäude stünde nicht an oberster Priorität. "Ist das Haus nicht wichtig", fragen sie und verweisen darauf, dass das Kantorhaus nicht nur zum Kurt-Weill-Fest von Touristen besucht wird, sondern regelmäßig auch von Schulklassen. Dass es insbesondere auch am 9. November, wenn an der Stele an die Pogromnacht erinnert wird, im Mittelpunkt steht. "Bisher haben wir uns für den Anblick des Kantorhauses geschämt", sagt Keller.

Doch damit ist es vorbei, wenn noch im Oktober die Gerüste fallen. "Wir freuen uns sehr", sagt Wassermann und dankt allen, die der Gemeinde geholfen haben. Ob mit Spenden oder moralischer Unterstützung. Hilfe gab es beispielsweise auch durch Udo Gebhardt vom Verein "Wir mit Euch". Dank seiner Bemühungen hat die Jüdische Gemeinde nun auch zwei Bürgerarbeiter, die die Pflege des Jüdischen Friedhofs unterstützen bzw. die Betreuung von Schulklassen.

Sozialarbeiterin hilft

Außerdem hilft nun eine Sozialarbeiterin der Jüdischen Gemeinde und ihren Mitgliedern, sämtliche Kontakte zu Behörden, Ämtern und der Stadt zu halten. Seit Januar ist Renate Richter für zwei Jahre dafür von der Jüdischen Gemeinde angestellt und in sämtliche Projekte involviert. Auch die Sanierung des Kantorhauses konnte mit Hilfe der Sozialarbeiterin vorangebracht werden.