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140 Millionen Jahre im Pappkarton

Von Heidi Thiemann 20.08.2008, 16:53

Dessau/MZ. - Schließlich wartet die Geologin des Naturkundemuseums gemeinsam mit Museumschef Ernst Görgner und Kulturamtsleiter Gerhard Lambrecht auf eine Sensation. Kaum fassbare 140 Millionen Jahre ist diese alt und liegt, so wird sich gleich zeigen, in einem braunen Allerweltspappkarton. Getragen von Angelika Schwager unterm Arm. "Die darf das", raunt Hesse, "sie ist die Besitzerin."

Doch das Geheimnis des Kartons wird erst vor "Poldi" gelüftet, der Rekonstruktion des Harzer Dinosauriers. Aus der Folie schält Geologin Schwager den bislang einzigen in diesem Zusammenhalt gefundenen Schädel des Europasaurus holgeri. "Oh Wahnsinn", ist Angelika Hesse überwältigt. Und darf wenige Augenblicke später den Originalschädel in den Händen halten. Und irgendwie ist das wie eine Bescherung zu Weihnachten.

Gestoßen ist Schwager auf den Schädel von "Balthasar" vor gut zehn Jahren in einem Kalksteinbruch bei Oker. Hinweise von Privatsammlern haben die Museumsleiterin in Springe dorthin geführt. Misstrauisch war sie, gibt sie zu, "doch da gab es wirklich Knochen und Zähne". Ein Gesteinsstück, das neben ihrem Rucksack lag, nahm sie mit. "Da guckte eine Ecke raus." Was Schwager noch nicht ahnte, "das waren sechs Lottovolltreffer auf einmal". Denn unterm Mikro

skop hatte ihr Mann Gerd mit Stichel, Schaber und Kratzer eine erste schwarze Stelle freigelegt. "Wir

dachten erst an eine Fischschuppe." Tatsächlich war es der erste Zahn. Und immer mehr der Beißwerkzeuge traten bei der Präparation zutage - beide Unter und Oberkiefer sind erhalten.

Oker ist eine wahre Fundgrube der Urzeit. Flugsaurier, Schildkröten, Krokodile wurden als versteinerte Zeugen bereits geborgen. Und jede Menge Dinosaurierknochen, "mit denen man 18 Tiere zusammensetzen könnte", wie Geologin Schwager erzählt. Den Verbund dort gefunden zu haben, sei ein großes Glück. Und ein Glück sei auch, dass der Dinopark Münchehagen (Niedersachsen) große Unterstützung bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung leistet. Dort steht übrigens auch ein Europasaurus holgeri, der Hanna genannt wird. Nun gibt es den zweiten Nachbau in Originalgröße in Dessau - und Schwager ist begeistert von "Poldi". Wie auch die Museumsbesucher insgesamt. Bis zum 14. September noch läuft die Schau "Saurier der Urzeit", "und bis dahin wollen wir den 10 000. Besucher begrüßen", sagt Museumsdirektor Görgner.

Extra wegen "Poldi" und der Saurierausstellung war am Mittwoch auch eine 24-köpfige Kindergruppe des Kiez Friedrichsee aus der Dübener Heide nach Dessau gekommen. "Und nun haben wir hier so ein Glück", freut sich Betreuerin Verena Strauß, dass auch die Gruppe sich das 140 Millionen Jahre alte versteinerte Zeugnis anschauen kann. Denn das Original lagert normalerweise - wenn es nicht wissenschaftlich untersucht wird - im Safe. Doch "Poldi" und die lange Bekanntschaft von Angelika Hesse und Angelika Schwager, die sich beide der Erforschung von Lebewesen vergangener Erdperioden verschrieben haben, hat den Dessau-Ausflug ermöglicht. Und der Wunsch nach Zusammenarbeit des Dessauer Museums und des Museums Springe. "Auf den Spuren der Eiszeit" heißt eine Ausstellung, die dort am 6. September eröffnet wird. Erst am Tag zuvor hatte Schwager Ausstellungsstücke dafür aus Magdeburg abgeholt.