Tod nach Klinik-Behandlung Tod nach Klinik-Behandlung: Schwere Pflegemängel? Gutachten bestätigt Ehemann und Sohn

Wohlsdorf/Aschersleben - „Fehlende Sorgfalt, unzureichendes Management und situativ fehlende Fachkunde“ sind laut einem Gutachten die Ursachen dafür, dass sich während des 24-tägigen Aufenthalts einer Wohlsdorferin im Ameos-Klinikum Ascherslebenein Druckgeschwür (Dekubitus) schwersten Grades am Kreuzbein entwickelt hat.
Karin Flügel starb wenige Tage später zu Hause im Alter von 60 Jahren, nachdem ihre Familie die Schwerkranke aufgrund geschwundenen Vertrauens aus dem Krankenhaus geholt hatte. Ehemann Helmut und Sohn Karsten, der selbst jahrelang als Krankenpfleger für Ameos gearbeitet hatte, sehen gut ein Jahr nach dem Tod der fünffachen Mutter mit dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt ihre Vorwürfe zu den Pflegemängeln gegen Ameos größtenteils bestätigt.
Oliver Krause, Fachanwalt für Medizinrecht: „Ich werde das Gutachten an die Staatsanwaltschaft weiterleiten“
Die Expertise, die auf Basis von Akten und Schilderung der Angehörigen angefertigt wurde, könnte Grundlage für eine Schadenersatzklage gegen den schweizerischen Konzern sein. Oliver Krause, Fachanwalt für Medizinrecht, vertritt die Familie. Der Hallenser kündigt an, zunächst aber auf außergerichtlichem Weg ein Schmerzensgeld für seine Mandaten anzustreben. Der Anwalt sieht zudem eine strafrechtliche Relevanz wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassung. „Ich werde das Gutachten an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.“
Allerdings weiß er aus Erfahrung, dass solche Verfahren meist eingestellt werden, weil es sehr schwierig sei, jeder handelnden Person in der Klinik in diesem Fall ein konkretes Fehlverhalten zuzuordnen. Die Familie wünsche darüber hinaus ein weiteres Gutachten, das mögliche ärztliche Behandlungsfehler untersucht. Die jüngste MDK-Expertise beschränkte sich auf die Überprüfung von Pflegemängeln.
David gegen Goliat: Strafverfahren nach Obduktion eingestellt
Die Hinterbliebenen hatten bereits im Vorjahr Strafanzeige gegen Ameos gestellt. Die Magdeburger Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren aber ein, weil sich bei der Obduktion des Leichnams keine Anhaltspunkte für einen schuldhaft herbeigeführten Tod entdecken ließen. Flügels hatten als Todesursache ein multiples Organversagen in Folge einer Blutvergiftung, die vom Dekubitus herrührt, vermutet.
Die Tragödie begann im Sommer 2018. Am 26. Juni entschloss sich die Familie, Karin Flügel wegen anhaltender Beschwerden ins Ameos-Krankenhaus Staßfurt zu bringen, wo auch Sohn Karsten arbeitete. Eine Woche blieb sie, ihr Zustand wurde nicht besser. Ärzte diagnostizierten Bluthochdruck und akutes Nierenversagen.
Am 2. Juli wurde die Patientin in das auf derartige Erkrankungen spezialisierte Klinikum Aschersleben transportiert und dialysiert. Ein Bauchwandbruch wurde bei der übergewichtigen Frau, die bettlägerig war und laut Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit überwiegend Hilfe für Positionswechsel im Bett benötigte, ebenfalls behandelt. Ungewöhnlich an dem Fall: Karsten Flügel arbeitete selbst 20 Jahre lang als Krankenpflegerin den Salzland-Kliniken, die 2012 an Ameos verkauft wurden. Mit der Dekubitus-Problematik kennt er sich aus.
Karsten Flügel schrieb für Fachmagazin über die Dekubitus-Problematik im Auftrag von Ameos
Der 42-Jährige schrieb sogar im Namen des Krankenhauses einen Artikel über die richtige Behandlung von Druckgeschwüren in einem Pflege-Fachmagazin.
„Als meine Mutter in Aschersleben eingeliefert wurde, hatte sie nicht mal ein gerötetes Gesäß“, beteuert der Wohlsdorfer, der bis dato seine Mutter in der Staßfurter Klinik selbst gepflegt hatte. Auslöser des Dekubitus sei eine stundenlange Operation auf einem harten OP-Tisch gewesen. „Die haben meine Mutter in den Wochen danach regelrecht verfaulen lassen“, formuliert Karsten Flügel drastisch.
„Bei jedem unserer Besuche fanden wir meine Mutter in Rückenlage vor“, versichert Karsten Flügel
Das nun vorliegende Gutachten, das die AOK Sachsen-Anhalt auf Bitte der Familie beim MDK in Auftrag gab, ist Wasser auf seine Mühlen. „Nach Auswertung der vorgelegten Unterlagen ist davon auszugehen, dass bei konsequenter Druckentlastung die Entstehung des Geschwürs hätte vermieden werden können“, heißt es darin.
