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«Wir leben in Angst vor der Katastrophe»

Von Lars Geipel 05.02.2007, 21:09

Grimschleben/Latdorf/MZ. - Wirklich überrascht hat beide das Unglück in der Nacht zum Sonntag bei Latdorf, bei dem auf einer Breite von etwa 200 Metern der Damm eines Kalkteiches brach und etwa 250 000 Tonnen Kalkschlamm und Geröll auf eine Landstraße überfluteten (die MZ berichtete), nicht. Schließlich haben sie und die anderen Grimschlebener in den vergangenen Jahren ihre eigenen Erfahrungen mit Kalkteichen gemacht: "Wir haben keine Ruhe mehr. Wir leben in ständiger Angst vor einer Katastrophe", sagt Karola Fischer.

Bereits kurz nach der Wende sei in einer Nacht aus der untersten Schicht Flüssigkeit ausgetreten. "Damals bin ich noch in der Dunkelheit zu Solvay gefahren und habe das gemeldet. Der zuständige Mitarbeiter hat sich tausend Mal bedankt", erinnert sich der 53-jährige Peter Fischer. 1996 hielt

dann ein Riss im oberen Teil des Kalkteiches die Einwohner in Atem. Am 17. Mai war Flüssigkeit aus dem Kalkteich ausgetreten und auf das Gelände eines Grundstückes der Solvay-Werke gelaufen. Nach offiziellen Aussagen des damaligen Werkleiters Volker Eisenlohr war ein Rohr nicht in Ordnung gewesen, dass in solchen Fällen die Flüssigkeit auffängt. Land unter hieß es dann am 24. Juli 1996. Eine

bis zu 20 Zentimeter dicke Kalkschlammschicht musste von zahlreichen Grundstücken abgetragen und aus vielen Kellern abgesaugt werden, nachdem durch einen heftigen Regen die Kanalisation, die das Wasser von den Kalkteichen wegleitet, völlig überfordert war.

Seit dieser Zeit ist das Mauerwerk des Hauses mit Feuchtigkeit vollgesogen, bildet sich nach Aussagen von Peter Fischer Schimmel an den Wänden: "Wir haben mit Solvay verhandelt und sogar einen Anwalt eingeschaltet." Bis ins Jahr 2002 dauerte die Auseinandersetzung mit Solvay, dann gaben sie auf. Laut Gutachten sei Solvay nicht daran Schuld. Während andere im Ort wenigstens noch eine Entschädigung erhalten haben sollen, gingen sie leer aus. Ähnlich erging es auch dem Ehepaar Oppat, dass nur ein paar Meter weiter wohnt.

Auch in Latdorf ist die Unsicherheit groß. In unmittelbarer Nähe der Gemeinde soll Kalkteich Nummer 22 in die Höhe wachsen. Die Entwässerungsleitung bis zur Einleitungsstelle ist laut Jürgen Killmann, Leiter Umweltschutz und Sicherheit bei Solvay in Bernburg, bereits fertig gestellt. Jetzt wird der Mutterboden abgetragen.

Dafür liegen auch die gültigen Genehmigungen des Landesverwaltungsamtes vor. Aber André Alst, Bürgermeister des kleinen Ortes, drückt aus, was wohl so ziemlich alle in Latdorf denken: "Ich habe ein mulmiges Gefühl." Auch in der Gemeinderatssitzung am Montag, die bis nach Redaktionsschluss andauerte, wurde das Thema angesprochen. Holger Ott, in der Oberen Wasserbehörde zuständig für die Genehmigung der Kalkteiche, will aber nicht voreilig reagieren. "Wir stehen in ständigem Kontakt zu den Verantwortlichen mit Solvay. Wir müssen jetzt einfach die Untersuchungen abwarten."