1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Dessau-Roßlau: Dessau-Roßlau: Ein Gang «durchs olle Roßloo»

Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Ein Gang «durchs olle Roßloo»

Von HEIDI THIEMANN 16.09.2010, 18:57

ROSSLAU/MZ. - Anfang der 90er Jahre war Eichelbaum Zivi bei der Evangelischen Gemeinde in Roßlau - und auf dem Friedhof im Einsatz. Hierhin wollte der Fliesenleger unbedingt zurück. Vor zwei Jahren hat das geklappt. Nun kümmern er und Friedhofsleiter Reiner Dörre sich um die Ordnung auf dem 1,4 Hektar großen Areal, das sich oberhalb von Anhaltiner Platz und Burgwallstraße befindet. "Viele wissen gar nicht, dass es diesen Roßlauer Friedhof gibt, die kennen nur den neuen an der Berliner Straße. Und so sind die Menschen erstaunt, wenn sie zu uns kommen", sagt der 51-jährige Dörre.

Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der Alte Friedhof angelegt, im Jahre 1822 erweitert. Ein Hauptmerkmal des Friedhofs waren seitdem die beiden Pylonen des Architekten und Baumeisters Christian Gottfried Heinrich Bandhauer. "Sie waren damals das Eingangsportal", erzählt Eichelbaum. Aber schon Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Pylonen verbaut und der Eingang des Friedhofs verlegt. Schade finden die beiden Friedhofsmitarbeiter das, doch in dem großen von alten und zahlreichen Baumarten bestandenen Gelände erzählen noch viele andere Zeugnisse aus der Roßlauer Vergangenheit.

Unter Eichen, Eiben, Birken, Linden, Kiefern, Wacholder oder Rhododendron finden sich jahrhundertealte Grüfte und Gräber, die ob ihrer Einzigartigkeit nicht eingeebnet, sondern von der Gemeinde erhalten werden. Denn sie erzählen, wie Eichelbaum sagt, Roßlauer Geschichte. Von den Sachsenbergs, deren Name insbesondere mit der Begründung der Schiffswerft in Roßlau verbunden ist, finden sich an mehreren Stellen des Friedhofs Spuren. So wird erinnert an den Kommerzienrat Georg Sachsenberg, Ehrenbürger der Stadt Roßlau. Oder an Herrmann Fessler, der ebenfalls aus der Sachsenberg-Familie stammt. Als Vogeltränke ist sein Grabstein gestaltet. 1938 war der Junkers-Pilot abgestürzt.

Zu früheren Zeiten war es oft üblich, die Berufsstände der Verstorbenen mitzuteilen. Wer Bäckermeister war, wer herzoglicher Revierförster, Töpfermeister, Bankdirektor, Lehrer - davon erzählen dutzende Inschriften. Noch mehr freilich kann Kai Eichelbaum erzählen. So zu August Preuße (1879-1955), der 1921 Deutscher Meister im Schachspiel war. Oder Gottwalt Weber (1869-1934). Der Studiendirektor war auch Schriftsteller.

Nicht nur von Wertschätzung, auch von Reichtum vermag manche Anlage zu berichten. Über zwei Meter hoch ist ein so genannter schwarzer Schwede. Der größte Grabstein auf dem Alten Friedhof erinnert an den Viehhändler Schwarze. Einmalig auch sind Anlagen, die mit Gittern umgeben sind, wie die des Hofbaumeisters Oskar Schmidt.

Ebenfalls auf Findlinge als Grabstein oder ein rotes Kreuz macht Eichelbaum aufmerksam, der gern Schulklassen, Konfirmanden oder jeden anderen Interessenten über den Friedhof und durch die Roßlauer Geschichte führt und sie mit der Bestattungskultur und der christlichen Symbolik vertraut macht. Denn das Thema Tod werde in vielen Familien verdrängt.

Halt macht er auch vor einem Grabstein aus der jüngeren Geschichte. Er erinnert an die Familie Sturm. Die Eltern und ihre beiden Kinder, 10 und 14 Jahre alt, waren 1967 auf dem Weg in den Urlaub, als bei Langenweddingen ein Tanklaster in den Doppelstockzug der Deutschen Reichsbahn fuhr. 94 Todesopfer wurden beklagt, darunter die gesamte Familie Sturm.

"Wir sind sehr bedacht, Altes zu erhalten", sagt Friedhofsleiter Reiner Dörre. Doch auch Neuem verschließe sich der Evangelische Friedhof nicht, denn die Bestattungskultur hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. So soll es zukünftig Rasenreihengräber geben, ebenso Urnenrasengräber. Anonym aber sollen die Orte der Erinnerung nicht sein.