Ohne Druckentlastung sei eine Heilung nicht möglich und alle weiteren Maßnahmen sinnlos. Die Patientin hätte dauerhaft so gelagert werden müssen, dass sie unter keinen Umständen auf der Wunde am Rücken zu liegen kommt. „Bei jedem unserer Besuche fanden wir meine Mutter in Rückenlage vor“, versichert Karsten Flügel.
Dass er als gesetzlich bestellter Betreuer über das sich entwickelnde Druckgeschwür informiert wurde, konnte Ameos laut Gutachten nicht nachweisen. Der 42-Jährige sagt, er habe die schreckliche Entdeckung erst gemacht, nachdem seine Mutter nach Hause geholt worden war.
Fragen ergeben sich aus der Expertise auch hinsichtlich der Richtigkeit der Pflegedokumentation durch das Personal. Die Hilfe bei der täglichen Grundpflege sei angeblich regelmäßig erledigt und damit offenbar auch der Krankenkasse in Rechnung gestellt worden. „Daher ist es nicht nachvollziehbar, wie es zu einem plötzlichen Dekubitalgeschwür 3. bis 4. Grades kommen konnte bzw. ein plötzlich massiver Pilzbefall in der Leistenregion erkannt wurde.“
AOK prüft Rückforderungen gegenüber Ameos
Anna-Kristin Mahler, Sprecherin der Krankenkasse, sagt: „Wir prüfen derzeit, ob zusätzliche Kosten entstanden sind, welche der AOK in Rechnung gestellt wurden. Wenn ja, werden wir diese vom Krankenhaus zurückfordern.“ In der Vergangenheit sei das Ameos-Klinikum Aschersleben-Staßfurt in dieser Hinsicht nicht auffällig geworden.
Die Gutachter kritisierten nicht nur Pflegemängel und Dokumentation: „Es fehlte nachweislich an einem geeigneten Management. Risikofaktoren wurden gar nicht oder unzureichend identifiziert.“ Darüber hinaus stellten sie in einzelnen Situationen fehlende Fachkunde fest. So wurde der Dekubitus mehrfach mit Salben behandelt, die nicht für tiefe Wunden geeignet seien. Ein Schaumverband mit Wirkstoff sei für solch einen Befund gar kontraindiziert gewesen. Trotz der zahlreichen Fehler fanden die Gutachter keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Dekubitus auch ursächlich für den späteren Tod von Karin Flügel war.
„Wir wurden selbst nicht angehört und wissen nicht, ob die von der Familie eingereichten Unterlagen vollständig sind“, verteidigt die Ärztliche Direktorin Monika Mingramm
„Es ist alles für die Dame getan worden, was aus Sicht der Pflege möglich war“, sagt Pflegedirektorin Ines Mohr. Ein staatlich anerkannter Wundpfleger sei in diesen Fall eingebunden gewesen, versichert die Ärztliche Direktorin Monika Mingramm.
Detaillierte Nachfragen, wie es beispielsweise trotz bestmöglicher Pflege urplötzlich zu einem massiven Pilzbefall kommen konnte, beantwortet die Klinikleitung indes nicht.
Monika Mingramm verweist auf die ärztliche Schweigepflicht, von der auch die Hinterbliebenen sie nicht entbinden könnten. Der neue Klinikdirektor Matthias Strauß, erst seit gut zwei Monaten im Amt, zieht die Objektivität des Gutachtens, das von einer Pflegesachverständigen und einem Facharzt erstellt wurde, in Zweifel: „Wir wurden selbst nicht angehört und wissen nicht, ob die von der Familie eingereichten Unterlagen vollständig sind.“ Anders als behauptet, habe die Klinik beispielsweise sehr wohl eine Wund- und Fotodokumentation erstellt.
Magdeburger Arbeitsgericht hat die Kündigung vom September 2018 für unwirksam erklärt
Karsten Flügel kämpft noch an einer zweiten Front gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber. Die Klinik hatte dem Krankenpfleger am 7. September 2018, zwei Wochen nach Bekanntwerden der Anschuldigungen durch einen MZ-Beitrag, fristlos gekündigt.
Nach dem Tod seiner Mutter soll er sich angeblich am Arbeitsplatz mehrfach negativ über Ameos geäußert und Kolleginnen via Telefon oder Sprechanlage beleidigt haben. Flügel bestritt das vehement. Erfolgreich, wie er sagt: „Das Magdeburger Arbeitsgericht hat am Donnerstag die fristlose Kündigung für unwirksam erklärt und mir eine Abfindung von rund 26 600 Euro zugesprochen.“ Denn einig waren sich beide Seiten nur darin, das Arbeitsverhältnis nicht fortzuführen. Karsten Flügel ist längst wieder in seinem Beruf für eine andere Klinik tätig. (mz)